JudikaturVfGH

E3310/2020 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2021

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Erkenntnisse wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Die Erkenntnisse werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus) ist schuldig, den Erst- bis Siebenundzwanzigstbeschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 10.164,– bestimmten Prozesskosten sowie den Acht- und Neunundzwanzigstbeschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit jeweils € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdeführer leisteten vom 1. Juli 2019 bis 31. März 2020 ihren ordentlichen Zivildienst. Mit Bescheiden der Zivildienstserviceagentur wurden sie infolge der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie und deren Auswirkungen gemäß §8a Abs6 ZDG zum außerordentlichen Zivildienst zugewiesen, wodurch die Verpflichtung zur Leistung des Zivildienstes bis 30. Juni 2020 verlängert wurde. Neben der Verlängerung der Dienstzeit sämtlicher zum damaligen Zeitpunkt eingesetzter Zivildiener im Anschluss an ihren ordentlichen Zivildienst erfolgte ein Aufruf an alle ehemaligen Zivildiener, sich freiwillig zum außerordentlichen Zivildienst gemäß §21 Abs1 ZDG zu verpflichten. Für die Zeit des außerordentlichen Zivildienstes gebührte allen Verpflichteten eine Grundvergütung samt einem Zuschlag. Darüber hinaus wurde jenen Zivildienstleistenden, die außerordentlichen Zivildienst gemäß §21 Abs1 leg cit leisteten, eine Pauschalentschädigung bezahlt bzw ein allfälliger Verdienstentgang erstattet (vgl §34b Abs1 ZDG). Demgegenüber erhielten "verlängerte" außerordentliche Zivildienstleistende (§8a Abs6 leg cit) keine solche Entschädigung. Die Beschwerdeführer beantragten daher beim Heerespersonalamt für die Monate, in denen sie außerordentlichen Zivildienst leisteten, ebenfalls die Auszahlung einer Pauschalentschädigung bzw die Zahlung des Verdienstentganges.

2. Mit Bescheiden des Heerespersonalamtes wurden die Anträge der Beschwerdeführer abgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht als unbegründet ab.

3. Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden, auf Art144 B VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen (§§8a Abs6, 21 Abs1, 34b Abs1 ZDG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse, in eventu – vom 28. und 29. Beschwerdeführer – die Abtretung der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4. Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Zeichenfolge "51 Abs1," in §34b Abs2 ZDG, BGBl 679/1986 (WV), idF BGBl I 16/2020 ein. Mit Erkenntnis vom 17. Juni 2021, G47/2021 ua, hob er die in Prüfung gezogene Zeichenfolge als verfassungswidrig auf.

5. Die Beschwerden sind begründet.

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage der Fälle offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden also durch die angefochtenen Erkenntnisse wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

Die Erkenntnisse sind daher aufzuheben.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Den Erst- bis Siebenundzwanzigstbeschwerdeführern war insgesamt der einfache Pauschalsatz – erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von 50 % – zuzusprechen, weil sie durch dieselben Rechtsanwälte vertreten waren und es ihnen sowohl in zeitlicher als auch in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht möglich gewesen wäre, gegen die Entscheidungen eine gemeinsame Beschwerde zu erheben (zB VfSlg 17.317/2004, 17.482/2005, 19.404/2011, 19.709/2012). In den den Erst- bis Siebenundzwanzigstbeschwerdeführern zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 654,– sowie – mit Ausnahme der Kosten des Erstbeschwerdeführers, der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt – der Ersatz der für die Beschwerden gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in der Höhe von je € 240,– enthalten. In den Kosten der Acht- und Neunundzwanzigstbeschwerdeführer ist Umsatzsteuer in der Höhe von je € 436,– sowie eine Eingabengebühr in der Höhe von je € 240,– enthalten.

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