A14/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Klage wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Vorbringen und Gegenschrift
1. Die klagende Partei ist eine nach dem Privatstiftungsgesetz errichtete Privatstiftung.
In ihrer auf Art137 B VG gestützten Klage gegen den Bund begehrt die klagende Partei die Zahlung von € 1.137.392,59 samt Anhang wegen des ihrer Ansicht nach gegen Unionsrecht verstoßenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. November 2014, 2011/15/0153, mit dem dieser die Behandlung der von der klagenden Partei gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates vom 29. August 2011, RV/0725-I/10, eingebrachten Beschwerde betreffend Umsatzsteuer 2007 und 2008 abgelehnt hat. Der Verwaltungsgerichtshof begründete die Ablehnung wie folgt:
"Die belangte Behörde gab der Berufung der Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen die Umsatzsteuerbescheide 2007 und 2008 mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge, weil die Privatstiftung keine Vermietungstätigkeit ausgeübt habe, aufgrund derer ihr die Eigenschaft als Unternehmer im Sinne des §2 UStG 1994 zugekommen wäre.
Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Unternehmereigenschaft von Privatstiftungen abgewichen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 2011, 2007/15/0255, und vom 19. Oktober 2011, 2008/13/0046). Wenn die belangte Behörde die gegenständliche Nutzungsüberlassung an Hand eines Vergleichs zwischen den Umständen, unter denen das Gebäude im Beschwerdefall den beiden Stiftern überlassen wurde, und den Umständen, unter denen die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt wird, beurteilt hat, steht sie im Einklang mit Rechtsprechung und Lehre.
Soweit die Beschwerde davon ausgeht, dass das im Mietvertrag vom 19. März 2010 schriftlich Vereinbarte bereits Gegenstand einer zuvor zwischen der Privatstiftung und den Stiftern getroffenen mündlichen Übereinkunft war, entfernt sie sich – ohne eine Rechtswidrigkeit der behördlichen Sachverhaltsermittlung infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Darstellung zu bringen – in unzulässiger Weise vom festgestellten und daher den Verwaltungsgerichtshof bindenden Sachverhalt.
In der vorliegenden Beschwerde werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des §33a VwGG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde abzulehnen."
2. Die klagende Partei begründet ihren Anspruch wie folgt:
2.1. Unter dem Titel der Staatshaftung bringt sie vor, der Verwaltungsgerichtshof habe mit seinem Beschluss qualifiziert gegen Unionsrecht, konkret gegen die RL 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347/2006, 1 (in der Folge: MwStSyst-RL) und die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union verstoßen sowie seine Pflicht, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten, verletzt. Zwischen dem Verstoß des Verwaltungsgerichtshofes gegen Unionsrecht und dem der klagenden Partei entstandenen Schaden bestehe auch ein unmittelbarer Kausalzusammenhang.
Das Stifterehepaar hätte der klagenden Partei eine näher bezeichnete Liegenschaft samt den darauf errichteten Gebäuden ("Wohnhaus" und "Gästehaus") geschenkt. Die klagende Partei habe die gesamte Liegenschaft samt Gebäuden wiederum an die Stifter vermietet. Zwischen 2006 und 2008 sei das auf der Liegenschaft errichtete Wohnhaus abgerissen und ein Neubau errichtet worden. Die klagende Partei habe wirtschaftlich sinnvoll in die Immobilie investiert und die gesamte Liegenschaft zu fremdüblichen Bedingungen – zunächst auf Grundlage eines schriftlichen Mietvertrages vom 28. Dezember 2004, danach auf Grundlage einer mündlichen Vereinbarung und schließlich auf Grundlage eines neu errichteten schriftlichen Mietvertrages vom 19. März 2010 – an das Stifterehepaar vermietet. Die klagende Partei werde Prognosen zufolge im Zeitraum 2007 bis 2026 einen Überschuss von mehr als € 1,9 Mio. aus der Vermietung der Liegenschaft erzielt haben und erfülle somit die Kriterien einer wirtschaftlichen Tätigkeit iSd Art9 MwStSyst-RL, wie sie vom Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 26. September 1996, Rs. C-230/94, Enkler , näher dargelegt worden seien. Sie sei daher – entgegen der Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates und des Verwaltungsgerichtshofes – sehr wohl zum Vorsteuerabzug aus der Errichtung eines neuen Mietgebäudes und dem laufenden Betrieb berechtigt.
2.2. Für die unionsrechtliche Qualifikation als wirtschaftliche Tätigkeit sei nur relevant, ob die in Rede stehende Tätigkeit der nachhaltigen Erzielung von Einnahmen diene, was im Fall der klagenden Partei jedenfalls zu bejahen sei. Dies hätten der Unabhängige Finanzsenat, der die Umsatzsteuerbescheide des Finanzamtes Innsbruck bestätigt habe, mit denen die Unternehmereigenschaft der klagenden Partei verneint und die Umsatzsteuer für die Jahre 2007 und 2008 jeweils mit € 0,00 festgesetzt worden sei, und in weiterer Folge der Verwaltungsgerichtshof, der die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde der klagenden Partei abgelehnt habe, in qualifizierter Weise verkannt. Im Fall von Unklarheiten ob der Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen wäre der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art267 AEUV verpflichtet gewesen, den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens anzurufen, was er jedoch unterlassen habe. Der klagenden Partei sei daraus insofern ein Schaden entstanden, als sie bei richtiger Entscheidung für den Zeitraum 2007 und 2008 keine Umsatzsteuer hätte zahlen müssen bzw. auf dem Abgabenkonto der klagenden Partei ein Steuerguthaben gutzuschreiben gewesen wäre.
3. Unter dem Titel "Anspruch auf Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben" begehrt die klagende Partei zudem die Rückerstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben. Dieser Anspruch erfordere weder einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht durch das den Schaden verursachende Organ, noch ein sonstiges Verschulden. Es genüge vielmehr die objektive Tatsache, dass eine Abgabe unter Verstoß gegen Unionsrecht erhoben worden sei.
4. Die beklagte Partei, der Bund, erstattete eine Gegenschrift, in der dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten und die Zurückweisung der Klage, in eventu deren Abweisung beantragt wird. Zur Frage der Zulässigkeit der Klage weist der Bund – unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes – darauf hin, dass die Klage insgesamt eine Darlegung der Offenkundigkeit des behaupteten Verstoßes vermissen lasse, sodass die Prozessvoraussetzungen nicht vorlägen. Soweit sich die Klage auf Rückerstattungsansprüche stütze, sei sie angesichts der Möglichkeit, die Streitigkeit im Verwaltungsweg auszutragen, ebenfalls unzulässig.
II. Erwägungen
1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung VfSlg 19.361/2011 erneut seine Judikatur bestätigt, dass es nicht seine Aufgabe ist, in einem Staatshaftungsverfahren wie dem hier vorliegenden – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl. u.a. EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler ) vorliegt (vgl. VfSlg 17.214/2004, 17.095/2003). Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, hat der Verfassungsgerichtshof seine Zuständigkeit gemäß Art137 B VG auf jene Fälle beschränkt, aus denen sich ein Staatshaftungsanspruch unmittelbar auf Grund des Unionsrechts ergibt. Soweit ein Schadenersatzanspruch nach den österreichischen Vorschriften über das Amtshaftungsrecht begründet wird, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben (vgl. VfSlg 16.107/2001).
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat (vgl. VfSlg 19.361/2011; 19.428/2011), ist eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage bei behauptetem höchstgerichtlichen Fehlverhalten unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht (nunmehr das Unionsrecht) geltend gemacht wird, der iS der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig ist. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird.
Der Kläger im Staatshaftungsverfahren hat daher begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen – und einer deswegen angenommenen Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichtes – aufgeworfen, so wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig.
2. Die klagende Partei behauptet einen die Staatshaftung auslösenden Verstoß gegen das Unionsrecht durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. November 2014, 2011/15/0153, der auf seine Erkenntnisse vom 7. Juli 2011, 2007/15/0255, und vom 19. Oktober 2011, 2008/13/0046, verweist, in denen sich der Verwaltungsgerichtshof bereits mit der umsatzsteuerlichen Qualifikation der Nutzungsüberlassungen von Immobilien durch Privatstiftungen an diesen nahestehende Personen als wirtschaftliche Tätigkeiten iSd RL 77/388/EWG und der in diesem Zusammenhang zu beachtenden Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auseinandergesetzt hat. Zwar gibt die klagende Partei die unionsrechtliche Rechtslage und die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union und auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Juli 2011, 2007/15/0255, ausführlich wieder, sie unterlässt es aber, in inhaltlicher Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichtshofes näher darzutun, worin ein offenkundiger Verstoß gegen das Unionsrecht liegen könnte (vgl. VfGH 1.11.2013, A9/2013 ua.; 19.11.2015, A8/2015). Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Verwaltungsgerichtshofes hätte die klagende Partei darzulegen gehabt, dass die vom Unabhängigen Finanzsenat für die streitgegenständlichen Jahre 2007 und 2008 festgestellten Umstände, unter denen die Immobilien den beiden Stiftern überlassen wurde, jenen entsprechen, unter denen eine solche wirtschaftliche Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt wird, und die Verkennung dieser Sachlage einen offenkundigen Verstoß gegen das Unionsrecht begründet.
3. Derartiges hat die klagende Partei aber nicht vorgebracht. Der Klage ist somit nicht zu entnehmen, worin der qualifizierte Verstoß gegen das Unionsrecht besteht, der so offenkundig wäre, dass er im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union eine Staatshaftung und im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Zulässigkeit eines Verfahrens nach Art137 B VG auslöst.
4. Soweit die klagende Partei sich auf einen aus dem Unionsrecht erfließenden "Anspruch auf Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Abgaben" beruft, ist ihr zu entgegnen, dass der Verfassungsgerichtshof – unabhängig davon, ob die von der klagenden Partei geltend gemachten Ansprüche im Unionsrecht wurzeln (vgl. VfSlg 16.107/2001) – nicht zuständig ist, über den (behaupteten) Anspruch auf Rückerstattung entrichteter Abgabenbeträge im Verfahren nach Art137 B VG zu entscheiden, zumal – wie auch die Bundesregierung zutreffend ausführt – der von der klagenden Partei geltend gemachte vermögensrechtliche Anspruch auf Auszahlung eines Vorsteuerguthabens durch Bescheid des zuständigen Finanzamtes zu erledigen ist.
III. Ergebnis
1. Die Klage ist daher zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.