JudikaturVfGH

G122/2016 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. November 2016

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller, "§33 Abs2 MRG in seiner Gesamtheit" als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu möge der Verfassungsgerichtshof "anstelle 'den an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft' 'den Zahlungsrückstand vorsätzlich, mit dem Wissen ohne rechtlichen Grund zu handeln, herbeiführte' normieren." Weiter begehren die Antragsteller die Aufhebung der Wortfolge "in dem Maße" in §1096 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), als verfassungswidrig.

II. Rechtslage

1. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):

2. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes vom 12. November 1981 über das Mietrecht (Mietrechtsgesetz – MRG), BGBl 520/1981 idF BGBl I 30/2009, lautet wie folgt:

"Gerichtliche Kündigung

§33. (1) Mietverträge können vom Mieter gerichtlich oder schriftlich, vom Vermieter jedoch nur gerichtlich gekündigt werden. Geht dem Vermieter eine schriftliche Kündigung des Mieters erst nach Beginn der für den darin genannten Kündigungstermin einzuhaltenden Kündigungsfrist zu, so ist sie für den ersten späteren Kündigungstermin wirksam, für den die Frist zu diesem Zeitpunkt noch offen war; für die gerichtliche Kündigung des Mieters sowie für die Kündigung des Vermieters gilt §563 ZPO. Der Vermieter hat in der Kündigung die Kündigungsgründe kurz anzuführen; andere Kündigungsgründe kann er in diesem Verfahren nicht mehr geltend machen. Werden gegen die Kündigung Einwendungen erhoben, so hat der Vermieter nachzuweisen, daß der von ihm geltend gemachte Kündigungsgrund gegeben ist. Gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung von Einwendungen ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den Bestimmungen der §§146 ff. ZPO zulässig.

(2) Wenn ein Mieter, dem aus dem Grund des §30 Abs2 Z1 gekündigt wurde und den an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft, vor Schluß der der Entscheidung des Gerichtes erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichtet, so ist die Kündigung aufzuheben; der Mieter hat jedoch dem Vermieter die Kosten zu ersetzen, soweit ihn ohne seine Zahlung eine Kostenersatzpflicht getroffen hätte. Ist die Höhe des geschuldeten Betrages strittig, so hat das Gericht vor Schluß der Verhandlung darüber durch Beschluß zu entscheiden.

(3) Abs2 gilt sinngemäß, wenn in einem Verfahren über eine Kündigung nach §30 Abs2 Z16 der Mieter sich vor Schluß der der Entscheidung des Gerichtes erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung mit der Standardverbesserung einverstanden erklärt, sowie in Rechtsstreitigkeiten wegen Aufhebung der Miete und Räumung des Mietgegenstandes, wenn der Klagsanspruch darauf gegründet ist, daß der Mieter nach geschehener Einmahnung mit der Bezahlung des Mietzinses dergestalt säumig war, daß er mit dem Ablauf des Termines den rückständigen Mietzins nicht vollständig entrichtet hatte (§1118 ABGB)."

3. Die maßgebliche Bestimmung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch – ABGB), JGS 946/1811 idF RGBl. 69/1916, lautet wie folgt:

"Wechselseitige Rechte:

1) In Hinsicht auf Ueberlassung; Erhaltung; Benützung.

§1096. (1) Vermieter und Verpächter sind verpflichtet, das Bestandstück auf eigene Kosten in brauchbarem Stande zu übergeben und zu erhalten und die Bestandinhaber in dem bedungenen Gebrauche oder Genusse nicht zu stören. Ist das Bestandstück bei der Übergabe derart mangelhaft oder wird es während der Bestandzeit ohne Schuld des Bestandnehmers derart mangelhaft, daß es zu dem bedungenen Gebrauche nicht taugt, so ist der Bestandnehmer für die Dauer und in dem Maße der Unbrauchbarkeit von der Entrichtung des Zinses befreit. Auf diese Befreiung kann bei der Miete unbeweglicher Sachen im voraus nicht verzichtet werden.

(2) Der Pächter hat die gewöhnlichen Ausbesserungen der Wirtschaftsgebäude nur insoweit selbst zu tragen, als sie mit den Materialien des Gutes und den Diensten, die er nach der Beschaffenheit des Gutes zu fordern berechtigt ist, bestritten werden können."

III. Sachverhalt und Antragsvorbringen

1. Die Antragsteller stellen aus Anlass einer Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Graz-Ost vom 23. März 2016, Z 220 C126/15a, beim Verfassungsgerichtshof den vorliegenden Antrag.

2. Dem Antrag liegt zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Die Antragsteller schlossen als Mieter mit der beteiligten Partei als Vermieterin am 12. Oktober 2012 einen Mietvertrag über die Miete eines Geschäftslokals in Graz.

2.2. Mit der am 13. Mai 2015 eingebrachten Mietzins- und Räumungsklage begehrte die beteiligte Partei die Räumung des Geschäftslokals sowie die Zahlung des aushaftenden Mietzinses bzw. Benützungsentgeltes durch die Antragsteller. Diese wären trotz qualifizierter Mahnung wiederholt in Rückstand mit der Zahlung des Mietzinses geraten, weshalb die mitbeteiligte Partei die sofortige Aufhebung des Mietvertrages gemäß §1118 ABGB verlange. Die Antragsteller hätten den Mietzins eigenmächtig überhaupt nicht oder nur in Teilbeträgen bezahlt. Es bestehe eine Unwilligkeit der Antragsteller, die Mietzinse in voller Höhe zu leisten.

2.3. Die Antragsteller bestritten als beklagte Parteien des Ausgangsverfahrens das Vorbringen der beteiligten Partei und brachten zusammengefasst vor, dass ein qualifizierter Mietzinsrückstand nicht vorliege. Die beteiligte Partei habe als Vermieterin trotz mehrmaliger Aufforderungen nicht dafür Sorge getragen, dass das Stiegenhaus der Liegenschaft entsprechend der vertraglichen Vereinbarung und den baurechtlichen Vorschriften frei von Fahrrädern und Unrat bleibe, weshalb das Bestandsobjekt für den bedungenen Gebrauch untauglich sei. Eine Mietzinsminderung sei somit berechtigt. Die beteiligte Partei habe die unregelmäßigen Zahlungen monatelang geduldet und diesen damit zugestimmt. Ein Zahlungsrückstand liege somit nicht vor. Die Antragsteller bringen überdies vor, dass sie an einem allfälligen Rückstand kein grobes Verschulden treffe und einen allenfalls festgestellten Rückstand umgehend begleichen würden.

2.4. Die beteiligte Partei bestritt, dass ihrerseits den unregelmäßigen Zahlungen durch die Antragsteller konkludent zugestimmt worden sei. Ferner bestritt die beteiligte Partei, dass eine Einschränkung oder Beeinträchtigung durch Verunreinigungen oder Fahrnisse bestanden habe. Eine Mietzinsminderung – sofern eine solche überhaupt zustehen würde – in der Höhe von 30% sei nicht angemessen.

3. Das Erstgericht stellte fest, dass die Antragsteller als Mieter ab Juni 2014 unterschiedliche Beträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten leisteten und nicht den vollen vereinbarten Mietzins zu Beginn des Monats. Ab Februar 2015 machten die Antragsteller darüber hinaus eine Mietzinsminderung geltend, welcher seitens der Hausverwaltung nicht zugestimmt wurde. Eine daraufhin durch die beteiligte Partei angebotene Ratenvereinbarung wurde durch die Antragsteller abgelehnt. Es konnte durch das Erstgericht nicht festgestellt werden, dass die Bezahlung des Mietzinses in Tranchen (konkludent) vereinbart wurde.

3.1. Im Übrigen kam das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass im Zeitraum vom Februar 2015 bis November 2015 eine Mietzinsminderung in Höhe von etwas weniger als 10%, danach in Höhe von 5% des Mietzinses gerechtfertigt war. Es könne jedoch gerade keine Vereinbarung zwischen den Parteien hinsichtlich der Zahlung des Mietzinses in Tranchen festgestellt werden, weshalb die Antragsteller zur Zahlung des Mietzinses mit dem Monatsersten verpflichtet gewesen wären.

3.2. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass §33 Abs2 MRG zur Anwendung gelange, da das verfahrensgegenständliche Mietobjekt in den Vollanwendungsbereich des MRG falle. Nach dieser Bestimmung könne der Mieter – sofern ihn kein grobes Verschulden an einem Zahlungsrückstand treffe – vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz den Schuldbetrag entrichten und damit die Auflösungserklärung entkräften. Bei Vorliegen eines groben Verschuldens sei die sonst mögliche Beschlussfassung über die Höhe des strittigen Betrages ausgeschlossen.

3.3. Das Erstgericht führte in der Folge aus, dass die Antragsteller ein grobes Verschulden treffe. Diese hätten – entgegen der vertraglichen Regelung – den Mietzins trotz zahlreicher Mahnungen nicht am jeweiligen Monatsersten, sondern in Tranchen teils Mitte oder gar Ende des Monats entrichtet. Selbst unter der Annahme, dass die geltend gemachte Mietzinsminderung zu Recht bestehe, wäre der verbleibende Mietzins im gesamten Klagszeitraum verspätet bezahlt worden. Dies stelle eine Form der Gleichgültigkeit dar, welche als schweres Verschulden zu werten sei.

4. Die Antragsteller bringen vor, sie seien als Parteien einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache (Urteil des Bezirksgerichtes Graz-Ost vom 23. März 2016, Z 220 C126/15a) wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

IV. Zulässigkeit

1. Der vorliegende Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2.1. Mit der Berufung, aus deren Anlass der Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B VG erhoben wurde, wandten sich die Antragsteller gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Graz-Ost vom 23. März 2016, Z 220 C 126/15a, mit welchem die Antragsteller als beklagte Parteien zur Räumung des Mietobjektes sowie zur Zahlung des aushaftenden Mietzinses und bestimmter Prozesskosten verpflichtet werden.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Bezirksgerichtes Graz-Ost vom 10. Mai 2016 davon aus, dass die Berufung der Antragsteller gegen das Urteil des Bezirksgerichtes vom 23. März 2016, Z 220 C 126/15a, rechtzeitig ist.

2.3. Gemäß §62 Abs1 VfGG muss der Antrag begehren, "dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen."

2.4. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl. im Allgemeinen z.B. VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.851/1994, 14.802/1997, 17.651/2005; spezifisch zum Parteiantrag auf Normenkontrolle VfGH 2.7.2015, G16/2015; 2.7.2015, G145/2015).

2.5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

2.6. Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB. VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011 und 19.933/2014).

3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist sich der vorliegende Antrag als zu eng gefasst.

3.1. Soweit die Antragsteller die Aufhebung des §33 Abs2 MRG begehren, übersehen diese, dass zwischen dem angefochtenen zweiten Absatz und dem nicht angefochtenen dritten Absatz ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Dieser folgt aus der ausdrücklichen Bezugnahme im dritten Absatz ("Abs2 gilt sinngemäß, […]") auf den vorhergehenden Absatz der Bestimmung. Vor dem Hintergrund des offen zu Tage liegenden untrennbaren Zusammenhangs erweist sich der Antrag in Bezug auf §33 Abs2 MRG als zu eng gefasst.

3.2. Soweit die Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag begehren, "der Verfassungsgerichtshof möge […] in eventu anstelle 'den an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft' 'den Zahlungsrückstand vorsätzlich, mit dem Wissen ohne rechtlichen Grund zu handeln, herbeiführte' normieren", verkennen sie, dass dem Verfassungsgerichtshof keine Kompetenz zur Normsetzung zukommt. Die antragsgemäße Änderung des Textes der gesetzlichen Regelung würde zu einem positiven Akt der Gesetzgebung führen. Der Eventualantrag erweist sich daher schon aus diesem Grund als unzulässig.

3.3. Ein Gesetzesprüfungsantrag ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sowohl dann als unzulässig zurückzuweisen, wenn im Falle einer Aufhebung im begehrten Umfang der verbleibende Rest der Gesetzesvorschrift als inhaltsleerer und unanwendbarer Torso verbliebe, als auch dann, wenn durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (vgl. VfSlg 14.895/1997 mwN; VfGH 18.6.2015, G28/2015 ua.).

3.4. Auch im Hinblick auf die angefochtene Wortfolge in §1096 ABGB erweist sich der Antrag als unzulässig. §1096 Abs1 zweiter Satz ABGB lautet: "Ist das Bestandstück bei der Übergabe derart mangelhaft oder wird es während der Bestandzeit ohne Schuld des Bestandnehmers derart mangelhaft, daß es zu dem bedungenen Gebrauche nicht taugt, so ist der Bestandnehmer für die Dauer und in dem Maße der Unbrauchbarkeit von der Entrichtung des Zinses befreit." Die Aufhebung der Bestimmung im Umfang des Antrages ("in dem Maße") ließe den verbleibenden Regelungstorso weitgehend unverständlich werden. Ein Regelungsinhalt, wie er im Fall der antragsgemäßen Aufhebung verbliebe, könnte dem Gesetzgeber keinesfalls zugesonnen werden. Auch hinsichtlich des zweiten Antrages liegt der zu eng gewählte Anfechtungsumfang offen zu Tage.

3.5. Schon aus diesen Gründen erweist sich der vorliegende Antrag als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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