G294/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, §111 und §152 Strafgesetzbuch (StGB), BGBI. 60/1974, in der Fassung BGBl I 112/2015, als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Mit Urteil vom 18. März 2016 verurteilte das Bezirksgericht Döbling die Antragstellerin, am 9. Oktober 2014 in Atlanta, Georgia, USA, in einer beim United States District Court, Northern District of Georgia, Atlanta Division, erhobenen Zivilklage näher angegebene, unrichtige Tatsachen behauptet zu haben und zwei näher bezeichnete Personen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt zu haben, das geeignet gewesen sei, diese Personen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen, sowie diese beiden Personen durch diese Behauptungen unrichtiger Tatsachen im Kredit, Erwerb und beruflichen Fortkommen geschädigt und gefährdet zu haben. Die Antragstellerin habe dadurch das Vergehen der üblen Nachrede nach §111 Abs1 StGB und das Vergehen der Kreditschädigung nach §152 Abs1 StGB begangen, weswegen sie zu einer näher bestimmten Geldstrafe verurteilt wurde.
In der Begründung des Urteils führte das Bezirksgericht Döbling zur Behauptung der Antragstellerin, dass es zur Anspruchsbegründung im US-Verfahren notwendig gewesen sei, Delikte bei ihrem Namen zu nennen und sie somit in Ausübung eines Rechtes und daher nicht strafbar gehandelt habe, Folgendes aus: Die Rechtsquellen der Rechtfertigungsgründe würden mit den Grenzen der Rechtsordnung ein Ende finden. Da es sich bei der durch §111 und §152 StGB geschützten Rechtsordnung um die österreichische Rechtsordnung handle, ließen sich aus ausländischen Rechtsordnungen keine Rechtfertigungsgründe ableiten, welche zur Billigung des tatbestandsmäßigen Verhaltens durch die österreichische Rechtsordnung führen könnten. Für die rechtliche Beurteilung sei es folglich unerheblich, ob bei der Klage in den USA tatsächlich eine Rechtspflicht zur expliziten Benennung bestimmter vorgeworfener strafbarer Handlungen bestehe, zumal Rechtspflichten nach dem US-amerikanischen Recht bei der Anwendung des §114 Abs1 StGB unbeachtlich seien.
2. Gleichzeitig mit der Berufung gegen das genannte Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 18. März 2016 stellte die Einschreiterin den auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag auf Aufhebung des §111 sowie des §152 StGB wegen Verfassungswidrigkeit.
Die Einschreiterin bringt zur behaupteten Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen insbesondere vor, dass diese "die grundrechtliche Rechtsweggarantie des Artikels 6 Abs1 EMRK [verletzen], weil sie infolge Fehlens jeglichen Rechtfertigungsgrundes für zivilprozessuale Rechtsausübungen außerhalb der österreich[is]chen Rechtsordnung von vornherein die Möglichkeit des Einzelnen einschränken, seine Rechte im Rahmen eines ausländischen Gerichtsverfahrens geltend zu machen".
3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie mit näherer Begründung die Zurück-, in eventu die Abweisung des Antrages begehrt. Ebenso begründeten die Privatankläger im gerichtlichen Anlassverfahren, warum nach ihrer Auffassung der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen sei.
III. Rechtslage
Die hier maßgeblichen Bestimmungen der §§111 bis 114 StGB und des §152 StGB, BGBl 60/1974, idF BGBl I 112/2015, lauten:
"Vierter Abschnitt
Strafbare Handlungen gegen die Ehre
Üble Nachrede
§111. (1) Wer einen anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeiht oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Wer die Tat in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise begeht, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.
(3) Der Täter ist nicht zu bestrafen, wenn die Behauptung als wahr erwiesen wird. Im Fall des Abs1 ist der Täter auch dann nicht zu bestrafen, wenn Umstände erwiesen werden, aus denen sich für den Täter hinreichende Gründe ergeben haben, die Behauptung für wahr zu halten.
Wahrheitsbeweis und Beweis des guten Glaubens
§112. Der Wahrheitsbeweis und der Beweis des guten Glaubens sind nur aufzunehmen, wenn sich der Täter auf die Richtigkeit der Behauptung oder auf seinen guten Glauben beruft. Über Tatsachen des Privat- oder Familienlebens und über strafbare Handlungen, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden, sind der Wahrheitsbeweis und der Beweis des guten Glaubens nicht zuzulassen.
Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung
§113. Wer einem anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eine strafbare Handlung vorwirft, für die die Strafe schon vollzogen oder wenn auch nur bedingt nachgesehen oder nachgelassen oder für die der Ausspruch der Strafe vorläufig aufgeschoben worden ist, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.
Straflosigkeit wegen Ausübung eines Rechtes oder Nötigung durch besondere Umstände
§114. (1) Wird durch eine im §111 oder im §113 genannte Handlung eine Rechtspflicht erfüllt oder ein Recht ausgeübt, so ist die Tat gerechtfertigt.
(2) Wer durch besondere Umstände genötigt ist, eine dem §111 oder dem §113 entsprechende Behauptung in der Form und auf die Weise vorzubringen, wie es geschieht, ist nicht zu bestrafen, es sei denn, daß die Behauptung unrichtig ist und der Täter sich dessen bei Aufwendung der nötigen Sorgfalt (§6) hätte bewußt sein können.
[…]
Kreditschädigung
§152. (1) Wer unrichtige Tatsachen behauptet und dadurch den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen eines anderen schädigt oder gefährdet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Der Täter ist nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen."
IV. Zur Zulässigkeit
Der Antrag ist unzulässig.
1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Prüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Die diesbezügliche Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass im Normenprüfungsverfahren nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl. VfSlg 17.220/2004 und 19.933/2014).
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011 und 19.933/2014).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung die verbleibenden Bestimmungen unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Eine zu weite Fassung des Antrags macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Soweit alle vom Antrag erfassten Bestimmungen präjudiziell sind oder der Antrag mit solchen untrennbar zusammenhängende Bestimmungen erfasst, führt dies – ist der Antrag in der Sache begründet – im Fall der Aufhebung nur eines Teils der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl. VfSlg 19.746/2013 und 19.905/2014). Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die im gerichtlichen Verfahren nicht präjudiziell sind, führt dies – wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit trennbar sind – im Hinblick auf diese Bestimmungen zur partiellen Zurückweisung des Antrages (s. VfSlg 18.298/2007, 18.486/2008, 19.933/2014; soweit diese Voraussetzungen vorliegen, führen zu weit gefasste Anträge also nicht mehr – vgl. noch VfSlg 14.342/1995, 15.664/1999, 15.928/2000, 16.304/2001, 16.532/2002, 18.235/2007 – zur Zurückweisung des gesamten Antrages).
2. Vor dem Hintergrund der von der Antragstellerin gegen die angefochtenen Bestimmungen geltend gemachten Bedenken ist der von ihr gewählte Anfechtungsumfang zu eng gewählt: Die Bedenken der Antragstellerin gehen im Wesentlichen dahin, dass es im Strafgesetzbuch keine Rechtfertigungsgründe für zivilprozessuale Rechtsausübungen außerhalb der österreichischen Rechtsordnung gäbe und die angefochtenen Bestimmungen daher gegen Art6 EMRK verstießen. Dabei übersieht die Antragstellerin allerdings die Bestimmung des §114 StGB, welche ausdrücklich die "Straflosigkeit wegen Ausübung eines Rechtes oder Nötigung durch besondere Umstände" regelt. Sollte die von der Antragstellerin behauptete Verfassungswidrigkeit tatsächlich bestehen, wäre diese nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes auch in §114 StGB zu verorten. Da die Antragstellerin diese Bestimmung nicht (mit-)angefochten hat, erweist sich der Anfechtungsumfang als zu eng gewählt.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.