V7/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag und Vorverfahren
1. Mit ihrem auf Art139 Abs1 Z3 B VG gestützten Antrag begehren die Antragstellerinnen, der Verfassungsgerichtshof
"möge aussprechen, dass wir durch die Ökostrompauschale-Verordnung 2015 laut ArtII BGBl II Nr 359/2014, und zwar durch §1 Z4 dieser Verordnung in unseren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach Art2 StGG und auf Unversehrtheit des Eigentums gem Art5 StGG verletzt sind, und §1 Z4 dieser Verordnung, wonach für die auf der Netzebene 5 angeschlossenen Netznutzer eine Ökostrompauschale von € 15.517,00 pro Jahr und Zählstelle für die Kalenderjahre 2015 bis einschließlich 2017 vorgeschrieben ist, kostenpflichtig aufheben".
1.1. Die Antragstellerinnen, ein inländisches Seilbahnunternehmen mit Sitz in Wien und ihre Tochtergesellschaft, führen zunächst aus, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten für die Neuerschließung und Modernisierung des Skigebietes der Tauplitzalm verantwortlich gewesen seien. Die dortige Stromversorgung erfolge auf der Netzebene 5 über Transformerstationen; es seien insgesamt fünf Zählpunkte für den Stromverbrauch eingerichtet. Mit der Ökostrompauschale-Verordnung 2015, BGBl II 359/2014, seien die Ökostrompauschalen für die Kalenderjahre 2015 bis 2017 im Vergleich zur vorherigen Festsetzung verdreifacht worden; die Ökostrompauschale für die Netzebene 5 betrage nunmehr € 15.517, . Die Verdreifachung einer gesetzlich vorgeschriebenen Abgabe mittels Verordnung von einem Jahr auf das folgende stelle eine unverhältnismäßige, der Intention des Gesetzgebers widersprechende Abgabenerhöhung dar, mit welcher ein Abgabenpflichtiger nicht rechnen müsse. Die Ökostrompau-schale-Verordnung 2015 verstoße daher gegen den Gleichheitssatz sowie zudem gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.
1.2. Zur Zulässigkeit bringen die Antragstellerinnen Folgendes vor:
"§47 ÖSG 2012 regelt die Einhebung der Ökostrompauschale, die von den Netzbetreibern den Netznutzern in Rechnung zu stellen und an die Ökostromabwicklungsstelle vierteljährlich abzuführen ist (§47 Abs1 ÖSG 2012). Gem §47 Abs3 ÖSG 2012 ist der Netzbetreiber bei Nichtbezahlung der Ökostrompauschale durch Endverbraucher verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur außergerichtlichen oder gerichtlichen Einbringlichmachung der Ökostrompauschale zu ergreifen. In Streitigkeiten zwischen Netzbetreibern und Endverbrauchern, insbesondere auf Leistung der Ökostrompauschale, entscheiden die ordentlichen Gerichte. Für uns ist es unzumutbar, ein grundsätzlich rechtswidriges Verhalten zu setzen, indem wir die entsprechend der angefochtenen Verordnung vom EVU in Rechnung gestellten Ökostrompauschalen nicht bezahlen, um eine Klage des EVU zu provozieren [ Mayer/Muzak, B VG (2015) Art139 B VG III.2 litc mwN auf S 492]. Wir haben alle Stromrechnungen der Jahre 2014 bis 2015 vollumfänglich bezahlt und sind verpflichtet, auch die künftigen Stromrechnungen, wie etwa die am 04.02.2016 eingetroffene, hiermit vorgelegte Stromrechnung für Jänner 2016 im Nettobetrag von € 76.825,14 (ohne USt) darin enthalten Abgaben von € 23.098,79 zu bezahlen. Die angefochtene Verordnung greift daher ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides in unsere Rechtssphäre aktuell ein, weswegen wir zur Individualbeschwerde berechtigt sind."
2. Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (in der Folge: BMWFW) erstattete eine Äußerung, in der er den im Antrag dargelegten Bedenken entgegentritt und beantragt, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen.
Zur Frage der Prozessvoraussetzungen hält der BMWFW fest, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Anrufung der Zivilgerichte einen zumutbaren Weg darstelle, um Bedenken gegen normative Verpflichtungen aus einer Verordnung an ihn heranzutragen. In Streitigkeiten zwischen Netzbetreibern und Endverbrauchern, insbesondere auf Leistung der Ökostrompauschale, würden die ordentlichen Gerichte entscheiden. Damit sei evident, dass den Antragstellerinnen im vorliegenden Fall der Zivilrechtsweg offenstehe, um die im Antrag beschriebenen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Verfassungsgerichtshof habe es in seiner Judikatur als zumutbar angesehen, Rechnungen einschließlich der von Antragstellern als ungerechtfertigt angesehenen Positionen mit Vorbehalt zu entrichten und sodann in einem zivilrechtlichen Verfahren zurückzufordern (VfSlg 17.676/2005, 18.502/2008).
3. In ihrer im Hinblick auf die Äußerung des BMWFW erstatteten "Stellungnahme" führen die Antragstellerinnen zur Frage der Zumutbarkeit des Rechtsweges aus, die laufenden Stromrechnungen nicht unter dem Vorbehalt der Rückforderung der Ökostrompauschale im Gerichtsweg leisten zu können, weil sie dann notgedrungen die Vertragsbeziehung mit ihrem Energielieferanten stören und sich in Misskredit bringen würden. Der Energielieferant sei dazu berechtigt, die Energielieferung fristlos einzustellen, würden die Antragstellerinnen verlangte Vorauszahlungen oder Sicherstellungen verweigern. Sie würden sich der Gefahr aussetzen, dass das Vertragsverhältnis mit ihnen beendet oder ihnen nach Auslaufen des Energieliefervertrages mit 31. Dezember 2018 kein neues Angebot mehr gelegt würde. Eine solche Vorgehensweise sei den Antragstellerinnen daher nicht zumutbar.
II. Rechtslage
1. Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Förderung der Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energieträgern (Ökostromgesetz 2012 – ÖSG 2012), BGBl I 75/2011 idF BGBl I 11/2012, lauten wie folgt:
"Ökostrompauschale
§45. (1) Von allen an das öffentliche Netz angeschlossenen Endverbrauchern ist eine Ökostrompauschale in Euro pro Zählpunkt gemäß §5 Abs1 Z25 zu leisten, die von den Netzbetreibern in Rechnung zu stellen und gemeinsam mit dem jeweiligen Netznutzungsentgelt von den an ihren Netzen angeschlossenen Endverbrauchern einzuheben ist.
(2) Die Ökostrompauschale beträgt bis einschließlich 2014 pro Kalenderjahr:
1.-2. […]
(3) Bei einer Nutzung des Netzes von weniger als einem Kalenderjahr ist pro angefangenem Kalendermonat ein Zwölftel der jeweiligen Ökostrompauschale gemäß Abs2 zu entrichten.
(4) Für die dem Kalenderjahr 2014 folgenden Jahre hat der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend die für die einzelnen Netzebenen geltenden Ökostrompauschalen alle drei Jahre mit Verordnung neu festzusetzen. Dabei ist von folgenden Kriterien auszugehen:
(5) […]"
"Einhebung der Ökostrompauschale
§47. (1) Die vereinnahmten Mittel sind von den Netzbetreibern vierteljährlich an die Ökostromabwicklungsstelle abzuführen. Die Ökostromabwicklungsstelle ist berechtigt, die Ökostrompauschale vorab zu pauschalieren und vierteljährlich gegen nachträgliche Abrechnung einzuheben. Die Netzbetreiber und die Verrechnungsstellen haben der Ökostromabwicklungsstelle sämtliche für die Bemessung und Pauschalierung der Ökostrompauschale erforderlichen Daten und sonstigen Informationen zur Verfügung zu stellen.
(2) Die Ökostrompauschale ist auf den Rechnungen für die Netznutzung gesondert auszuweisen bzw. gesondert zu verrechnen. Die in der Ökostrompauschale enthaltenen Kategorien (KWK-Anlagen, Kleinwasserkraftanlagen, mittlere Wasserkraftanlagen sowie sonstige Ökostromanlagen) sind anzuführen.
(3) Bei Nichtbezahlung der Ökostrompauschale durch Endverbraucher sind die Netzbetreiber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur außergerichtlichen oder gerichtlichen Einbringlichmachung der Ökostrompauschale zu ergreifen. In Streitigkeiten zwischen Netzbetreibern und Endverbrauchern sowie der Ökostromabwicklungsstelle und Netzbetreibern, insbesondere auf Leistung der Ökostrompauschale, entscheiden die ordentlichen Gerichte."
2. Die Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, mit der die Ökostrompauschale für die Kalenderjahre 2015 bis 2017 bestimmt wird (Ökostrompauschale-Verordnung 2015), BGBl II 359/2014, lautet wie folgt (die angefochtene Ziffer ist hervorgehoben):
"Aufgrund des §45 Abs4 des Ökostromgesetzes 2012 (ÖSG 2012), BGBl I Nr 75/2011, in der Fassung der Kundmachung BGBl I Nr 11/2012, wird verordnet:
§1. Die von allen an das öffentliche Netz angeschlossenen Endverbrauchern gemäß §45 Abs1 ÖSG 2012 zu entrichtende Ökostrompauschale beträgt für die Kalenderjahre 2015 bis einschließlich 2017:
1. für die auf den Netzebenen 1 bis 3 angeschlossenen Netznutzer 104.444 Euro;
3. für die auf der Netzebene 4 angeschlossenen Netznutzer ........... 104.444 Euro;
4. für die auf der Netzebene 5 angeschlossenen Netznutzer ............ 15.517 Euro;
5. für die auf der Netzebene 6 angeschlossenen Netznutzer .................. 955 Euro;
6. für die auf der Netzebene 7 angeschlossenen Netznutzer .................... 33 Euro.
§2. Diese Verordnung tritt mit 1. Jänner 2015 in Kraft."
III. Erwägungen
Der Antrag ist unzulässig.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8058/1977 unter Hinweis auf VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 Z3 B VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art139 Abs1 Z3 B VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.684/1988, 14.297/1995, 15.349/1998, 16.345/2001 und 16.836/2003).
2. Ein solcher zumutbarer Weg steht den Antragstellerinnen zur Verfügung:
2.1. Die Verpflichtung eines Endverbrauchers zur Leistung einer Ökostrom-pauschale beruht auf einer zivilrechtlichen Vereinbarung zwischen einem Endverbraucher und einem Netzbetreiber. §45 Abs1 ÖSG 2012 hält hiezu fest, dass von allen an das öffentliche Netz angeschlossenen Endverbrauchern eine Öko-strompauschale pro Zählpunkt zu leisten ist, die von den Netzbetreibern in Rechnung zu stellen und gemeinsam mit dem jeweiligen Netznutzungsentgelt von den an ihren Netzen angeschlossenen Endverbrauchern zu erheben ist. Für Rechtsstreitigkeiten im Hinblick auf die Leistung der Ökostrompauschale zwischen Endverbrauchern und Netzbetreibern sind nach §47 Abs3 leg.cit. die ordentlichen Gerichte zuständig.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat es zwar als unzumutbar qualifiziert, ein zivilgerichtliches Verfahren dadurch zu provozieren, dass sich ein Antragsteller rechtswidrig verhält, etwa indem er eine vertraglich vereinbarte Zahlung nicht leistet. Der Verfassungsgerichtshof kann aber nicht finden, dass es den Antragstellerinnen nicht zumutbar wäre, – vorerst – die Ökostrompauschale mit Vorbehalt zu entrichten und sodann in einem zivilrechtlichen Verfahren zurückzufordern (vgl. VfSlg 17.676/2005, 18.246/2007, 18.502/2008). Eine solche Vorleistung würde im vorliegenden Fall keine derartige Belastung mit sich bringen, dass sie die Antragstellerinnen schwerwiegend wirtschaftlich beeinträchtigen würde (vgl. VfGH 15.6.2015, G182/2014 ua.).
2.3. Den Antragstellerinnen steht es daher offen, auf Grund ihrer Bedenken gegen die Ökostrompauschale-Verordnung 2015 im Wege eines zivilgerichtlichen Verfahrens anzuregen, einen Verordnungsprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Die Gerichte sind zur Stellung von Anträgen auf Gesetzes- bzw. Verordnungsprüfung an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art89 Abs2 iVm Art139 bzw. Art140 B VG verpflichtet, wenn sie Bedenken gegen die anzuwendenden Rechtsvorschriften haben (vgl. VfSlg 14.355/1995, 18.246/2007). Weiters ist darauf hinzuweisen, dass nach Art139 Abs1 Z4 B VG eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels einen Parteiantrag auf Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof richten kann.
2.4. Soweit die Antragstellerinnen in ihrer Stellungnahme ausführen, dass sie im Fall einer unter Vorbehalt geleisteten Zahlung Gefahr liefen, dass das Vertragsverhältnis mit ihnen beendet oder nach Auslaufen des Energieliefervertrages ihnen kein neues Angebot mehr gelegt würde, was ihnen unzumutbar sei (vgl. Pkt. I.3.), ist festzuhalten, dass nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofes der Vorbehalt der Rückforderung für den Fall des Nichtbestehens der Verbindlichkeit nicht die Tilgung der Schuld verhindere, sofern diese bestehe; der Gläubiger dürfe daher die Leistung unter Vorbehalt nicht zurückweisen (OGH 16.12.2008, 8 Ob 123/08h mwN). Die von den Antragstellerinnen befürchtete Gefahr der Nichtverlängerung ihres Energieliefervertrages bei Beschreiten des o.a. Zivilrechtsweges macht diesen Weg nicht unzumutbar. Die dahingehenden im Antrag dargelegten Ausführungen gehen daher ins Leere.
IV. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher bereits aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass zu prüfen ist, ob seiner meritorischen Erledigung noch weitere Prozesshindernisse entgegenstehen.
2. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.