E553/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.117,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
1. Der Erstbeschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof war bis zum 20. Oktober 2015 das gemäß §9 Abs1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der ** *** *********** ****, die Komplementärin der zweitbeschwerdeführenden Gesellschaft ist. Am 16. Juli 2015 fanden Kontrollen des Magistrats der Stadt Wien statt, bei denen Übertretungen des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens festgestellt und mehrere im Eigentum der zweitbeschwerdeführenden Gesellschaft stehende Wettterminals sowie Wettannahmeschalter vorläufig beschlagnahmt wurden. Nach Ansicht des Magistrats der Stadt Wien sei an diesen Standorten die Tätigkeit der Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden an eine Buchmacherin ohne die dafür erforderliche landesrechtliche Bewilligung ausgeübt worden. Mit Bescheiden vom 9. Oktober 2015 verfügte der Magistrat der Stadt Wien die Beschlagnahme der Eingriffsgegenstände.
2. Gegen die Bescheide des Magistrates der Stadt Wien vom 9. Oktober 2015 betreffend die Beschlagnahme der Eingriffsgegenstände erhoben die Beschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, das die Beschwerde mit Erkenntnis vom 10. Februar 2016 als unbegründet abwies. Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien dazu im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Beschlagnahme der Eingriffsgegenstände vorgelegen seien.
3. Gegen dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde. In dieser bringen die Beschwerdeführer unter anderem vor, die Novelle LGBl 26/2015 zum Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Durch die Änderung der Rechtslage sei die Tätigkeit der zweitbeschwerdeführenden Gesellschaft von heute auf morgen einer Bewilligungspflicht unterworfen worden. Kurz darauf seien bereits Kontrollen durchgeführt und Maßnahmen gegen konsenslose Tätigkeiten gesetzt worden. Damit seien die Beschwerdeführer von der geänderten Rechtslage "völlig überrascht" worden. Da es ihnen nicht möglich gewesen sei, die Tätigkeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die rechtzeitig beantragte Bewilligung auszuüben, hätte die Novelle einer Übergangsregelung bedurft.
4. Die Beschwerdeführer erstatteten eine ergänzende Stellungnahme zu den Ausführungen in ihrer Beschwerde.
5. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentrat.
6. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
6.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2016, G258/2016 ua., ausgesprochen, dass die Wortfolge "sowie die gewerbsmäßige Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden" in §1 Abs1, §1 Abs3a, die Wortfolge "wer ohne Bewilligung der Landesregierung aus Anlass sportlicher Veranstaltungen Wettkundinnen und Wettkunden gewerbsmäßig vermittelt" in §2 Abs1, die Wortfolge "oder die gewerbsmäßige Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden betreffend die im ersten Absatz bezeichneten Wetten" in §2 Abs2, §2 Abs3 Z2, die Wortfolge "oder die Vermittlung von Wettkundinnen und Wettkunden betreffend der im ersten Absatz angeführten Wetten" in §2 Abs3 Z3, §2 Abs5 zweiter Satz sowie die Wortfolge "einer Vermittlerin oder eines Vermittlers von Wettkundinnen und Wettkunden" in §2a Abs1 des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. 388/1919, idF LGBl 26/2015, verfassungswidrig waren.
6.2. Gemäß Art140 Abs7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 6.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).
6.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 5. Dezember 2016. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 25. März 2016 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Das Verwaltungsgericht Wien wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
7. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag, Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240 ,– enthalten.