JudikaturVfGH

E2449/2018 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Oktober 2018

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Vorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein iranischer Staatsangehöriger, der am 26. Juni 1991 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Juni 1992 wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2. Zwischen 1992 und 2015 wurde der Beschwerdeführer zwölfmal wegen Vermögens-, Suchtgift- und Waffendelikten in Österreich strafgerichtlich verurteilt. Zuletzt wurde er durch Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 1. September 2015 unter anderem wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach §28 Abs1 2. Satz SMG zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. In der Folge wurde die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre und vier Monate herabgesetzt.

3. Am 28. Februar 2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er unter anderem an, in den Iran zurückkehren zu wollen, weshalb er Kontakt zum iranischen Konsulat habe. Er wolle eine Zusicherung des Konsuls, dass er bei einer Rückkehr in den Iran nicht auf Grund seiner Verurteilungen in Österreich bestraft werde.

4. Mit Bescheid vom 15. Februar 2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten ab und stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm nicht zuerkannt (Spruchpunkt II), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III), eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV) und ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V) sowie festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt VI), und eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VII).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der er nochmals ausführte, Kontakt zum iranischen Konsul gehabt zu haben, weshalb die Gefahr bestehe, dass die iranischen Behörden von seinen Straftaten erfahren hätten. Zudem sei er in einem – nicht näher spezifizierten – Zeitungsartikel erwähnt worden. Im Iran würde bei Verurteilungen wegen Drogendelikten die Todesstrafe angewandt und das iranische Recht kenne kein Verbot der Doppelbestrafung.

6. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 7. Mai 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Zur Begründung der abweisenden Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht u.a. wörtlich aus:

"Zu den Beschwerdeausführungen, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe einer Doppelbestrafung oder der Todesstrafe unterworfen zu werden ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer lediglich oberflächlich vorbrachte in einem Zeitungsartikel erwähnt worden zu sein, woraufhin die Iranische Botschaft auf ihn aufmerksam geworden sei. Konkrete Ausführungen, über den Inhalt und die Erscheinung des Zeitungsartikels wurden nicht vorgebracht. Auch ist darauf aufmerksam zu machen, dass den Ausführungen des Beschwerdeführers zu Folge, er rückkehrwillig zu sein und dass das Gespräch mit dem Konsul gut verlaufen sei. Zum Inhalt des Gespräches wurde, bzw ob und inwiefern er über seine Straftaten im Bundesgebiet berichtet habe, führte er auch in der Beschwerde nicht näher aus, weshalb nicht davon ausgegangen werden muss, es bestünde im Fall seiner Rückkehr die tatsächliche Gefahr einer Doppelbestrafung bzw der Anordnung der Todesstrafe.

Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist keine fehlerhafte Verfahrensführung vorzuwerfen. Führt es in der angefochtenen Entscheidung doch aus, dass die iranische Rechtslage die Zulässigkeit einer Doppelbestrafung nicht ausschließt. Derartige Fälle seien in der jüngsten Vergangenheit jedoch nicht mehr bekannt geworden. Hinsichtlich des Ausspruches der Todesstrafe bei Drogendelikten führt es aus, dass diese nur bei qualifizierten Delikten des Drogenhandels zwingend vorgesehen sei.

Die Ausführungen in der Beschwerde können der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht entgegentreten, besteht diesen zu Folge die Gefahr einer weiteren Verfolgung allenfalls in Fällen, die aus der Sicht des iranischen Staates von besonderer Bedeutung sind, etwa in Fällen, in denen ein iranischer Staatsangehöriger Opfer einer Straftat ist oder die Straftat zur Gänze oder [t]eilweise auf iranischen Staatsgebiet stattgefunden hat, wie etwa im Fall der Nutzung des iranischen Hoheitsgebietes als Transitland für den Drogenschmuggel, oder Fälle die in der ausländischen Öffentlichkeit besonderes Aufsehen erregt haben und daher das Bild des Irans im Ausland schädigen zu können. Die das gegenständliche Aberkennungsverfahren einleitende Verurteilung erfüllt keine dieser Voraussetzungen."

7. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144 B VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift nicht erstattet.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt §21 Abs7 BFA VG den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art47 Abs2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (vgl VfSlg 19.632/2012).

Das Absehen von einer gebotenen mündlichen Verhandlung stellt hingegen eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art47 Abs2 GRC dar (VfGH 13.3.2013, U1175/12 ua; 26.6.2013, U1257/2012; 22.9.2014, U2529/2013).

2. Eine solche Verletzung in Art47 Abs2 GRC liegt aus folgendem Grund vor:

2.1. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes beruht im Wesentlichen bloß auf Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend die Zulässigkeit der Doppelbestrafung und der Todesstrafe im Iran. Über das Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich den aus dem Kontakt mit dem iranischen Konsul sowie dem angeführten Zeitungsartikel resultierenden Behauptungen, ihm drohe bei einer Rückkehr in den Iran die Todesstrafe, hat sich das Bundesverwaltungsgericht selbst mangels mündlicher Verhandlung kein Bild gemacht. Es begnügt sich vielmehr mit der Feststellung, dass "konkrete Ausführungen[…] über den Inhalt und die Erscheinung des Zeitungsartikels […] nicht vorgebracht" wurden und "zum Inhalt des Gespräches […] ob und inwiefern er über seine Straftaten im Bundesgebiet berichtet habe, […] in der Beschwerde nicht näher" ausgeführt wurde.

2.2. Im Übrigen ergibt sich aus den Länderfeststellungen betreffend den Heimatstaat des Beschwerdeführers, dass das von ihm geschilderte Vorbringen Relevanz für die Beurteilung des subsidiären Schutzes entfalten könnte. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Entscheidung auf Länderfeststellungen, denen zufolge im Iran die Todesstrafe auf Drogenschmuggel und Drogenkonsum stehe, die Anzahl von Exekutionen auch in den letzten Jahren vor allem bei Drogenvergehen hoch geblieben sei und Iraner für bestimmte Straftaten, die im Ausland begangen und bestraft worden seien, zusätzlich nach iranischen Gesetzen bestraft würden.

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht durfte daher jedenfalls nicht durch bloßes Aktenstudium davon ausgehen, dass der Sachverhalt im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer Verletzung der durch Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der durch das 6. oder 13. ZPEMRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers geklärt ist.

2.4. Die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung lagen nicht vor.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 GRC verletzt worden.

Das angefochtene Erkenntnis ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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