JudikaturVfGH

V20/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
22. September 2016

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich festzustellen, dass die Verordnung des Gemeinderates der Stadt Braunau am Inn vom 29. März 2010, GZ Abt. Pol, 122/10/M/10-schn, gesetzwidrig war.

II. Rechtslage

1. §43 der oberösterreichischen Gemeindeordnung 1990 (im Folgenden: Oö Gemeindeordnung), LGBl 91 idF LGBl 152/2001 lautet:

"III. HAUPTSTÜCK

Zuständigkeit und Geschäftsführung der Gemeindeorgane

1. Abschnitt

Gemeinderat

§43

Aufgaben

(1) Dem Gemeinderat obliegen alle in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden Angelegenheiten, soweit sie nicht ausdrücklich anderen Organen der Gemeinde vorbehalten sind.

(2) Der Gemeinderat ist befugt, einzelne in seine Zuständigkeit fallende Angelegenheiten der örtlichen Straßenpolizei mit Verordnung ganz oder zum Teil dem Bürgermeister zu übertragen, sofern dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit gelegen ist.

(3) Der Gemeinderat kann das ihm zustehende Beschlussrecht bei der Abwicklung eines bestimmten Vorhabens der Gemeinde, insbesondere eines Bauvorhabens, ganz oder zum Teil dem Gemeindevorstand oder - unter Beachtung der Wertgrenzen des §58 - dem Bürgermeister durch Verordnung übertragen. Diese Verordnung hat jedenfalls die Befugnisse des Gemeindevorstands oder des Bürgermeisters sowie Bestimmungen über eine Berichtspflicht im Gemeinderat zu enthalten. Die Erlassung einer derartigen Übertragungsverordnung ist nur zulässig, sofern

1. die Übertragung im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit gelegen ist,

2. der Gemeinderat die Durchführung des Vorhabens beschlossen hat (Grundsatzbeschluss) und

3. ein Beschluss des Gemeinderates über die Aufbringung des Geldbedarfs (Finanzierungsplan) einschließlich einer gemäß §86 allenfalls erforderlichen aufsichtsbehördlichen Genehmigung vorliegt."

2. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Braunau am Inn vom 12. Februar 1985 lautet:

"Braunau am Inn, am 12.2.1985

Verordnung

des Gemeinderates der Stadtgemeinde Braunau am Inn vom 1.2.1985, TOP IV/2.

§1 Gemäß §43 Abs2 der Oö. Gemeindeordnung 1979 wird dem Bürgermeister die Erlassung der in §94d StVO 1960 angeführten Verordnungen übertragen, ausgenommen Ziff. 8 (Fußgängerzone), 8a (Wohnstraßen), 15a (Tariffestsetzungen) und 18 (Anrainerpflichten).

(1) §2 Gemäß §94 Abs2 der Oö. Gemeindeordnung 1979 beginnt die Rechtswirksamkeit dieser Verordnung mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag.

(2) Mit dem gleichen Zeitpunkt tritt die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Braunau am Inn vom 22.12.1973, TOP II/1, außer Kraft.

Der Bürgermeister: […]"

3. §94d und §94f Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl 159 idF BGBl I 92/1998 bzw. BGBl I 52/2005, lauten:

"§94d. Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde

Sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll, sind folgende Angelegenheiten von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen:

1. die Erlassung von Verordnungen nach §20 Abs2a,

1a. die Bewilligung von Ausnahmen nach §24 Abs8,

1b. die Bestimmung von Kurzparkzonen (§25),

1c. die Erlassung einer Verordnung nach §25 Abs5,

2. das Verbot oder die Einschränkung von Wirtschaftsfuhren (§30 Abs6),

3. die Verpflichtung eines Anrainers, die Anbringung von Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs zu dulden (§33 Abs1),

3a. die Erlassung von Bescheiden betreffend Vermeidung von Verkehrsbeeinträchtigungen (§35),

4. die Erlassung von Verordnungen nach §43, mit denen

a) Beschränkungen für das Halten und Parken,

b) ein Hupverbot,

c) ein Benützungsverbot für Radfahranlagen durch Rollschuhfahrer oder

d) Geschwindigkeitsbeschränkungen

erlassen werden,

4a. die Erlassung von Verordnungen nach §43 Abs2a,

5. Hinweise auf Gefahren und sonstige verkehrswichtige Umstände, unbeschadet des diesbezüglichen Rechtes des Straßenerhalters nach §98 Abs3,

6. die Bewilligung von Ausnahmen (§45) von den erlassenen Beschränkungen und Verboten,

7. die Bewilligung der Ladetätigkeit nach §62 Abs4 und 5,

8. die Bestimmung von Fußgängerzonen und die Bewilligung von Ausnahmen für Fußgängerzonen (§76a),

8a. die Bestimmung von Wohnstraßen (§76b),

9. die Bewilligung nach §82,

10. die Bewilligung von Werbungen und Ankündigungen (§84 Abs3),

11. die Anweisung eines Platzes zur Ausübung der Bettelmusik (§85 Abs3),

12. die Entgegennahme der Anzeigen von Umzügen (§86), sofern sich nicht aus §95 die Zuständigkeit der Bundespolizeibehörde ergibt,

13. die Erlassung von Verordnungen nach §87 Abs1 (Wintersport auf Straßen),

14. die Erlassung von Verordnungen nach §88 Abs1 (Spielen auf Straßen, Rollschuhfahren auf Fahrbahnen),

15. die Entfernung von Hindernissen (§89a),

15a. Die Erlassung von Verordnungen nach §89a Abs7a (Tariffestsetzung für die Entfernung und Aufbewahrung von Hindernissen),

16. die Bewilligung von Arbeiten (§90) einschließlich der Erlassung der durch diese Arbeiten erforderlichen Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen,

17. die Verpflichtung, Straßenverunreinigungen zu beseitigen bzw. die Kosten hiefür zu tragen (§92 Abs3),

18. die Erlassung von Verordnungen und Bescheiden nach §93 Abs4 und 6 (Pflichten der Anrainer),

19. die Handhabung der Bestimmungen des §96 Abs4,

20. die Sicherung des Schulweges (§§29a und 97a).

§94f. Mitwirkung

(1) Vor Erlassung einer Verordnung ist, außer bei Gefahr im Verzuge und bei Verordnungen gemäß §43 Abs1a, die Autobahnen betreffen, anzuhören:

a) von der Landesregierung und von der Bezirksverwaltungsbehörde:

1. die betroffene Gemeinde,

2. wenn sich der Geltungsbereich einer Verordnung auch auf den örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde erstrecken soll, diese Behörde,

3. wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe;

b) von der Gemeinde (§94c und d):

1. wenn sich der Geltungsbereich einer Verordnung auch auf den örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde erstrecken soll, diese Behörde,

2. wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe.

(2) Die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörde haben, außer bei Gefahr im Verzuge, vor Erlassung eines Bescheides in Angelegenheiten, die den örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde oder das Gebiet nur einer Gemeinde berühren, die Bundespolizeibehörde bzw. die Gemeinde anzuhören. Dies gilt jedoch nicht für Strafverfügungen oder Straferkenntnisse wegen Übertretungen nach §99 und für die Anordnung der Teilnahme am Verkehrsunterricht (§101). Die Gemeinde (§94c und d) hat, außer bei Gefahr im Verzuge, vor Erlassung eines Bescheides in Angelegenheiten, die den örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde berühren, diese Behörde anzuhören.

(3) Die Anhörung der Gemeinde nach den Abs1 und 2 hat zu entfallen, wenn die Gemeinde Straßenerhalter ist. In diesem Falle gilt §98 Abs1."

4. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadt Braunau am Inn vom 29. März 2010 lautet:

"Braunau am Inn, am 29.3.2010

Verordnung

des Gemeinderates der Stadt Braunau am Inn, vom 25.03.2010, VII/1 über eine Geschwindigkeitsbeschränkung.

Auf Grund der §§43 Abs1 litb und 94d StVO 1960 und §40 Abs2 Z4 der O.ö. Gemeindeordnung 1990 wird verordnet:

§1

Für den Straßenabschnitt Michaelistraße, ab dem Schutzweg vor dem Internat Osternberg bis zur Einmündung Osternbergerstraße, und für den Straßenabschnitt Osternbergerstraße, von der Einmündung Michaelistraße bis zum Anwesen Osternbergerstraße 59, wird eine Geschwindigkeitsbeschränkung '30' km/h verordnet.

§2

Gemäß §44 der Straßenverkehrsordnung 1960 wird diese Verordnung durch die Anbringung der Verbotstafeln Geschwindigkeitsbeschränkung '30' bzw. 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung' gemäß §52 Ziff. 10a u. 10b d. StVO 1960 am Beginn bzw. am Ende der Verbotsstrecke kundgemacht und tritt für die Zeit der Anbringung in Kraft.

§3

Der beiliegende Lageplan dient der Konkretisierung des örtlichen Wirkungskreises und ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Verordnung.

Der Bürgermeister […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ist eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 17. Juli 2015 anhängig, mit dem über den Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 11 km/h am 8. Oktober 2013 in Braunau am Inn, auf der Gemeindestraße Michaelistraße, Höhe Bushaltestelle der HTL, eine Geldstrafe in Höhe von € 20,– (Ersatzfreiheitsstrafe 8 Stunden) verhängt wurde.

2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

2.1. Zur Präjudizialität führt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aus, dass auf Grund der Tatzeit die angefochtene Verordnung im Beschwerdeverfahren zur Anwendung gelange und für das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Beurteilung der Strafbarkeit heranzuziehen sei.

2.2. In der Sache bringt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Folgendes vor:

2.2.1. Mit Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Braunau am Inn vom 12. Februar 1985 habe der Gemeinderat gemäß §43 Abs2 Oö. Gemeindeordnung dem Bürgermeister die Erlassung der im §94d StVO 1960 angeführten Verordnungen mit bestimmten Ausnahmen übertragen. §94d Z4 StVO 1960 sei erst mit der 19. StVO-Novelle, BGBl 518/1994, in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen worden. Demnach sei seither für die Erlassung von Verordnungen betreffend Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Gemeindestraßen der Gemeinderat zuständig. Für den vorliegenden Fall ergebe sich jedoch, dass der Verweis auf §94d StVO 1960 in §1 der Übertragungsverordnung keine konkrete Fassung der Straßenverkehrsordnung nenne. Es sei daher von einer dynamischen Verweisung auszugehen. Dies bedeute, dass im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung §94d StVO 1960 idF vom 29. März 2010 von Bedeutung war. Auf Grund der Übertragungsverordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Braunau am Inn vom 12. Februar 1985 mit dynamischem Verweis auf §94d StVO 1960 sei daher im vorliegenden Fall für die Erlassung der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht der Gemeinderat, sondern der Bürgermeister zuständig gewesen. Da die Verordnung aber tatsächlich vom Gemeinderat erlassen worden sei, sei sie vom offensichtlich unzuständigen Organ erlassen worden.

2.2.2. Als weiteres Bedenken macht das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geltend, dass gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Behörde vor Erlassung einer Verkehrsbeschränkung ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchzuführen hat, um eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die durchzuführende Interessenabwägung zu erlangen. Gemäß §94f Abs1 litb StVO 1960 sei vor der Erlassung einer Verordnung die gesetzliche Interessenvertretung einer Berufsgruppe anzuhören, wenn die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden. In Kenntnis der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 3.3.1995, V24/93) weise das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich darauf hin, dass vor Erlassung der angefochtenen Verordnung kein Anhörungsverfahren stattfand, weil das Stadtamt Braunau am Inn die Auffassung vertreten habe, dass auf Grund der "bloßen" Vorverlegung der 30 km/h-Beschränkung auf die Stellungnahme der Interessenvertretungen verzichtet werden könne.

2.2.3. Das Stadtamt Braunau am Inn habe auf Anfrage mitgeteilt, dass die angefochtene Verordnung nicht mehr in Geltung sei, weil sie durch eine Verordnung vom 31. März 2015 ersetzt worden sei. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich stellt daher aus den oben genannten Gründen den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, dass die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Braunau am Inn vom 29. März 2010, GZ Abt. Pol, 122/10/M/10-schn, gesetzwidrig war.

3. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Braunau am Inn hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er den im Antrag dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt:

3.1. Die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Gemeindestraßen sei mit der Übertragungsverordnung vom 12. Februar 1985 nicht dem Bürgermeister übertragen worden, weil dies nach der damals geltenden Rechtslage nicht möglich gewesen sei. Auch später, nach der 19. StVO-Novelle, BGBl 518/1994, wollte der Gemeinderat der Stadtgemeinde Braunau am Inn diese Zuständigkeit nicht an den Bürgermeister übertragen. Da Verordnungen betreffend Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Gemeindestraßen daher von der Zuständigkeitsübertragung nicht erfasst seien, liege die Zuständigkeit für die Erlassung der angefochtenen Verordnung beim Gemeinderat der Stadtgemeinde Braunau am Inn. Die angefochtene Verordnung sei daher rechtskonform vom Gemeinderat als zuständigem Organ erlassen worden.

3.2. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Anhörungsverfahren werde vorgebracht, dass die Stadtgemeinde Braunau am Inn vor Erlassung der angefochtenen Verordnung ein Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Dieses Ermittlungsverfahren habe auch dazu geführt, dass die hier maßgebliche Geschwindigkeitsbeschränkung in einem geringeren Ausmaß als vorgesehen erlassen wurde. Die Anhörung von Interessenvertretungen gemäß §94f StVO 1960 habe unterbleiben können, weil keine spezifische Interessenbetroffenheit von Mitgliedern einer Berufsgruppe vorliege.

3.3. Aus diesen Gründen sei die angefochtene Verordnung nicht gesetzwidrig gewesen.

4. Die beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich beschwerdeführende Partei hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich teilt und den Ersatz der Kosten für die Erstattung der Äußerung im gesetzlichen Ausmaß beantragt.

5. Weder die Oberösterreichische Landesregierung noch die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn als vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich belangte Behörde haben eine Äußerung erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw. des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

2.2.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hegt zunächst das Bedenken, zur Erlassung der angefochtenen Verordnung sei nicht der Gemeinderat der Stadtgemeinde Braunau am Inn, sondern der Bürgermeister zuständig gewesen. Dem ist Folgendes zu entgegnen:

Mit Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Braunau am Inn vom 12. Februar 1985 wurde dem Bürgermeister gemäß §43 Abs2 Oö Gemeindeordnung die Erlassung der im §94d StVO 1960 angeführten Verordnungen mit bestimmten Ausnahmen übertragen (Übertragungsverordnung). Zu diesem Zeitpunkt war die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Gemeindestraßen in §94d StVO 1960 noch nicht enthalten und daher auch nicht von der Übertragungsverordnung erfasst (zuständig zur Erlassung solcher Verordnungen war die Bezirksverwaltungsbehörde).

Die angefochtene Verordnung, die eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf einer Gemeindestraße vorsah, wurde am 25. März 2010 im Gemeinderat beschlossen, am 29. März 2010 vom Bürgermeister unterzeichnet und war laut Verordnungsakt von 31. März 2010 bis 15. April 2010 an der Amtstafel angeschlagen. Zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung war die oben genannte Übertragungsverordnung in Kraft. Allerdings ist der Verweis auf "§94d StVO 1960" in der Übertragungsverordnung als statischer Verweis zu sehen (vgl. VfSlg 17.335/2004 und das Gebot verfassungskonformer Interpretation). Wie oben ausgeführt war daher die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Gemeindestraßen von der Übertragungsverordnung nicht erfasst, weshalb zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung der Gemeinderat der Stadtgemeinde Braunau am Inn zuständig war und nicht der Bürgermeister. Eine Änderung der Übertragungsverordnung im Hinblick auf die 19. StVO-Novelle, BGBl 518/1994, womit die Zuständigkeit zur Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Gemeindestraßen von der Bezirksverwaltungsbehörde auf die Gemeinden übergegangen ist, hat nämlich nicht stattgefunden (vgl. VfGH 22.9.2016, V45/2015).

2.2.2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich stützt seinen Antrag auch noch auf das Bedenken, es habe vor Erlassung der angefochtenen Verordnung kein Anhörungsverfahren gemäß §94f StVO 1960 stattgefunden.

Gemäß §94f Abs1 litb Z2 StVO 1960 hat die Gemeinde (außer bei Gefahr im Verzuge) vor Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung, "wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe" anzuhören.

Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 14.051/1995, 17.354/2004) begründen nur Umstände, welche die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe "in spezifischer Weise" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung berührt erscheinen lassen, die Anhörungspflicht gemäß §94f Abs1 StVO 1960. Insoweit Mitglieder einer Berufsgruppe hingegen "ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung betroffen sind, wird nicht bewirkt, dass die Interessen der Berufsgruppe "im Sinne des §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 spezifisch 'berührt werden'".

Dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich sind Ausführungen zu einer spezifischen Interessenbetroffenheit einer bestimmten Berufsgruppe im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht zu entnehmen. Es ist auch im Verfahren nicht hervorgekommen, dass die Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe von der Verordnung anders als etwa die übrige (Wohn-)Bevölkerung im Bereich des von der Verordnung erfassten Gebietes betroffen sind (vgl. VfSlg 14.439/1996).

V. Ergebnis

1. Der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Der beteiligten Partei sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).

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