E50/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, ein Staatsangehörige des Irak, stammt aus Tel Keppe in der Provinz Ninawa, ist Angehörige des jesidischen Glaubens und der kurdischen Volksgruppe. Sie stellte am 24. März 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführerin gab an, dass sie als Jesidin von Moslems diskriminiert werde und die Lage in ihrem Herkunftsstaat unsicher sei.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) vom 26. Juni 2014 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (in Folge: AsylG 2005) abgewiesen. Der Beschwerdeführerin wurde gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, welche mit Bescheid vom 26. August 2019 bis zum 26. Juni 2021 verlängert wurde.
3. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid vom 26. Juni 2014 Beschwerde, in der sie im Wesentlichen die weitere, schwerwiegende Verschlechterung für Angehörige der jesidischen Glaubensgemeinschaft im Norden des Irak darstellte und vorbrachte, dass das BFA die Lage von jesidischen Frauen nicht berücksichtigt habe.
4. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 1. März 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die abweisende Asylentscheidung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. November 2018 ab. In der Begründung der abweisenden Entscheidung wird insbesondere Folgendes ausgeführt (vgl S 31 des angefochtenen Erkenntnisses):
"3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
[…]
Auf Grund der herangezogenen Berichtslage und unter Berücksichtigung notorischer Umstände ergibt sich, dass die Mehrzahl der Jeziden im Nordirak, vor allem in Gebiet um die Städte Sinjar, Scheikhan und in der Provinz Dohuk siedeln. […] Seit der Vertreibung des IS ist eine Gefährdung der Jeziden durch diesen nicht mehr gegeben und kann aktuell eine Gruppenverfolgung von Jeziden im Irak nicht festgesellt werden. Aus der Berichtslage ergibt sich auch nicht, dass Jeziden im Nordirak nicht das zum Leben unbedingt Notwendige erlangen könnten. Die bloße Zugehörigkeit zur jezidischen Religion bildet daher noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung."
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art47 GRC) behauptet wird. Begründend wird ua ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht seinen Feststellungen veraltete Länderberichte zugrunde gelegt habe, das Verfahren nicht innerhalb einer angemessenen Frist erledigt habe sowie missachtet habe, dass ein Familienverfahren gemäß §34 Abs1 AsylG 2005 vorliege. Zudem wurden Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §34 Abs6 Z2 AsylG 2005 vorgebracht.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.
II. Rechtslage
§34 AsylG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 lautet:
"4. Abschnitt
Sonderbestimmungen für das Familienverfahren
Familienverfahren im Inland
§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß §12a Abs4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 NAG)."
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund der länderkundlichen Informationen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin davon aus, dass es keinen maßgeblichen Hinweis auf eine systematische Verfolgung von Angehörigen der jesidischen Religionsgemeinschaft im gesamten Staatsgebiet des Irak gebe. Die schwierige allgemeine Lage von Angehörigen einer Religionsgemeinschaft für sich allein sei nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun. Seit der Vertreibung des Islamischen Staates sei eine Gefährdung der Jesiden im Irak nicht mehr gegeben und könne aktuell eine Gruppenverfolgung von Jesiden im Irak nicht festgestellt werden. Die bloße Zugehörigkeit zur jesidischen Religion bilde daher noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung (vgl S 31 des angefochtenen Erkenntnisses).
2.2. Dies steht im Widerspruch zu den im Erkenntnis wiedergegebenen Länderfeststellungen (Quelle: Deutsches Auswärtiges Amt – Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 7. Februar 2017 und 12. Februar 2018; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA – Irak, Stand 24. August 2017): Diesen zufolge werde ein Teil des Landes (vor allem Teile der Herkunftsprovinz der Beschwerdeführerin) immer noch durch die Terrororganisation Islamischer Staat besetzt (vgl S 5 des angefochtenen Erkenntnisses). Die territoriale Zurückdrängung des Islamischen Staates im Laufe des Jahres 2016 habe die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegsführung des Islamischen Staates mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (vgl S 12 des angefochtenen Erkenntnisses). An anderer Stelle des Erkenntnisses wird ausgeführt, dass die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten im Nordirak in den Gebieten liegen, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates gestanden haben oder noch stünden. Hier komme es zur gezielten Verfolgung von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen . Zwar sei Sindschar, welches in der Herkunftsprovinz der Beschwerdeführerin liegt, von kurdischen Sicherheitskräften zurückerobert worden, eine unzureichende Sicherheitslage, große Zerstörungen und Rivalitäten verschiedener Peschmergagruppierungen und Milizen machten bislang eine Rückkehr der Bevölkerung unmöglich (vgl S 9 des angefochtenen Erkenntnisses).
2.3. In dem Erkenntnis finden sich keine Länderfeststellungen, aus denen sich ableiten lässt, dass sich die Herkunftsprovinz der Beschwerdeführerin bereits seit geraumer Zeit wieder unter der Kontrolle der irakischen Streitkräfte befinden würde und dass demgemäß dort keine Präsenz der Milizen des Islamischen Staates gegeben sei.
2.4. Vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte geht das Bundesverwaltungsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise davon aus, dass eine Gefährdung der Jesiden nicht mehr gegeben sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung daher mit Willkür belastet, da es Schlüsse aus den Länderfeststellungen gezogen hat, die weder mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vereinbar noch nachvollziehbar sind.
2.5. Im Übrigen bestehen vor dem Hintergrund des Beschwerdefalls keine Bedenken gegen §34 Abs6 Z2 AsylG 2005.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.