JudikaturVfGH

E650/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2016

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.117,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

1. Am 30. September 2015 stellte der Magistrat der Stadt Wien im Rahmen einer Kontrolle einen Verstoß gegen das Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens durch im Eigentum der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft stehende Wettannahmeautomaten fest und verfügte die vorläufige Beschlagnahme dieser Eingriffsgegenstände. Mit an den Zweitbeschwerdeführer des gegenständlichen Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof als das gemäß §9 Abs1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft adressierten Bescheid vom 12. November 2015 verfügte der Magistrat der Stadt Wien wegen des Verdachts der Übertretung des §1 Abs1 GTBW-G gemäß §39 VStG die Beschlagnahme der Wettannahmeautomaten.

2. Gegen diesen Bescheid erhoben die erstbeschwerdeführende Gesellschaft und der Zweitbeschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, das die Beschwerde mit Erkenntnis vom 24. Februar 2016 als unbegründet abwies. Das Verwaltungsgericht Wien führte hierzu aus, die erstbeschwerdeführende Gesellschaft habe zum Zeitpunkt der Beschlagnahme über keine Bewilligung für die Vermittlung von Wettkunden nach dem Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens verfügt.

3. Gegen dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde. In dieser behaupten die Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens. Bei der erstmaligen Festlegung einer Bewilligungspflicht für die Vermittlung von Wetten mit der Novelle LGBl 26/2015 hätte der Landesgesetzgeber eine Übergangsfrist festlegen müssen, durch die es den betroffenen Unternehmen ermöglicht worden wäre, die erforderlichen Bewilligungen zu beantragen. Die erstbeschwerdeführende Gesellschaft habe die Tätigkeit zuvor rechtmäßig ausgeübt und unverzüglich nach Inkrafttreten der Novelle um Erteilung der entsprechenden Bewilligung angesucht. Das Fehlen einer Übergangsfrist habe zu einem "Quasi – Tätigkeitsverbot" für Wettkundenvermittler während der Dauer des Bewilligungsverfahrens geführt. Hierbei sei auch die drastische Anhebung der Strafdrohung zu berücksichtigen. Darüber hinaus entbehre das Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens einer näheren Festlegung der Bewilligungsvoraussetzungen. Damit sei es gleichheitswidrig und zu unbestimmt. Es sei nicht zulässig, Genehmigungserfordernisse nach "freier Verwaltungspraxis" festzulegen. Insbesondere müsste im Hinblick auf die Bewilligungsanforderungen zwischen Buchmachern, Totalisateuren und Wettkundenvermittlern unterschieden werden, die sich durch ihre Tätigkeit im Tatsächlichen unterschieden.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2016, G258/2016 9 ua., ausgesprochen, dass die Wortfolge "sowie die gewerbsmäßige Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden" in §1 Abs1, §1 Abs3a, die Wortfolge "wer ohne Bewilligung der Landesregierung aus Anlass sportlicher Veranstaltungen Wettkundinnen und Wettkunden gewerbsmäßig vermittelt" in §2 Abs1, die Wortfolge "oder die gewerbsmäßige Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden betreffend die im ersten Absatz bezeichneten Wetten" in §2 Abs2, §2 Abs3 Z2, die Wortfolge "oder die Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden betreffend der im ersten Absatz angeführten Wetten" in §2 Abs3 Z3, §2 Abs5 zweiter Satz sowie die Wortfolge "einer Vermittlerin oder eines Vermittlers von Wettkundinnen und Wettkunden" in §2a Abs1 des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. 388/1919, idF LGBl 26/2015, verfassungswidrig waren.

4.2. Gemäß Art140 Abs7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 4.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).

4.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 5. Dezember. 2016. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 11. April 2016 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Das Verwaltungsgericht Wien wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag, Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240 ,– enthalten.

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