G398/2015 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Begründung
I. Sachverhalt und Antrag
1. Die Antragsteller sind Mitglieder des Vorstands der Meinl Bank AG, eines Kreditinstituts im Sinne des §1 Abs1 Bankwesengesetz (BWG).
2. Mit Bescheid vom 24. Juli 2015 trug die Österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde (im Folgenden: FMA) der Meinl Bank AG unter Androhung einer Zwangsstrafe in Höhe von € 15.000,– zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes auf, binnen drei Monaten ab Bescheidzustellung die Antragsteller als Geschäftsleiter abzuberufen (Spruchpunkt I), zumindest zwei neue, gemäß §5 Abs1 Z6 bis 13 BWG geeignete Geschäftsleiter zu bestellen (Spruchpunkt II) und der FMA über die Umsetzung der Maßnahmen zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes schriftlich zu berichten (Spruchpunkt III).
3. In ihren auf Art140 Abs1 litc B VG gestützten Anträgen begehren die Antragsteller, "der VfGH möge
- §70 Abs4 Z1 BWG, BGBl 1993/532 idF BGBl I 2014/98 zur Gänze; sowie
- in dem sachlich mit §70 Abs4 Z1 BWG zusammenhängenden §70 Abs10 Z2 BWG, BGBl 1993/532, idF BGBl I 2014/98, die Wortfolge 'Z1 und,'
in eventu
- die Wortfolge 'dem Kreditinstitut' in §70 Abs4 Z1 BWG, BGBl 1993/532 idF BGBl I 2014/98; sowie
- in dem sachlich mit §70 Abs4 Z1 BWG zusammenhängenden §70 Abs10 Z2 BWG, BGBl 1993/532, idF BGBl I 2014/98, die Wortfolge 'Z1 und,'
als verfassungswidrig aufheben."
4. Zur Begründung ihrer Antragslegitimation führen die Antragsteller im Wesentlichen aus, dass sich §70 Abs4 Z1 BWG zwar an das Kreditinstitut als Normadressat richte, jedoch in die Rechtssphäre der Antragsteller eingreife und sich somit inhaltlich auch gegen sie richte. Ein von der FMA erlassener Auftrag gemäß §70 Abs4 Z1 iVm §5 Abs1 Z7 und 8 BWG bewirke, dass das Kreditinstitut sie als Geschäftsleiter sofort bei sonstiger Sanktion zu "entfernen" habe. Der Inhalt des Bescheids wirke sich unmittelbar auf ihre Position aus; der Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren oder zu vorläufigem Rechtsschutz sei den Antragstellern mangels Parteistellung verwehrt. Der Ausschluss der Antragsteller von ihren Mitwirkungs- und Verteidigungsrechten als Partei ergebe sich unmittelbar aus §70 Abs4 Z1 BWG und müsse nicht mehr durch eine weitere generelle Rechtsvorschrift oder durch einen Akt der Vollziehung konkretisiert werden.
Der Bescheid der FMA vom 24. Juli 2015 sei den Antragstellern nicht zugestellt worden; über ihre Anträge auf Zuerkennung der Parteistellung habe die FMA bisher noch nicht abgesprochen. Ohnedies sei es den Antragstellern vor dem Hintergrund des Fehlens eines effizienten und unmittelbaren Rechtsschutzes, der Schwere des Eingriffs in ihre Grundrechte und der Tatsache, dass durch die Vollziehung des Bescheids nachträglich kaum veränderliche Tatsachen geschaffen würden, nicht zumutbar, den "zeitraubenden und eine weitere Instanz umfassenden" Umweg über das Verfahren über die Zuerkennung der Parteistellung zu beschreiten. Auch sei es den Antragstellern nicht zumutbar, zuzuwarten, bis das Kreditinstitut auftragsgemäß das Vertragsverhältnis zu den Antragstellern beendet habe, um dann Ansprüche gerichtlich geltend zu machen; in einem solchen gerichtlichen Verfahren sei §70 Abs4 Z1 BWG zudem nicht präjudiziell.
Der Verlust ihrer Position als Geschäftsleiter habe für die Antragsteller schwerwiegende Konsequenzen: Der Verlust des Arbeitsplatzes und der dann "einzementierte" Vorwurf der mangelnden Zuverlässigkeit als Geschäftsleiter würde dazu führen, dass die Antragsteller im europäischen Raum keine vergleichbare Position mehr im Bereich des Finanzmarkts antreten könnten. Neben den erheblichen Einkommensverlusten sei auch der berufliche und private Reputationsschaden in die Betrachtung einzubeziehen.
Dem Kreditinstitut sei es nicht zuzumuten, den aufsichtsbehördlichen Auftrag zunächst nicht zu erfüllen.
5. In der Sache bringen die Antragsteller zusammengefasst vor, §70 Abs4 Z1 BWG verstoße wegen der Ausgestaltung des Verfahrens als Einparteienverfahren, in dem die Antragsteller mangels Parteistellung ihre rechtlichen Interessen nicht geltend machen könnten, gegen Art6 bzw. Art8 iVm Art13 EMRK, gegen das Rechtsstaatsprinzip, den Gleichheitssatz, die Erwerbsfreiheit und das Eigentumsgrundrecht. Zudem fehle dem Gesetz jegliche Regelung über einen provisorischen Rechtsschutz.
II. Rechtslage
§5 und §70 Bankwesengesetz, BGBl 532/1993, idF BGBl I 98/2014, lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
" §5. (1) Die Konzession ist zu erteilen, wenn:
1. – 6. [...]
7. die Geschäftsleiter über geordnete wirtschaftliche Verhältnisse verfügen und keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Zweifel an ihrer persönlichen für den Betrieb der Geschäfte gemäß §1 Abs1 erforderlichen Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Unvoreingenommenheit ergeben; bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit hat die FMA auch auf die von der EBA gemäß Art69 Abs1 der Richtlinie 2013/36/EU eingerichtete Datenbank zurückzugreifen; liegen derartige Tatsachen vor, dann darf die Konzession nur erteilt werden, wenn die Unbegründetheit der Zweifel bescheinigt wurde;
8. – 14. [...]
[...]
Auskunfts- und Informationseinholungbefugnisse
§70. (1) – (3) [...]
(4) Liegt eine Konzessionsvoraussetzung gemäß §5 Abs1 Z1 bis 14 nach Erteilung der Konzession nicht mehr vor oder verletzt ein Kreditinstitut, eine Finanzholdinggesellschaft, eine gemischte Finanzholdinggesellschaft oder eine gemischte Holdinggesellschaft Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, des Sparkassengesetzes, des Bausparkassengesetzes, der Einführungsverordnung zum Hypothekenbank- und zum Pfandbriefgesetz, des Hypothekenbankgesetzes, des Pfandbriefgesetzes, des Bankschuldverschreibungsgesetzes, des Investmentfondsgesetzes 2011, des Depotgesetzes, des E Geldgesetzes, des BMSVG, des Immobilien-Investmentfondsgesetzes, des Finanzkonglomerategesetzes, des Bundesgesetzes über die Sanierung und Abwicklung von Banken, einer auf Grund dieser Bundesgesetze erlassenen Verordnung oder eines Bescheides, die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr 575/2013 oder eines auf Basis dieser Verordnung erlassenen Bescheides oder der für die Bankenaufsicht relevanten technischen Standards im Sinne der Art10 bis 15 der Verordnung (EU) Nr 1093/2010 und der Art10 bis 15 der Verordnung (EU) Nr 1095/2010, so hat die FMA
1. dem Kreditinstitut, der Finanzholdinggesellschaft, der gemischten Finanzholdinggesellschaft oder der gemischten Holdinggesellschaft unter Androhung einer Zwangsstrafe aufzutragen, den rechtmäßigen Zustand binnen jener Frist herzustellen, die im Hinblick auf die Umstände des Falles angemessen ist;
2. im Wiederholungs- oder Fortsetzungsfall den Geschäftsleitern die Geschäftsführung ganz oder teilweise zu untersagen, es sei denn, dass dies nach Art und Schwere des Verstoßes unangemessen wäre, und die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes durch nochmaliges Vorgehen gemäß Z1 erwartet werden kann; in diesem Fall ist die erstverhängte Zwangsstrafe zu vollziehen und der Auftrag unter Androhung einer höheren Zwangsstrafe zu wiederholen;
3. die Konzession eines Kreditinstitutes zurückzunehmen, wenn andere Maßnahmen nach diesem Bundesgesetz die Funktionsfähigkeit des Kreditinstitutes nicht sicherstellen können.
Verletzt ein Kreditinstitut die Vorgaben der im ersten Satz angeführten Rechtsakte, oder besteht nach Ansicht der FMA nachweislich Grund zur Annahme, dass ein Kreditinstitut innerhalb der nächsten zwölf Monate voraussichtlich gegen diese Vorgaben verstoßen wird, kann die FMA auch Maßnahmen gemäß Abs4a Z1 bis 12 ergreifen.
(4a) – (6) [...]
(7) Die FMA ist zur Information der Öffentlichkeit berechtigt, von ihr getroffene Maßnahmen nach Abs2, 3 und 4 durch Abdruck im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung' oder in einer Zeitung mit Verbreitung im gesamten Bundesgebiet oder im Internet oder durch Aushang an geeigneter Stelle in den Geschäftsräumlichkeiten des Kreditinstituts bekannt zu machen. Veröffentlichungen von Maßnahmen nach Abs4 Z1 sind jedoch nur vorzunehmen, wenn dies nach Art und Schwere des Verstoßes zur Information der Öffentlichkeit erforderlich ist. Diese Veröffentlichungsmaßnahmen können auch kumulativ getroffen werden. Der von der Veröffentlichung Betroffene kann eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung in einem bescheidmäßig zu erledigenden Verfahren bei der FMA beantragen. Die FMA hat diesfalls die Einleitung eines solchen Verfahrens in gleicher Weise bekannt zu machen. Wird im Rahmen der Überprüfung die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung festgestellt, so hat die FMA die Veröffentlichung richtig zu stellen oder auf Antrag des Betroffenen entweder zu widerrufen oder aus dem Internetauftritt zu entfernen. Wurde einer Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs2, 3 oder 4 in einem höchstgerichtlichen Verfahren aufschiebende Wirkung zuerkannt, so hat die FMA dies in gleicher Weise bekannt zu machen. Die Veröffentlichung ist richtig zu stellen oder auf Antrag des Betroffenen entweder zu widerrufen oder aus dem Internetauftritt zu entfernen, wenn der Bescheid aufgehoben wird.
(8) Die Kreditinstitute haben unverzüglich alle auf Grund der in §69 genannten Bestimmungen ergangenen Bescheide der FMA dem Vorsitzenden des Aufsichtsorgans zur Kenntnis zu bringen.
(9) Bescheide, mit denen Geschäftsleitern die Führung des Kreditinstituts ganz oder teilweise untersagt wird (Abs2 Z3 und Abs4 Z2), sind wie auch eine allfällige Aufhebung dieser Maßnahme von der FMA dem Firmenbuchgericht zur Eintragung in das Firmenbuch zu übermitteln.
(10) Die FMA kann bei Repräsentanzen von Kreditinstituten mit Sitz in einem Mitgliedstaat oder einem Drittland die in Abs1 Z1 bis 3 genannten Auskünfte und sonstigen Informationen einholen und Prüfungshandlungen durchführen lassen, um die Einhaltung der §§1 Abs1 und 73 zu überwachen; Abs7 ist anzuwenden. Im Fall der Verletzung dieser Bestimmungen hat die FMA unbeschadet §98 Abs1
1. bei Kreditinstituten gemäß §9 die im §15 genannten Maßnahmen zu ergreifen,
2. bei Kreditinstituten aus Drittländern die in §70 Abs4 Z1 und 2 genannten Maßnahmen zu ergreifen und die zuständige Behörde des Sitzstaates hierüber zu informieren."
III. Erwägungen
1. Die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – Anträge sind nicht zulässig.
2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.
Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
3. Die Antragsteller sind – wie sie selbst zutreffend ausführen – nicht Normadressaten der angefochtenen aufsichtsrechtlichen Bestimmung des §70 Abs4 Z1 BWG, die gewährleisten soll, dass die Konzessionsvoraussetzungen gemäß §5 Abs1 Z1 bis 14 und §5 Abs4 BWG beim Kreditinstitut auch nach Konzessionserteilung weiterhin vorliegen, und damit dem Schutz der Gläubiger dient (vgl. RV 1130 BlgNR 18. GP, 149). Nach §70 Abs4 Z1 BWG erteilte Aufträge richten sich an das Kreditinstitut, das allenfalls die negativen Konsequenzen einer Nichtbefolgung des Auftrags – wie den Vollzug der Zwangsstrafe oder letztlich sogar den Verlust der Konzession – zu tragen hat.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass die Abberufung der Antragsteller als Geschäftsleiter für diese bedeutende wirtschaftliche Nachteile nach sich ziehen kann. Diese Nachteile werden jedoch nicht unmittelbar auf Grund der angefochtenen Bestimmungen für die Antragsteller wirksam, sondern erst durch die im Privatrechtsverhältnis zwischen den Antragstellern und dem Kreditinstitut allenfalls erfolgende Abberufung als Geschäftsleiter. Die behaupteten Rechtswirkungen für die Antragsteller treten daher erst auf Grund einer Entscheidung des Kreditinstituts ein (vgl. VfSlg 19.115/2010). Auch aus dem von den Antragstellern zitierten Erkenntnis VfSlg 19.342/2011 ergibt sich nichts anderes. Ein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller liegt daher nicht vor.
IV. Ergebnis
Die Antragsteller sind durch die angefochtenen Bestimmungen nicht unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen.
Die Anträge sind daher schon aus diesem Grund gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.