JudikaturVfGH

E3350/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2019

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde in Pakistan geboren und ist dort aufgewachsen. Im Jahr 2013 zog er mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise lebte.

Er stellte am 26. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie in der am 14. Juni 2016 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer an, er wisse nicht, warum seine Familie vor seiner Geburt aus Afghanistan nach Pakistan geflüchtet sei. In Pakistan seien sie in Gefahr gewesen und es sei ihnen wirtschaftlich sehr schlecht gegangen. Sie hätten Pakistan sodann verlassen und seien in den Iran gereist. Während seines zweijährigen Aufenthaltes im Iran wurde der Beschwerdeführer zwei Mal nach Afghanistan (Herat) abgeschoben; er verblieb dort jeweils zwei bis drei Tage und kehrte sodann wieder in den Iran zurück. Er habe Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Deshalb habe er beschlossen, den Iran zu verlassen. Im Jahr 2015 reiste er dann aus dem Iran nach Österreich.

2. Mit Bescheid vom 13. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz ab und es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie die Abschiebung des Beschwerdeführers unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise für zulässig erachtet.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12. April 2019 mit Erkenntnis vom 2. August 2019 als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen wie folgt aus:

3.1. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Dem Beschwerdeführer stehe eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw Schutzalternative in den Städten Kabul oder Mazar-e-Sharif zur Verfügung. Er könne grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw existenzbedrohende Situation zu geraten.

3.2. Weder aus seinem Vorbringen, sein Großvater habe Afghanistan zur Zeit der sowjetischen Intervention zwischen 1979 und 1989 verlassen müssen, noch aus seiner Volksgruppenzugehörigkeit (Hazara, schiitischer Glaubensrichtung) lasse sich ein asylrelevanter Fluchtgrund erkennen.

3.3. Ebenso wenig lasse sich eine Asylrelevanz der vorgebrachten Verfolgung auf Grund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der psychisch Kranken erkennen: In Österreich wurde bei dem Beschwerdeführer eine mittelgradig depressive Episode festgestellt und es wurden ihm Medikamente zur Behandlung der Erkrankung verschrieben. Aus diesem Vorbringen sei eine individuelle und konkrete Betroffenheit der Person des Beschwerdeführers im Hinblick auf Gewalthandlungen nicht ableitbar. Den Länderfeststellungen zur Behandlung psychisch erkrankter Personen in Afghanistan sei zu entnehmen, dass in der afghanischen Bevölkerung viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen leiden. Die afghanische Regierung sei sich der Problematik bewusst und habe geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter habe reduziert werden können. So gebe es Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Auch die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickle sich langsam. Zum Beispiel existiere in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiere eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit böten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stünden. Mental erkrankte Personen könnten beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan könne trotz der teilweise noch bestehenden gesellschaftlichen Stigmatisierung psychisch Erkrankter nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Umstände auf Grund seiner psychischen Erkrankung verfolgt werden würde.

3.4. Zudem – so führt das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aus – könne nicht davon ausgegangen werden, dass Personen, die an einer mittelgradig depressiven Episode litten, eine homogene "Gruppe" seien, bei der man von einer sozialen Gruppe im Sinne jenes Begriffes, wie er für die Beurteilung einer asylrelevanten Verfolgung relevant sei, ausgehen könnte.

3.5. Auch aus einer etwaigen westlichen Lebenseinstellung des Beschwerdeführers resultiere keine asylrelevante Verfolgung. Afghanen, die längere Zeit in Europa gelebt hätten, hätten möglicherweise Schwierigkeiten bei der sozialen und wirtschaftlichen Reintegration in die afghanische Gesellschaft, dies sei jedoch nicht mit einer asylrelevanten Verfolgung gleichzusetzen. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Das Vorbringen des Beschwerdeführers diesbezüglich sei überdies nicht hinreichend substantiiert.

3.6. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergebe sich, dass die behauptete bedrohende Situation bei Rückkehr in den Herkunftsstaat in ihrer Gesamtheit nicht von asylrelevanter Intensität sei.

3.7. Im Hinblick auf den subsidiären Schutz führt das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer sei in Pakistan geboren und habe – bis auf seine zwei Abschiebungen aus dem Iran – nie in Afghanistan gelebt. Bereits sein Großvater habe seinen Herkunftsstaat verlassen. Da sich im Lauf des Verfahrens kein Nahebezug des Beschwerdeführers zu der Herkunftsprovinz seines Großvaters ergeben habe, lasse sich für ihn keine Heimatregion identifizieren. Daher sei beim Beschwerdeführer die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den sicheren Regionen Afghanistans zu prüfen. Vor dem Hintergrund der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan und der angeführten Länderberichte in Zusammenschau mit den festgestellten persönlichen Lebensumständen des Beschwerdeführers bestehe für ihn eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul und Mazar-e Sharif. Das Bundesverwaltungsgericht sehe zwar die Darstellungen des UNHCR in den Richtlinien vom 30. August 2018, es könne aber nicht angenommen werden, dass das Ausmaß der Gewalt bereits ein Niveau erreicht habe, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch der Beschwerdeführer tatsächlich und durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt Kabul Opfer eines Gewaltaktes werden würde. Auch in Mazar-e Sharif drohe eine solche Gefahr nicht, zumal der Beschwerdeführer nicht zu einer besonders gefährdeten Gruppe wie etwa jener der Militärangehörigen gehöre. Er könne auf dem Luftweg auch sicher von Kabul nach Mazar-e Sharif reisen.

3.8. Beim Beschwerdeführer handle es sich nach den zu seiner Person getroffenen Feststellungen um einen mobilen, alleinstehenden, jungen, arbeits- und leistungsfähigen Mann. Er verfüge in den Städten Kabul und Mazar-e Sharif über kein örtliches soziales Netzwerk. Allerdings spreche und verstehe er eine der beiden Landessprachen. Er sei in Pakistan und im Iran in einem afghanischen Haushalt aufgewachsen. Er habe bei seinen zwei Abschiebungen in seinen Herkunftsstaat nach Herat keine Probleme gehabt, jeweils zwei bis drei Tage dort verbracht und seine Rückkehr in den Iran alleine organisiert. Daher sei er mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut und finde sich auch mit den örtlichen Gegebenheiten zurecht. Eine Schule habe der Beschwerdeführer nicht besucht. Er habe im Iran als Schuster gearbeitet und sei für den Lebensunterhalt seiner Familie aufgekommen. In Österreich habe er Küchen- und Reinigungstätigkeiten in seinen Asylunterkünften übernommen. Er habe auch in einem Park gearbeitet. Er habe die Möglichkeit, seiner Berufserfahrung entsprechend eine Arbeitstätigkeit auszuüben. Ebenso könne er sich auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage sichern. Nach den Umständen des konkreten Falles sei auch anzunehmen, dass die Familie des Beschwerdeführers diesen in Afghanistan aus dem Iran unterstützen werde. Die räumliche Trennung stehe dem nicht entgegen.

3.9. Im vorliegenden Fall sei auch nicht anzunehmen, dass die Versorgungslage in Kabul und Mazar-e Sharif dergestalt sei, dass der Beschwerdeführer in eine Notlage geraten würde. Es sei davon auszugehen, dass es realistisch erlangbare Erwerbsmöglichkeiten gebe. Vor diesem Hintergrund sei ihm eine Rückkehr nach Kabul und Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Dem stehe auch seine psychische Erkrankung nicht entgegen. Er sei arbeitswillig und arbeits- und leistungsfähig; es sei davon auszugehen, dass er am Erwerbsleben teilnehmen könne; die in Österreich diagnostizierte Erkrankung stehe dem nicht entgegen und es gebe auch keine Hinweise auf eine Selbst- oder Fremdgefährdung.

3.10. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne nicht, dass UNHCR nach seinen aktuellen Richtlinien zu der Schlussfolgerung komme, dass Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative "generell" ausgeschlossen sei. Dies könne eine rechtliche Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht vorwegnehmen. Ungeachtet dessen, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht verkenne, dass die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul und Mazar-e Sharif angespannt sei, sei nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Kabul oder Mazar-e Sharif in eine ausweglose Lage geraten oder in seinen Rechten verletzt würde.

3.11. Die Erkrankung des Beschwerdeführers sei in öffentlichen und privaten Kliniken im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers behandelbar. Er habe nicht substantiiert vorgebracht, dass er eine Behandlung oder Medikamente benötigte, die in Afghanistan nicht verfügbar wären. Nach den Länderfeststellungen finde die medizinische und psychiatrische Versorgung in Afghanistan grundsätzlich statt und sei der Zugang zu Medikamenten grundsätzlich gegeben, wenngleich die Medikamente nicht gleichwertig und schwerer zugänglich seien. Der Beschwerdeführer könne jedoch auf familiäre Unterstützung zurückgreifen und bei Bedarf eine medizinische Behandlung in Kabul oder in Mazar-e Sharif in Anspruch nehmen. Darüber hinaus stünden grundsätzlich Rückkehrhilfen zur Verfügung.

3.12. Er habe – so das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Rückkehrentscheidung – keine Familienangehörigen in Österreich. Ein Eingriff in das Familienleben liege daher nicht vor. Ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers sei auch gerechtfertigt, weil er sich erst seit vier Jahren und drei Monaten in Österreich aufhalte und nicht erwerbstätig sei, sondern von der Grundversorgung lebe. Er habe zwar Deutschkurse besucht und das Einstiegsmodul für den Pflichtschulabschlusskurs besucht; er habe auch in Asylunterkünften und bei der Caritas Arbeiten verrichtet. Er sei aber in keinem Verein tätig und nehme nicht an kulturellen Veranstaltungen teil. Er habe auch keine freundschaftlichen Kontakte in Österreich geknüpft. Seine Familie lebe im Iran und er stehe mit dieser in Kontakt. Er spreche die Landessprachen Afghanistans und sei in einem afghanischen Haushalt – wenn auch außerhalb Afghanistans – aufgewachsen. Er habe bei zwei Abschiebungen in seinen Herkunftsstaat nach Herat keine Probleme gehabt, jeweils zwei bis drei Tage dort verbracht und seine Rückkehr in den Iran alleine organisiert. Daher sei er mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut und finde sich auch mit den örtlichen Gegebenheiten zurecht. Er habe im Iran als Schuster gearbeitet und sei für den Lebensunterhalt seiner Familie aufgekommen. Bei dem Beschwerdeführer handle es sich um einen erwachsenen Mann, welcher an keiner sein Alltagsleben oder seine Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigenden Erkrankung leide. Es sei daher davon auszugehen, dass er sich wieder in die Gesellschaft seines Herkunftsstaates eingliedern werde können. Die Abschiebung sei zulässig und es sei eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise zu setzen gewesen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

4.1. Das Bundesverwaltungsgericht stelle zwar fest, dass beim Beschwerdeführer eine mittelgradig depressive Episode diagnostiziert worden sei und er das Antidepressivum "Trazodon" einnehme. Ohne das vom Beschwerdeführer beantragte Sachverständigengutachten einzuholen, habe das Bundesverwaltungsgericht keine hinreichende Prüfung vorgenommen, ob und inwiefern die Erkrankung des Beschwerdeführers in Afghanistan behandelbar sei. Es habe keine ausreichende Auseinandersetzung mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit des für den Beschwerdeführer notwendigen Medikamentes in Afghanistan stattgefunden.

4.2. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich auch nicht hinreichend mit der aus der Erkrankung resultierenden besonderen Vulnerabilität des Beschwerdeführers, die sich aus einschlägigen Länderberichten ergebe, auseinandergesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht habe nicht hinreichend begründet, warum im vorliegenden Fall, abweichend von den Länderberichten des UNHCR, keine besondere Gefährdung des Beschwerdeführers anzunehmen sei.

4.3. Zudem sei die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative nicht ausreichend ermittelt worden. Der Beschwerdeführer habe gerade kein soziales Netzwerk in Afghanistan und es liege die erforderliche Vertrautheit mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht nehme ohne jede nachvollziehbare Begründung an, dass der Beschwerdeführer mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut sei und sich auch mit den örtlichen Gegebenheiten zurechtfinde. Es lasse in diesem Zusammenhang auch den konkreten Sachverhalt außer Acht. Der Beschwerdeführer beherrsche lediglich eine der Landessprachen Afghanistans und seine Mutter sei afghanische Staatsbürgerin. Seine Aufenthalte in Afghanistan hätten lediglich wenige Tage angedauert; in dieser kurzen Zeit sei nicht von einem Erlernen der kulturellen Gepflogenheiten des Landes auszugehen. Es fehlten hinreichende Ermittlungen zu dieser Frage.

4.4. Das Bundesverwaltungsgericht gehe außerdem davon aus, der Beschwerdeführer könne von seiner Mutter aus dem Iran – aus der Ferne – finanziell unterstützt werden, wenn er nach Afghanistan zurückkehre; dies nehme das Bundesverwaltungsgericht an, ohne dass es die finanzielle Situation der Mutter ermittle. Es gebe – aus der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht – Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter in einer schlechten finanziellen Lage sei, und es sei auf Grund von kulturellen Gepflogenheiten unüblich, dass die Mutter einen volljährigen Sohn finanziell unterstütze. Die Begründung zu diesem Aspekt bleibe insoweit und auch im Übrigen unzureichend. Hinzu trete in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Beweislast hinsichtlich innerstaatlicher Fluchtalternativen – so lasse es die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erkennen – bei den staatlichen Behörden liege. Der Beschwerdeführer gerate entgegen den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage. Die Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe seien ebenso wenig hinreichend.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017; vgl zuletzt insbesondere VfGH 12.12.2019, E2692/2019).

3.3. Im vorliegenden Fall stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellungen, dass dem Beschwerdeführer, der selbst in Pakistan geboren wurde und nie in Afghanistan gelebt hat, zwar keine Rückkehr in die Herkunftsprovinz seines Großvaters wegen mangelnden Nahebezuges zu dieser, allerdings sehr wohl eine solche nach Kabul oder Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternativen möglich und zumutbar sei, im Wesentlichen auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation auf dem Stand vom 26. März 2019. Das Bundesverwaltungsgericht trifft seine Entscheidung "vor dem Hintergrund" der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, die "angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich" als "nicht verfügbar" qualifizieren; das Bundesverwaltungsgericht weicht von dieser Einschätzung aber unter Hinweis auf das Fehlen einer Gefahr, dass der Beschwerdeführer tatsächlich durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt Kabul Opfer eines Gewaltaktes würde und die individuelle Situation des Beschwerdeführers (keine Zugehörigkeit zu einer besonders gefährdeten Gruppe, mobil, alleinstehend, jung, arbeits- und leistungsfähig) ab.

3.4. Das Bundesverwaltungsgericht erwägt weiter, der Beschwerdeführer verfüge zwar über kein örtliches soziales Netzwerk, er spreche und verstehe aber eine der beiden Landessprachen, sei in einem afghanischen Haushalt aufgewachsen und sei bei seinen zwei Abschiebungen nach Herat kurze Zeit in Afghanistan verblieben und sodann selbständig in den Iran zurückgekehrt. Daraus zieht das Bundesverwaltungsgericht den Schluss, dass der Beschwerdeführer mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut sei und sich auch mit den örtlichen Gegebenheiten zurechtfinde. Es sei auch anzunehmen, dass die Familie des Beschwerdeführers ihn in Afghanistan unterstützen würde. Die Schlussfolgerung, zu der UNHCR in seinen Richtlinien vom 30. August 2018 komme, könne die rechtliche Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht vorwegnehmen; nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Kabul und Mazar-e Sharif möglich und zumutbar.

3.5. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass eine aktuellere und spezifischere Information betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers vorliegt. Die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" (S. 139) des EASO auf dem Stand Juni 2019 enthält eine spezifische Beurteilung für jene Gruppe von Rückkehrern, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben:

Aus dem Bericht des EASO geht hervor, dass für die genannte Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht kommt, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).

3.6. Indem das Bundesverwaltungsgericht diese – zum Entscheidungszeitpunkt bereits veröffentlichte – aktuelle und spezifische Information nicht berücksichtigt hat, hat es seine Entscheidung auf veraltete Länderberichte gestützt und die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen (vgl erneut VfGH 12.12.2019, E2692/2019). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK schon aus diesen Gründen als verfassungswidrig. Soweit die Entscheidung sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht in jeder Hinsicht hinreichend ermittelt und rechtmäßig entschieden hat, insoweit nicht anzustellen.

4.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

6. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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