E1129/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der 1995 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Juli 2012 wurde sein am 28. Dezember 2011 gestellter Antrag auf internationalen Schutz nach §3 Abs1 AsylG (Spruchpunkt I.) und §8 Abs1 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. April 2014 wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid betreffend die Spruchpunkte II. und III. gemäß §28 Abs3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zurückverwiesen. Am 30. Juni 2015 brachte der durch eine Rechtsberaterin vertretene Beschwerdeführer eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß §8 VwGVG iVm Art130 Abs1 Z3 B VG beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Bescheid des BFA vom 28. September 2015 wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §3 AsylG abgewiesen; unter Spruchpunkt II. wurde ihm gemäß §8 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß §8 Abs4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25. September 2016 erteilt. Der Bescheid wurde vom Beschwerdeführer persönlich, im Beisein seiner (damaligen) Vertreterin, am 28. September 2015 vom Organwalter direkt beim BFA übernommen.
2. Der Beschwerdeführer erhob am 19. Oktober 2015 Beschwerde gegen den Bescheid vom 28. September 2015. Das BFA legte am 5. November 2015 die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor.
3. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 9. Mai 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Übermittlung eines Verspätungsvorhalts vom 6. April 2016 an den Beschwerdeführer – die Beschwerde als verspätet zurück. Es stützte diese Entscheidung auf "§16 Abs1 BFA-Verfahrensgesetz" (BFA VG), wobei eine bestimmte Fassung dieses Gesetzes im Erkenntnis nicht genannt wird. Nach dem im Beschluss wiedergegebenen Wortlaut handelt es sich um die Fassung BGBl I 68/2013.
4. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, erstattete aber keine Gegenschrift.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. §7 Abs4 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I 33/2016, lautet auszugsweise:
"Beschwerderecht und Beschwerdefrist
§7. (1) – (3) […]
(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art130 Abs1 Z1 B VG, gegen Weisungen gemäß Art130 Abs1 Z4 B VG oder wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art130 Abs2 Z1 B VG beträgt vier Wochen. Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art130 Abs1 Z2 B VG beträgt sechs Wochen. [...]"
2. §16 Abs1 BFA VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 68/2013, lautete:
"Beschwerdefrist und Wirkung von Beschwerden
§16. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt, sofern nichts anderes bestimmt ist, zwei Wochen. §7 Abs4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, nicht anwendbar."
3. §16 Abs1 BFA VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015, vor der teilweisen Aufhebung der Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH 23.2.2016, G589/2015 ua., kundgemacht am 31. März 2016 mit BGBl I 17/2016) lautete:
"Beschwerdefrist und Wirkung von Beschwerden
§16. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt in den Fällen des §3 Abs2 Z1, 2, 4 und 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist. §7 Abs4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, diesfalls nicht anwendbar. […]"
4. §3 Abs2 Z1 BFA VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015, lautet:
"§3. (1) […]
(2) Dem Bundesamt obliegt
1. die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich gemäß dem AsylG 2005, […]"
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
3. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
4. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
5. Eine – objektive Willkür begründende – grobe Verkennung der Rechtslage ist dem Bundesverwaltungsgericht hier in der Tat anzulasten:
5.1. Der angefochtene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes stützt sich hinsichtlich der zweiwöchigen Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA nach dem im Beschluss wiedergegebenen Wortlaut auf §16 Abs1 BFA VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 68/2013.
5.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei Erlassung seines Beschlusses vom 9. Mai 2016 nicht nur übersehen, dass die von ihm offenbar angewendete Fassung des §16 Abs1 BFA VG auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 2015, G171/2015 ua., nicht mehr in Geltung stand (die Aufhebung wurde kundgemacht mit BGBl I 84/2015 am 29. Juli 2015), das Bundesverwaltungsgericht hat auch unbeachtet gelassen, dass der ebenfalls eine nur zweiwöchige Beschwerdefrist vorsehende §16 Abs1 BFA VG idF des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 (FrÄG 2015), BGBl I 70/2015, kundgemacht am 18. Juni 2015, mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Februar 2016, G589/2015 ua., mittlerweile auch als verfassungswidrig aufgehoben und in diesem Erkenntnis ausgesprochen wurde, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist (kundgemacht mit BGBl I 17/2016 am 31. März 2016).
5.3. Da der Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, im Sinne des Art140 Abs7 B VG auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände zurückwirkt, hätte das Bundesverwaltungsgericht die Rechtzeitigkeit der Beschwerde anhand der vierwöchigen Frist des §7 Abs4 VwGVG zu beurteilen gehabt.
6. Unter diesen Umständen steht der bekämpfte Beschluss infolge eines gehäuften Verkennens der Rechtslage im besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch; er ist daher willkürlich ergangen.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.