B451/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Das Land Salzburg ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
1. Der Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 21. April 2012 im Zuge ihrer bedingten Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Ma0nahme unter anderem die Weisung erteilt, bei der *** ***** **** **** Aufenthalt zu nehmen sowie an der Tagesstruktur teilzunehmen. Am 3. September 2012 beantragt die Beschwerdeführerin die Gewährung von Bedarfsorientierter Mindestsicherung nach dem Salzburger Mindestsicherungsgesetz (im Folgenden: Sbg. MSG). Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Salzburg vom 5. September 2012 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung an die Salzburger Landesregierung mit der Begründung, dass sie ein Zimmer in der Einrichtung der *** ***** **** **** bewohne und sich selbst versorgen müsse. Die Verträge zwischen der *** ***** **** **** und dem Bundesministerium für Justiz würden ausschließlich die psychologische und sozialarbeiterischen Betreuungsleistungen abdecken, nicht jedoch ihre Wohnungs- und sonstigen Lebenserhaltungskosten.
2. Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 11. März 2013 wurde die Berufung gestützt auf §13 Abs1 Sbg. MSG, LGBl für das Land Salzburg 63/2010 idF LGBl für das Land Salzburg 57/2012, als unbegründet abgewiesen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
4. Die Salzburger Landesregierung hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
5.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G364/2015 ua., die Wortfolge "oder auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung" in §13 Abs1 des Salzburger Mindestsicherungsgesetzes, LGBl für das Land Salzburg 63/2010 idF LGBl für das Land Salzburg 57/2012, als verfassungswidrig aufgehoben.
6. Gemäß Art140 Abs7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 5.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).
6.1. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 25. November 2015, um 8:30 Uhr. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 31. Juli 2013 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die Salzburger Landesregierung hat bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
7. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.