JudikaturVfGH

E1268/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
08. März 2016

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 4. Jänner 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16. April 2015 wurde sein Antrag unter Spruchpunkt I. gemäß §4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzubegeben habe. Unter Spruchpunkt II. wurde ausgesprochen, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt werde sowie gegen den Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG die Außerlandesbringung gemäß §61 Abs2 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß §61 Abs2 FPG zulässig sei. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 17. April 2015 rechtswirksam zugestellt. Am 27. April 2015 erhob dieser Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 18. Mai 2015 unter Berufung auf §22 Abs12 AsylG 2005 als verspätet zurück.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, konkret des §22 Abs12 AsylG 2005, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird.

Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 23. Februar 2016, G574/2015, §22 Abs12 AsylG 2005, BGBl I 100, idF BGBl I 68/2013, als verfassungswidrig aufgehoben.

2.2. Gemäß Art140 Abs7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 2.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).

2.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 23. Februar 2016. Der am 22. Juni 2015 eingelangte Verfahrenshilfeantrag des Beschwerdeführers war damals bereits beim Verfassungsgerichtshof eingelangt. Die in der Folge (durch einen Rechtsanwalt) eingebrachte Beschwerde gilt den §§73 Abs2 und 464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zufolge als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit als noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren, erhoben und damit beim Verfassungsgerichtshof anhängig (VfSlg 11.748/1988). Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlassfall gleichzuhalten.

Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Beschlusses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

Der Beschluss ist daher aufzuheben.

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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