JudikaturVfGH

E500/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Oktober 2019

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am 16. Jänner 1998 geborener Staatsangehöriger von Afghanistan. Er stellte am 6. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 21. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 9. Jänner 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

5. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers traf das Bundesverwaltungsgericht folgende Ausführungen:

"Der Beschwerdeführer leidet aktuell an keinen ernsthaften oder schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig.

[…]

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des [Beschwerdeführers] ergeben sich aus seinen Angaben vor der Verwaltungsbehörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Da er an keinen akuten schwerwiegenden Krankheitsbildern leidet und in Österreich in der Zivilgesellschaft sehr aktiv ist, ist davon auszugehen, dass er arbeitsfähig ist.

[…]

Wie oben festgestellt, ist der Beschwerdeführer ausreichend gesund, verfügt über eine Schulbildung und Berufserfahrung und ist im erwerbsfähigen Alter."

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird dazu ua ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich im Jahr 2016 bei einem Fahrradunfall einen Wirbelbruch zugezogen. Er habe daraufhin operiert werden müssen und trage ein Wirbelimplantat. Es stehe in näherer Zukunft ein weiterer Operationstermin zur Entnahme des Metalls an, wobei der genaue Zeitpunkt dieser Operation noch nicht feststehe. Da eine solche Operation in Afghanistan nicht möglich sei, würde eine erzwungene Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan dessen gesundheitliche Genesung gefährden.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen den Ausspruch der Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, ist sie begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 8. Jänner 2019 an, dass er sich zwei Jahre zuvor bei einem Fahrradunfall einen Wirbel seiner Wirbelsäule gebrochen und laut ärztlicher Auskunft nur mit Glück keine Lähmung erlitten habe. In einer Operation sei ihm ein Wirbelimplantat eingesetzt worden. Für die Zukunft sei eine weitere Operation geplant. Er müsse deshalb bald zu einer Untersuchung ins Krankenhaus. Betreffend seine mögliche Rückkehr nach Afghanistan gab der Beschwerdeführer an, dass er niemanden dort kenne und es ihm aufgrund seiner Wirbelsäulenoperation noch schwerer fiele, dort "etwas anfangen zu können".

3. Aus dem dem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Lage in Afghanistan (Stand 29. Juni 2018) ergibt sich zur medizinischen Versorgung und zur Rückkehr – auf das Wesentliche zusammengefasst – Folgendes:

Gemäß der afghanischen Verfassung müsse der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten. Allerdings sei die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan hätten keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Die Kosten von Diagnose und Behandlung in privat geführten Krankenhäusern variierten stark und müssten von den Patienten selbst getragen werden. Die Sicherheitslage habe erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. In den letzten zehn Jahren habe die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Es gebe keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssten von dem Patienten getragen werden.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht ausreichend mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt und die für diese Auseinandersetzung maßgeblichen Ermittlungsschritte unterlassen. In seinem Erkenntnis gibt es das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Wirbelsäulenverletzung zwar in der Darstellung des Verfahrensganges wieder, geht auf dieses jedoch an keiner Stelle weiter ein. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht den aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, die medizinische Notwendigkeit einer weiteren Operation sowie deren allfällige Durchführbarkeit in Afghanistan nicht ermittelt (siehe zu den grundrechtlichen Anforderungen an eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in Fällen von erkrankten Personen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 13. Dezember 2016 [GK], Fall Paposhvili , Appl 41738/10, Z183 ff; vgl auch VfGH 11.6.2019, E2094-2096/2018; 11.6.2019, E3796/2018).

5. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Rückkehrentscheidung sowie auf die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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