E543/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 22. September 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 21. Dezember 2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 als unbegründet ab, erteilte einen Aufenthaltstitel gemäß §57 und §55 AsylG 2005 nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG 2005, stellte gemäß §52 Abs9 FPG 2005 die Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria gemäß §46 FPG 2005 fest, bestimmte die Frist gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG 2005 mit vierzehn Tagen, erkannte die aufschiebende Wirkung gemäß §18 Abs1 BFA VG ab und erließ ein auf die Dauer von sieben Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gemäß §53 Abs1 iVm Abs2 FPG 2005. Diesen Bescheid nahm der Beschwerdeführer persönlich am 21. Dezember 2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, entgegen. Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 5. Jänner 2016 – eingelangt bei der Behörde am selben Tag – erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Schreiben vom 26. Jänner 2016 räumte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Stellungnahme im Hinblick auf die verspätete Beschwerde ein. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers teilte mit E-Mail vom 3. Februar 2016 mit, der Beschwerdeführer könne sich nur an ein ihm am 21. Dezember 2015 ausgehändigtes Sprachgutachten erinnern, nicht jedoch an den Zustelltag des Bescheides. Da der Beschwerdeführer in der Grundversorgung untergebracht gewesen sei, sei der Rechtsvertreter hinsichtlich der Fristberechnung davon ausgegangen, dass der Bescheid per Post frühestens am Tag nach der Ausstellung zugestellt worden sei. Der betraute Mitarbeiter des Rechtsvertreters habe in fehlerhafter Weise eine Nachfrage beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterlassen.
2. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 10. Februar 2016 unter Berufung auf die Frist von zwei Wochen in §16 Abs1 1. Satz BFA-VG, BGBl I 87/2012, idF BGBl I 70/2015, als verspätet zurück. Der Beschwerdeführer habe die persönliche Übernahme des Bescheides vom 21. Dezember 2015 am selben Tag durch seine Unterschrift bestätigt. Die Verspätung der Beschwerde sei nicht bestritten worden. Aus der Begründung des parlamentarischen Abänderungsantrages gehe hervor, dass die Frist des §16 Abs1 1. Satz BFA-VG, BGBl I 70/2015, zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sei.
3. Gegen diesen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, konkret des §16 Abs1 BFA-VG, idF BGBl I 70/2015, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt.
4. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Rechtslage
1. §7 Abs4 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl I 33/2013, lautet auszugsweise:
"2. Hauptstück
Verfahren
1. Abschnitt
Beschwerde
Beschwerderecht und Beschwerdefrist
§7. […]
(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art130 Abs1 Z1 B VG, gegen Weisungen gemäß Art130 Abs1 Z4 B VG oder wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art130 Abs2 Z1 B VG beträgt vier Wochen. […]"
III. Erwägungen
1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 23. Februar 2016, G589/2015 ua., den Ausdruck "1," in §16 Abs1 BFA-VG idF BGBl I 70/2015 als verfassungswidrig auf und sprach gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B VG aus, dass dieser Ausdruck nicht mehr anzuwenden ist. Der Ausspruch wurde vom Bundeskanzler im BGBl I 17/2016 am 31. März 2016 kundgemacht.
1.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Erlassung des angefochtenen Beschlusses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Ausspruch, dass der aufgehobene Ausdruck nicht mehr anzuwenden ist, hat auch für den Verfassungsgerichtshof die Wirkung, dass er die betreffende Bestimmung nicht mehr anzuwenden hat (vgl. etwa VfSlg 12.954/1991, 15.401/1999; VfGH 14.12.2005, B1025/04; 29.6.2011, B308/11; 8.3.2016, E2105/2015).
1.3. Nach der bereinigten Rechtslage bestimmt sich die Frist zur Erhebung einer Beschwerde im vorliegenden Fall nach §7 Abs4 VwGVG und lief demnach am 18. Jänner 2016 – vier Wochen nach Zustellung des Bescheides des BFA am 21. Dezember 2015 – ab. Die am 5. Jänner 2016 eingebrachte Beschwerde war somit rechtzeitig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels auf die im Zeitpunkt des Ablaufes der Frist gegebene Sach- und Rechtslage abzustellen (vgl. VwGH 22.12.1997, 95/10/0078 mwN).
1.4. Die mit BGBl I 24/2016 am 20. Mai 2016 kundgemachte und gemäß Art49 B VG – mangels ausdrücklicher abweichender Bestimmung – mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft getretene Neufassung des §16 Abs1 BFA VG, die wiederum eine von §7 Abs4 VwGVG abweichende zweiwöchige Rechtsmittelfrist in bestimmten Fällen des §3 Abs2 Z1 BFA-VG vorsieht, ist auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.
2. Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.