JudikaturVfGH

G356/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2017

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Sachverhalt, Antrag und Vorverfahren

1. Mit Urteil vom 27. Juli 2015, 10 Cg 122/14y, wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz das Begehren der klagenden Partei (der beteiligten Partei im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof) ab, die beklagten Parteien (die antragstellenden Parteien im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof) mögen es im geschäftlichen Verkehr im Rahmen des Betriebs eines näher bezeichneten Einkaufszentrums unterlassen, einen Verkehr von Personen und/oder Fahrzeugen zwischen den als "Häuser 7 und 5" bezeichneten Bauteilen über einen Teil des zwischen diesen Bauwerken errichteten Verbindungsbauwerks zuzulassen und/oder zu dulden, den Verbindungsbau zu nutzen und/oder ihn durch Besucher, insbesondere Kunden, nutzen zu lassen, und den dem Unterlassungsbegehren widerstreitenden Zustand durch Abbruch, in eventu durch Sperre des Verbindungsbauwerks beseitigen.

2. Gegen dieses Urteil erhob die klagende Partei am 14. September 2015 Berufung an das Oberlandesgericht Graz und brachte am selben Tag einen Antrag gemäß Art139 Abs1 Z4 B VG beim Verfassungsgerichtshof ein, der mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Oktober 2016, V121/2015 ua., zurückgewiesen wurde.

3. Nach Zustellung der Berufung an die beklagten Parteien am 18. September 2015 erstatteten diese am 14. Oktober 2015 eine Berufungsbeantwortung. Erst am 12. Oktober 2016 stellten die beklagten Parteien den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG auf Aufhebung der Wortfolge "oder sonstige unlautere Handlung" in §1 Abs1 Z1 UWG, der Wortfolge "den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und" in §1 Abs1 Z2 UWG, des Wortes "insbesondere" in §1 Abs3 UWG und des §1 Abs4 Z8 UWG zur Gänze, in eventu der Wortfolge "1. eine unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung anwendet, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen, oder 2." in §1 Abs1 UWG wegen Verfassungswidrigkeit.

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrags bestreitet und in der Sache den verfassungsrechtlichen Bedenken entgegentritt.

5. Die beteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrags bestreitet und in der Sache den verfassungsrechtlichen Bedenken entgegentritt.

II. Rechtslage

1. §1 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 – UWG, BGBl 448/1984, idF BGBl I 79/2007, lautet:

"I. ABSCHNITT

ZIVILRECHTLICHE UND STRAFRECHTLICHE BESTIMMUNGEN

1. Handlungen unlauteren Wettbewerbes

Unlautere Geschäftspraktiken

§1. (1) Wer im geschäftlichen Verkehr

1. eine unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung anwendet, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen, oder

2. eine unlautere Geschäftspraktik anwendet, die den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und in Bezug auf das jeweilige Produkt geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet, wesentlich zu beeinflussen,

kann auf Unterlassung und bei Verschulden auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden.

(2) Wendet sich eine Geschäftspraktik an eine Gruppe von Verbrauchern, so ist Durchschnittsverbraucher das durchschnittliche Mitglied dieser Gruppe. Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern, die voraussichtlich in einer für den Unternehmer vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrundeliegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.

(3) Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die

1. aggressiv im Sinne des §1a oder

2. irreführend im Sinne des §2

sind.

(4) Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet

1. 'Produkt' jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, Rechten und Verpflichtungen;

2. 'Geschäftspraktik' jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Unternehmens, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts zusammenhängt;

3. 'wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers' die Anwendung einer Geschäftspraktik, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte;

4. 'Verhaltenskodex' eine Vereinbarung oder einen Vorschriftenkatalog, die bzw. der nicht durch die Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates der Europäischen Union vorgeschrieben ist und das Verhalten der Unternehmen definiert, die sich in Bezug auf eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken oder Wirtschaftszweige zur Einhaltung dieses Kodex verpflichten;

5. 'Aufforderung zum Kauf' jede kommerzielle Kommunikation, welche die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen;

6. 'unzulässige Beeinflussung eines Verbrauchers' die Ausnutzung einer Machtposition gegenüber dem Verbraucher zur Ausübung von Druck – auch ohne die Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt –, wodurch die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, wesentlich eingeschränkt wird;

7. 'geschäftliche Entscheidung eines Verbrauchers' jede Entscheidung dessen darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen;

8. 'berufliche Sorgfalt' den Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei dem billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass ihn der Unternehmer gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten in seinem Tätigkeitsbereich anwendet.

(5) Der Unternehmer hat in Verfahren auf Unterlassung oder Schadenersatz nach Abs1 bis 3 die Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit einer Geschäftspraktik zu beweisen, wenn ein solches Verlangen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Unternehmers und anderer Marktteilnehmer wegen der Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint."

III. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2. Nach der Aufhebung bestimmter Teile des §62a VfGG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2016, G95/2016, ist das zeitliche Verhältnis zwischen der Erhebung eines Rechtsmittels bzw. der Rechtsmittelbeantwortung und dem Parteiantrag vor dem Verfassungsgerichtshof unmittelbar vor dem Hintergrund des Art140 Abs1 Z1 litd B VG zu beurteilen. Demnach ist ein Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG durch den Rechtsmittelwerber rechtzeitig, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt wird, und durch den Rechtsmittelgegner – jedenfalls bei zweiseitigen Rechtsmitteln – rechtzeitig, wenn er während der Frist zur Beantwortung des Rechtsmittels erfolgt (VfGH 2.7.2016, G95/2016; vgl. auch VfGH 2.7.2015, G257/2015; 26.9.2016, G62/2016). Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit ist die Einbringung des Antrages beim Verfassungsgerichtshof.

3. Da der vorliegende Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG am 12. Oktober 2016 – und somit knapp ein Jahr nach der mit Ablauf des 16. Oktober 2015 verstrichenen vierwöchigen Frist gemäß §468 Abs2 ZPO für die Einbringung der Berufungsbeantwortung – beim Verfassungsgerichtshof eingebracht wurde, mangelt es den antragstellenden Parteien an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG.

4. Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob weitere Prozesshindernisse bestehen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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