JudikaturVfGH

V72/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2017

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antragsvorbringen

1. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z3 B VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, "den Bebauungsplan der Gemeinde Going im Planungsbereich betreffend die Liegenschaft Auweg betreffend das [Grundstück] 141/2 inliegend der KG 82103 Going, vom Gemeinderat am 18.11.2015 beschlossen, kundgemacht gemäß §68 TROG 2011, 113 Abs3 TROG 2011 iVm §67 TROG 2006 vom 27.01.2016 bis 11.02.2016, aufsichtsbehördlich zur Kenntnis genommen durch die Tiroler Landesregierung am 02.03.2016 zur Zl. RoBau-2-404/80-2-2016" als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Hinsichtlich ihrer Antragslegitimation bringt die Einschreiterin vor, sie sei Eigentümerin des Gst. Nr 144/2, KG 82103 Going, welches Gst. Nr 141/2 unmittelbar benachbart sei. Beide Liegenschaften lägen unmittelbar im Planungsbereich des Bebauungsplans.

Die auf Gst. Nr 141/2 bereits bestehende bauliche Anlage verfüge nicht über eine baurechtlich ausreichende, den gesamten tatsächlichen Bestand umfassende Bewilligung iSd §§20 ff. Tiroler Bauordnung 2011 ("TBO 2011") und unterschreite die Mindestabstandsbestimmungen des §6 TBO 2011. Der Bebauungsplan lege ausschließlich für das GSt. Nr 141/2 einen von den in §6 TBO 2011 normierten Abständen baulicher Anlagen von den übrigen Grundstücksgrenzen und von anderen baulichen Anlagen abweichenden geringeren Mindestabstand fest und "saniere" die Abstandsunterschreitung. Im Hinblick auf das Grundstück der Antragstellerin führe der Bebauungsplan zu einer Einschränkung der Nutzbarkeit. Die Antragstellerin sei in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B VG durch Anwendung des rechtswidrigen Bebauungsplanes verletzt. Die Antragstellerin werde von der Verordnung unmittelbar beeinträchtigt, ohne dass es eines weiteren Rechtsaktes bedürfe. Die aktuelle Betroffenheit sei durch die bereits bestehende bauliche Anlage am Nachbargrundstück gegeben; ein zumutbarer Umweg sei nicht gegeben, weil die Antragstellerin nicht hinsichtlich der bereits bebauten Liegenschaft des Nachbarn einen Baubewilligungsantrag stellen könne.

II. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

2. Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die bekämpfte Verordnung für den Antragsteller nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (VfSlg 8058/1977 unter Hinweis auf VfSlg 8009/1977). Zu untersuchen ist vom Verfassungsgerichtshof hierbei lediglich, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Rechtswirkungen vorliegen (VfSlg 8060/1977, 10.593/1985, 11.453/1987, 15.943/2000; VfGH 19.11.2015, V135/2015).

Nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist nämlich erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird durch einen für ein Nachbargrundstück geltenden (Flächenwidmungs- oder) Bebauungsplan zwar in die Rechtssphäre des Nachbarn eingegriffen, weil diese Verordnung zur Folge hat, dass – nach Maßgabe der in Betracht kommenden Rechtsvorschriften – für Bauten auf der Nachbarparzelle baubehördliche Bewilligungen erteilt werden dürfen bzw. die Bebauung in größerem Umfang als auf Grund der früheren Rechtslage möglich ist. Eine solche Verordnung greift aber nicht unmittelbar in die Rechtssphäre des Nachbarn ein, weil ein solcher unmittelbarer Eingriff erst durch einen für das Nachbargrundstück erteilten Baubewilligungsbescheid bewirkt wird (vgl. zB VfSlg 16.425/2002; VfGH 11.6.2014, V49/2012, jeweils mwN).

4. Der Antrag auf Aufhebung des Bebauungsplans, der sich auf ein Nachbargrundstück der Antragstellerin bezieht, ist mangels unmittelbarer Betroffenheit der Antragstellerin als unzulässig zurückzuweisen. An dieser Beurteilung vermag nichts zu ändern, dass nach dem Vorbringen der Antragstellerin auf der betreffenden Liegenschaft rechtswidrige Bauführungen getätigt wurden. Ein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin würde erst durch eine allfällige Bewilligung dieser Bauführungen eintreten. Gegebenenfalls hätten gegen einen gesetzwidrigen Zustand auf dem Nachbargrundstück die Gemeindebehörden, bei deren Untätigbleiben allenfalls die Aufsichtsbehörde, von Amts wegen einzuschreiten (VfSlg 12.207/1989).

Da die Antragslegitimation der Antragstellerin schon aus diesem Grund nicht gegeben ist, erübrigt sich die Prüfung, ob der Antrag auch aus anderen Gründen unzulässig ist.

III. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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