JudikaturVfGH

KI13/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 2019

Spruch

Ein Verfahren zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Oberlandesgericht Graz und dem Bundesverwaltungsgericht wird nicht eingeleitet.

Begründung

I. Anzeige

1. Mit einer auf §43 VfGG gestützten Anzeige wurde dem Verfassungsgerichtshof ein "offenkundig entstandener Kompetenzkonflikt zwischen dem Oberlandesgericht Graz und dem Bundesverwaltungsgericht iSd §43 VfGG iVm Art138 Abs1 Z2 B VG" mitgeteilt.

2. Aus den der Anzeige beigelegten gerichtlichen Entscheidungen ergibt sich Folgendes:

2.1. Mit Urteil vom 29. August 2018 wies das Landesgericht Leoben als Arbeits- und Sozialgericht im dritten Rechtsgang das Klagebegehren des nunmehrigen Anzeigers auf Leistung einer Versehrtenrente, in eventu auf Feststellung, dass näher bezeichnete gesundheitliche Beschwerden Folgen einer Berufserkrankung sind, ab. Das dagegen angerufene Oberlandesgericht Graz verwarf mit seinem Urteil vom 21. Februar 2019 die dagegen erhobene Berufung wegen Nichtigkeit und gab der Berufung im Übrigen keine Folge.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnis vom 19. April 2018, Z W 228 21708361/11E , die Bescheidbeschwerde des nunmehrigen Anzeigers gegen einen Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, womit festgestellt wurde, dass er auf Grund einer näher bezeichneten Tätigkeit im Zeitraum April 2016 als Dienstnehmer der Vollversicherung nach ASVG und der Arbeitslosenversicherung nach dem AlVG unterlegen sei, als unbegründet ab. Zum Zeitpunkt der Anzeige behängt beim Bundesverwaltungsgericht eine Bescheidbeschwerde des nunmehrigen Anzeigers gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 31. Jänner 2019, mit dem einerseits ein Antrag des Anzeigers betreffend Versicherungspflicht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, anderseits Beiträge auf Basis einer bestimmten Beitragsgrundlage für den Zeitraum April 2016 nachverrechnet wurden.

2.3. Sowohl das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten als auch die Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht befass(t)en sich im Vorfragen- bzw Sachverhaltsbereich mit der Feststellung und Bewertung von Arbeiten, die der Anzeiger im April 2016 durchgeführt hat.

2.4. Nach Auffassung des Anzeigers ergibt sich daraus "zweifelsfrei ein Kompetenzkonflikt zur Bewertung der Tätigkeiten des Anzeigers im April 2016 iSd §539a ASVG zwischen dem ordentlichen Gericht OLG Graz im Verfahren 7 Rs 73/18m bzw dessen nachfolgend zuständigen ordentlichen Gerichte und dem Verwaltungsgericht BVwG im Verfahren W 228 2115938-1/4Z".

II. Rechtslage

§43 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG), BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013 , lautet:

"§43. (1) Ist ein Kompetenzkonflikt dadurch entstanden, dass ein ordentliches Gericht und ein Verwaltungsgericht, ein ordentliches Gericht und der Verwaltungsgerichtshof oder der Verfassungsgerichtshof selbst und ein anderes Gericht (Art138 Abs1 Z2 B VG) die Entscheidung derselben Sache in Anspruch genommen haben (bejahender Kompetenzkonflikt), so hat der Verfassungsgerichtshof nur dann ein Erkenntnis zu fällen, wenn von einem der genannten Gerichte ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache noch nicht gefällt ist.

(2) Hat ein Gericht bereits einen rechtskräftigen Spruch in der Hauptsache gefällt, so bleibt die alleinige Zuständigkeit dieses Gerichtes aufrecht.

(3) Lag ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache noch nicht vor, so ist das Verfahren zur Entscheidung des Kompetenzkonfliktes einzuleiten, sobald der Verfassungsgerichtshof von dem Entstehen des Konfliktes, sei es durch Anzeige eines im Abs1 bezeichneten Gerichtes oder der an der Sache beteiligten Behörden oder Parteien, sei es durch den Inhalt seiner eigenen Akten, Kenntnis erlangt.

(4) Die im Abs3 genannten Behörden sind zu dieser Anzeige verpflichtet.

(5) Die Einleitung des Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof unterbricht das bei dem betreffenden Gericht anhängige Verfahren bis zur Entscheidung des Kompetenzkonfliktes."

III. Erwägungen

1. Die Einleitung eines Verfahrens zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes ist unzulässig:

2. Gemäß Art138 Abs1 Z2 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua über Kompetenzkonflikte zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß §43 Abs3 VfGG ein Verfahren zur Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes einzuleiten, sobald er von dem Entstehen eines Kompetenzkonfliktes Kenntnis erlangt und ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache noch nicht vorliegt.

3. Gemäß §43 Abs1 VfGG besteht ein bejahender Kompetenzkonflikt zwischen einem ordentlichen Gericht und einem Verwaltungsgericht, zu dessen Entscheidung der Verfassungsgerichtshof gemäß Art138 Abs1 Z2 B VG berufen ist, wenn ein ordentliches Gericht und ein Verwaltungsgericht die Entscheidung derselben Sache in Anspruch genommen haben. Ein solcher bejahender Kompetenzkonflikt kann dabei aber nur dann gegeben sein, wenn eines der beiden Gerichte zu Unrecht die Entscheidung in derselben Sache in Anspruch nimmt (vgl VfSlg 1351/1930 , 1720/1948 ).

4. Eine Voraussetzung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes ist demnach jedenfalls, dass die befassten Gerichte die Entscheidung "derselben Rechtssache" in Anspruch nehmen. Ob dieselbe Sache und damit Identität der Sache vorliegt, ist insbesondere danach zu beurteilen, ob die vom Einschreiter an die Gerichte gestellten Begehren identisch sind (vgl VfSlg 19.997/2015, 20.164/2017; VfGH 28.2.2018, KI5/2017) und ob dieselben Rechtsvorschriften auf denselben Sachverhalt angewendet werden (vgl VfSlg 16.682/2002, 17.678/2005), wobei es allerdings nicht auf die in den Erledigungen verwendeten Formulierungen und die darin zitierten Rechtsvorschriften ankommt (vgl VfSlg 14.295/1995, 14.383/1995, 20.164/2017) und nicht ausschließlich auf die Formulierung der jeweiligen Sprüche abzustellen ist, sondern auch auf die Gründe der Entscheidungen Bedacht genommen werden muss (vgl VfSlg 5478/1966, 14.295/1995, 14.769/1997, 19.499/2011, 20.164/2017). Keine Kompetenzkonflikte sind hingegen Bindungskonflikte (vgl VfSlg 1341/1930, 1720/1948, 2899/1955, 9060/1981) oder divergierende Beurteilungen von Vorfragen.

5. Im angezeigten Fall haben die ordentlichen Gerichte über einen geltend gemachten Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung bzw auf Feststellung einer Berufserkrankung, das Bundesverwaltungsgericht hingegen über die Frage der Versicherungspflicht im April 2016 nach ASVG und AlVG entschieden bzw zu entscheiden. Ein bejahender Kompetenzkonflikt iSd §43 Abs1 VfGG besteht daher mangels Identität der Sache offenkundig nicht. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die ordentlichen Gerichte ihren Entscheidungen – abweichend vom Bundesverwaltungsgericht – für den April 2016 bloß eine Beschäftigung in geringfügigem Ausmaß zugrunde gelegt hätten.

6. Bei diesem Ergebnis kann ferner dahinstehen, ob der Einleitung eines Verfahrens zur Entscheidung eines positiven Kompetenzkonflikts auch noch andere Prozesshindernisse, so etwa ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache iSd §43 Abs3 VfGG, entgegenstehen.

IV. Ergebnis

1. Schon aus diesem Grund ist es dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, ein Verfahren zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes einzuleiten.

2. Dies konnte gemäß Art19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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