E2434/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen An-wendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdefüh-rer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Pro-zesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Bescheid vom 21. Oktober 2015 verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über den Beschwerdeführer, einen Staatsbürger von Gambia, gemäß Art28 Abs1 und 2 Dublin III-VO iVm §76 Abs2 Z2 FPG und §57 Abs1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung und zur Sicherung der Abschiebung.
Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag stellte das Bundesamt für Fremden-wesen und Asyl dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesver-waltungsgericht die "ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe […] als Rechtsberater amtswegig zur Seite".
2. Die gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21. Oktober 2015 erhobene Beschwerde, in der der Beschwerdeführer unter anderem einen "Antrag auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers" stellte, wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 30. Oktober 2015 "gemäß Art28 Dublin III-VO iVm §76 Abs2 Z2 FPG iVm §22a Abs1 BFA-VG" ab und erklärte die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab 21. Oktober 2015 für rechtmäßig (Spruchpunkt I), wies weiters seinen Antrag auf Kostenersatz ab (Spruchpunkt II), verpflichtete ihn zum Aufwandersatz gegenüber dem Bund in der Höhe von € 426,20 (Spruchpunkt III) und wies den Antrag auf Befreiung von der Eingabengebühr (Spruchpunkt IV) ebenso wie den Antrag auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers als unzulässig zurück (Spruchpunkt V).
Betreffend die Zurückweisung des Antrags auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Beigabe eines Verfahrenshelfers mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht komme. §40 VwGVG, BGBl I 33/2013 (im Folgenden: VwGVG), sei durch die Aufhebung mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 2015, G7/2015, und die darin erfolgte Fristsetzung bis zum 31. Dezember 2016 immunisiert. Selbst bei Anwendbarkeit des §40 VwGVG wäre dem Antrag nicht zu entsprechen, weil die Bestellung eines Verteidigers nicht erforderlich sei, wenn der Antrag bereits von einem Bevollmächtigten gestellt werde (möge dieser auch kein berufsmäßiger Parteienvertreter sein). "Auch aus den vom Beschwerdeführer zitierten unionsrechtlichen Normen [sei] kein Anspruch auf Bestellung eines Verfahrenshelfers nach §40 VwGVG zusätzlich zum Rechtsberater ableitbar"; um ein den Grundrechten entsprechendes Verfahren zu gewährleisten, würden die Interessen des Beschwerdeführers durch den von Amts wegen bestellten Rechtsberater ausreichend wahrgenommen.
3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144 B VG erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewähr-leisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf Freiheit und Sicherheit gemäß Art5 EMRK und dem Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit sowie "auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung" gemäß Art47 Abs2 GRC und Art6 EMRK unter näherer Begründung geltend und beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
4. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerde ist begründet.
Das Bundesverwaltungsgericht hätte im Rahmen des Abspruchs über den Antrag auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers die mit Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 9. März 2016, G447/2015 ua., aufgehobene Wortfolge "gegen eine Rückkehrentscheidung, eine Entscheidung gemäß §2 Abs4 bis 5 oder §3 GVG-B 2005 oder eine Anordnung zur Außerlandesbringung" in §52 Abs2 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015, anzuwenden gehabt (vgl. VwGH 3.9.2015, Ro 2015/21/0032).
Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass die Anwendung dieser Bestimmung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war (vgl. VfGH 9.3.2016, E1845/2015).
2. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).
3. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
6. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.