E1168/2015 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
2. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. Die Beschwerde gegen das angefochtene Erkenntnis wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt und Beschwerde
1. Der 1982 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Dezember 2012, am selben Tag an den Beschwerdeführer persönlich ausgefolgt, wurde sein Antrag auf internationalen Schutz vom 1. Dezember 2012 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch bezüglich des Antrages auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und die Ausweisung nach Bangladesch verfügt. Gegen diesen Bescheid wurde am 20. Dezember 2012 Beschwerde erhoben.
2. Am 2. Jänner 2013 stellte der Beschwerdeführer zusätzlich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Jänner 2013 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen.
3. Mit Beschluss vom 23. April 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Dezember 2012 unter Berufung auf §16 Abs1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) als verspätet zurück, wobei eine bestimmte Fassung dieses Gesetzes nicht genannt wird. Nach dem im Beschluss wiedergegebenen Wortlaut handelt es sich um die Fassung BGBl I 68/2013.
4. Mit Erkenntnis vom 23. April 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Jänner 2013 unter Berufung auf §33 Abs1 VwGVG als unbegründet ab.
5. Gegen diese Entscheidungen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, konkret des §16 Abs1 BFA-VG, sowie eine Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt wird.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässigen – Beschwerden erwogen:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B VG mit Erkenntnis vom 24. Juni 2015, G171/2015 ua., §16 Abs1 BFA-VG idF BGBl I 68/2013 als verfassungswidrig aufgehoben.
1.2. Gemäß Art140 Abs7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 1.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).
1.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 24. Juni 2015. Der der vorliegenden Beschwerde zugrunde liegende Antrag auf Verfahrenshilfe ist beim Verfassungsgerichtshof am 5. Juni 2015 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Beschlusses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.
1.4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
2.1. Das Verfahren hinsichtlich der Beschwerde gegen das Erkenntnis wird eingestellt.
2.2. Durch die Aufhebung des in Rede stehenden Beschlusses durch den Verfassungsgerichtshof ist für den Beschwerdeführer im Verfahren gegen dieses Erkenntnis vor dem Verfassungsgerichtshof die Beschwer weggefallen. Die Rechtslage ist daher so zu beurteilen, als ob der Beschwerdeführer im Sinne des §86 VfGG klaglos gestellt worden wäre, weshalb die Beschwerde als gegenstandslos geworden anzusehen und das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des §86 VfGG einzustellen ist (vgl. etwa VfSlg 9209/1981, 10.664/1985, 12.490/1990, 12.896/1991, 14.559/1996, VfGH 8.6.2004, B1240/03, VfGH 25.2.2008, B1465/07).
2.3. Kosten sind insoweit nicht zuzusprechen, da eine Klaglosstellung im Sinne des §88 VfGG nicht vorliegt (vgl. VfSlg 9023/1981, 16.181/2001).
3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z4 bzw. 3 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.