JudikaturVfGH

E1478/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. September 2019

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde, Vorverfahren

1. Der minderjährige Beschwerdeführer stellte am 22. Februar 2018 bei der Österreichischen Botschaft Ankara (ÖB Ankara) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß §35 Abs1 AsylG. Der Bezugsperson, dem Vater des Beschwerdeführers, war mit Bescheid vom 3. Mai 2016 Asyl zuerkannt worden.

2. Mit Schreiben vom 25. Juli 2018 erteilte die ÖB Ankara einen Verbesserungsauftrag, wonach eine adäquate Unterkunft und Krankenversicherung gemäß §60 Abs2 Z1 und 2 AsylG, regelmäßige Einkünfte gemäß §60 Abs2 Z3 AsylG nachzuweisen sowie eine Sterbeurkunde der Mutter vorzulegen waren. Diese Dokumente wurden vom Beschwerdeführer fristgerecht nachgeliefert.

3. Mit Schreiben vom 20. August 2018 erstattete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eine Stellungnahme gemäß §35 Abs4 AsylG und führte darin im Wesentlichen aus, dass eine Zuerkennung des Status nicht wahrscheinlich sei. Es lägen zwar alle Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 AsylG vor. Allerdings sei die vorgelegte Sterbeurkunde der Mutter als Totalfälschung zu qualifizieren. Deshalb habe sich die Vermutung erhärtet, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Kindesentziehung handeln könnte.

4. Mit Bescheid vom 10. September 2018 verweigerte die ÖB Ankara das Visum mit der Begründung, das BFA habe eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose erstellt. Die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 AsylG lägen vor, jedoch sei die Sterbeurkunde der Mutter des Beschwerdeführers als Totalfälschung einzustufen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, die ÖB Ankara sei ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen, da in keiner Weise erläutert worden sei, weshalb die Sterbeurkunde eine Totalfälschung darstelle. Die Mutter des Beschwerdeführers sei am 10. September 2017 bei einem Bombenangriff der syrischen Armee in der Rebellenhochburg Idlib ums Leben gekommen. Der Cousin des Vaters des Beschwerdeführers habe die Leiche der Mutter gefunden und ein Grab erbauen lassen. Anhand der beigelegten Fotos ließen sich Name und Sterbedatum am Grabstein eindeutig erkennen. Die Urkunde habe ein vertrauenswürdiger Anwalt unter schwierigen Umständen aus dem Kriegsgebiet beigeschafft, sie sei keineswegs gefälscht. Der Beschwerdeführer wohne derzeit bei seiner Tante väterlicherseits in Antakya, was eine enorme Belastung für den Beschwerdeführer wie auch die Tante darstelle.

5. Mit dem die Beschwerdevorentscheidung der ÖB Ankara vom 20. November 2018 bestätigenden Erkenntnis vom 7. März 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. In der Beweiswürdigung führte es aus, es sei unstrittig, dass sich der Vater des Beschwerdeführers, sohin die Bezugsperson, in Österreich befinde und hier asylberechtigt sei. Es schließe sich jedoch der ÖB Ankara an, dass es sich bei der Sterbeurkunde um eine Totalfälschung handle und daher eine unrechtmäßige Kindesentziehung nicht auszuschließen sei. Auffällig sei, dass laut Antragsformular des Beschwerdeführers vom 22. Februar 2018 dessen Mutter "vor 9 Monaten" in Idlib bei einem Bombenanschlag getötet worden sei; aus dem Beschwerdeschriftsatz gehe jedoch hervor, die Mutter sei am 10. September 2017 umgekommen. Unstimmig sei ferner, dass im Antragsformular nur ein vager Zeitraum, in der Beschwerde jedoch ein exakter Zeitpunkt genannt worden sei. Auf der Sterbeurkunde sei das Formularfeld für das Todesdatum nicht ausgefüllt worden; dies sei insbesondere im Hinblick darauf nicht nachvollziehbar, dass in weiterer Folge das exakte Datum im Beschwerdeschriftsatz genannt werden konnte. Es sei auch nicht behauptet worden, dass das Datum erst später bekannt geworden sei. Insofern dränge sich der Eindruck geradezu zwingend auf, dass die Sterbeurkunde gefälscht worden sei. Zudem sei dem Antragsformular eine Heiratsurkunde beigefügt worden, die am 28. November 2017 und damit zu einem Zeitpunkt ausgestellt worden sei, als die Mutter des Beschwerdeführers bereits verstorben gewesen sein müsste. Vor diesem Hintergrund würden auch die Fotos des Grabsteins als Nachweis des Todes der Mutter des Beschwerdeführers nicht tauglich erscheinen. In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht dann mit Verweis auf die Beweiswürdigung aus, dass die Familieneigenschaft iSd §35 AsylG nicht glaubhaft gemacht worden sei.

6. In seiner auf Art144 B VG gestützten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, die angefochtene Entscheidung sei willkürlich ergangen, da kein Sachverständiger beigezogen worden sei, der die Echtheit der Urkunde prüfen hätte können. Auf Grund der Kriegswirren in Syrien, insbesondere in der Provinz Idlib, gebe es kein Personenstandsregister, das mit dem österreichischen vergleichbar sei. Es komme regelmäßig zu Bombenangriffen; die vielen Toten würden häufig in Massengräbern begraben. Zudem stelle es ein beträchtliches Sicherheitsrisiko dar, solche Unterlagen zu beschaffen. Es sei daher nachvollziehbar, dass eine Sterbeurkunde kein Sterbedatum enthalte. Es seien alle Voraussetzungen des §35 Abs1 iVm §60 Abs2 Z1 bis 3 AsylG erfüllt; bei dem Beschwerdeführer handle es sich unstrittig um den Sohn der in Österreich asylberechtigten Bezugsperson. Dies sei sowohl von der ÖB Ankara als auch vom Bundesverwaltungsgericht so festgestellt worden. Das Bundesverwaltungsgericht setze sich des Weiteren nicht ausreichend mit dem Kindeswohl auseinander; der Beschwerdeführer lebe mittlerweile seit Jahren bei der Schwester des Vaters in prekären Verhältnissen. Es führe zu einer Beeinträchtigung seiner Entwicklung, wenn er ohne seine Eltern aufwachsen müsse. Das Bundesverwaltungsgericht begründe schließlich in keiner Weise, weshalb überhaupt eine Sterbeurkunde vorzulegen sei. Es stütze sich in diesem Punkt – wie auch die ÖB Ankara – auf einen Generalerlass des BFA zum Familienverfahren. Dort werde ausgeführt, dass bei Familienzusammenführungen, bei denen lediglich das Kind und nicht auch der andere Elternteil nachgeholt werden soll, die Zustimmung der anderen obsorgeberechtigten Person bzw ein Nachweis über deren Tod vorzulegen sei. Die Ausführungen des Erlasses deckten sich in keiner Weise mit dem Gesetz. Insofern verletze die angefochtene Entscheidung Art8 EMRK, da die Annahme, dass eine Sterbeurkunde überhaupt vorgelegt werden müsse, nicht von §35 AsylG gedeckt sei. Die Entscheidung sei daher gesetzlos ergangen.

Überdies werde der Beschwerdeführer durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt: So schreibe §11a Abs2 erster Satz FPG vor, dass Beschwerdeverfahren in Visaangelegenheiten ohne mündliche Verhandlung durchzuführen seien. Dies verstoße gegen Art6 EMRK. Die Unstimmigkeiten in Bezug auf das Datum hätten in einer mündlichen Verhandlung bereinigt werden können.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen.

8. Die ÖB Ankara hat eine Gegenschrift erstattet, in der den Beschwerdebehauptungen im Wesentlichen wie folgt entgegengetreten wird:

Zur Qualifizierung der Sterbeurkunde als Fälschung sei festzuhalten, dass dies zum einen von einem fähigen Mitarbeiter der ÖB Ankara und zum anderen von einem Dokumenten- und Visumsberater der Deutschen Botschaft festgestellt worden sei. Der Untergrunddruck sei im tintenbasierenden Verfahren durch einen Tintenstrahldrucker aufgebracht worden, sohin durch einen herkömmlichen Drucker, wie man ihn im privaten Bereich benutze. Bei echten syrischen Sterbeurkunden werde der Untergrunddruck hingegen im Offset-Druckverfahren erstellt, einer viel hochwertigeren Druckvariante. Der Unterschied zwischen den beiden Druckvarianten sei bereits für Laien erkennbar. Es sei keineswegs willkürlich, dass das Bundesverwaltungsgericht kein Sachverständigengutachten eingeholt, sondern sich auf die Beurteilung der beiden geschulten Botschaftsmitarbeiter gestützt habe. Im Hinblick auf eine Totalfälschung sei angesichts der Anwendbarkeit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (FamilienzusammenführungsRL) daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der Grundsatz des Verbots von Betrug einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstelle, der von den Rechtsunterworfenen zu beachten sei. Zwar erschwere die derzeit "mangelnde bzw gänzlich fehlende Verwaltung in Syrien das Einholen von Auszügen etwa aus Personenstands- oder Heiratsregister". Das erkläre jedoch nicht, weshalb das Sterbedatum bei der Neuausstellung der im Visumsverfahren erforderlichen Unterlagen – etwa der Heiratsurkunde – nicht nachgetragen worden sei.

Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung von Art8 EMRK sei auf die FamilienzusammenführungsRL zu verweisen, wonach minderjährigen Kindern des Zusammenführenden die Einreise und den Aufenthalt gewährt wird, wenn der Zusammenführende das Sorgerecht besitzt und für den Unterhalt aufkommt. Bei geteiltem Sorgerecht können die Mitgliedstaaten die Zusammenführung gestatten, sofern der andere Elternteil seine Zustimmung erteilt. Folglich besitze ein Elternteil nur dann das Sorgerecht, wenn er "allein" sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Eine richtlinienkonforme Interpretation gebiete dementsprechend die Zustimmung des anderen oder allenfalls nur "allein" sorgeberechtigten Elternteils zur Zusammenführung. Eine solche "alleinige" Sorgeberechtigung fordere aber eine Sterbeurkunde des anderen Obsorgeberechtigten/Elternteils. Davon, dass zum Beleg für eine "alleinige" Sorgeberechtigung, eine Sterbeurkunde des anderen Obsorgeberechtigten/Elternteils vorliegen müsse, sei das Bundesverwaltungsgericht ausgegangen.

In Bezug auf die vorgebrachte Verfassungswidrigkeit von §11a Abs2 erster Satz FPG beruft sich die ÖB Ankara im Wesentlichen auf die Materialien zu dieser Bestimmung und führt zusammengefasst aus, die gesetzliche Untersagung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei erforderlich, da andernfalls der Sinn und Zweck der Visaversagung konterkariert würde. Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung würde nämlich gerade einen Einreisetitel voraussetzen, um dessen Erteilung es im Verfahren gehe. Da §11a Abs2 erster Satz FPG den "Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen" bzw den "Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer" entspreche, sei diese Bestimmung auch im Lichte des Art47 GRC gerechtfertigt. Parteiengehör würde im Verfahren durch Stellungnahmerechte gewahrt werden.

II. Rechtslage

Die §§35 und 60 AsylG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 145/2017, lauten auszugsweise wie folgt:

"Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß §34 Abs1 Z1 iVm §2 Abs1 Z13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 zu erfüllen.

[…]

(3) Wird ein Antrag nach Abs1 oder Abs2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art8 Abs2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs1 letzter Satz oder Abs2 die Voraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß §9 Abs2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß §11 Abs5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß §17 Abs1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen

§60. […]

(2) Aufenthaltstitel gemäß §56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,

2. der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,

3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§11 Abs5 NAG) führen könnte

[…]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:

2.1. §35 Abs1 AsylG regelt das Verfahren betreffend Anträge auf Einreise von Angehörigen von in Österreich Asylberechtigten bei den Vertretungsbehörden zum Zweck der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich. Anders als im Familienverfahren gemäß §34 AsylG befindet sich der Familienangehörige noch nicht in Österreich; vielmehr geht es um die Zusammenführung von nicht gemeinsam in Österreich aufhältigen Angehörigen. Familienangehörige im Sinne des §35 Abs5 AsylG sind unter anderem minderjährige ledige Kinder. Stellen Familienangehörige einen solchen Antrag bei der entsprechenden Vertretungsbehörde, hat diese ein Visum zu erteilen, sofern das BFA mitteilt, dass die Zuerkennung von Asyl wahrscheinlich ist (§35 Abs4 AsylG). Wird der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels – wie im vorliegenden Fall – nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt gestellt, an dem der Bezugsperson rechtskräftig der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 AsylG zu erfüllen (§35 Abs1 iVm Abs4 Z3 AsylG); es müssen also eine ortsübliche Unterkunft und Krankenversicherungsschutz vorliegen, zudem darf der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen.

2.2. Sowohl die ÖB Ankara als auch das BFA und das Bundesverwaltungsgericht stellen fest, dass alle Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 AsylG erfüllt worden seien. Allerdings handle es sich bei der nach Aufforderung vorgelegten Sterbeurkunde der Mutter des Beschwerdeführers um eine Totalfälschung, daher sei der Antrag bzw die Beschwerde abzuweisen. Antrag und Beschwerde werden damit als zulässig erachtet; die ÖB Ankara wie auch das Bundesverwaltungsgericht gehen sohin davon aus, dass der Beschwerdeführer rechtmäßig vertreten ist. Das Erfordernis der Zustimmung der im Herkunftsland verbleibenden obsorgeberechtigten Person bzw der Nachweis über deren Ableben wird folglich nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern als materielle Erteilungsvoraussetzung für einen Einreisetitel gemäß §35 AsylG geprüft. Weder aus dem Bescheid bzw der Beschwerdevorentscheidung der ÖB Ankara noch aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes geht hervor, auf Grund welcher Rechtsvorschrift der Nachweis der Zustimmung der im Herkunftsstaat verbleibenden obsorgeberechtigten Person bzw deren Ablebens verlangt wird. Vielmehr bleibt offen, woraus sich diese Voraussetzung für die Erteilung eines Visums ergeben soll. Aus der bekämpften Entscheidung ergibt sich lediglich, dass das BFA im Rahmen der gemäß §35 Abs4 AsylG zu erstellenden Wahrscheinlichkeitsprognose mangels Vorlage der Sterbeurkunde die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als "nicht wahrscheinlich" qualifizierte, weshalb der Antrag in weiterer Folge abgewiesen wurde.

2.3. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern §35 AsylG eine derartige materielle Erteilungsvoraussetzung aufstellt. Auch führt das Bundesverwaltungsgericht keine Rechtsgrundlage für seine rechtliche Beurteilung an. Die angefochtene Entscheidung entbehrt daher einer gesetzlichen Grundlage und ist sohin gesetzlos ergangen.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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