JudikaturVfGH

A11/2014 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 2015

Spruch

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Sachverhalt und Vorbringen

1. Mit seiner auf Art137 B VG gestützten Klage begehrt der Kläger aus dem Titel der Staatshaftung, die beklagte Partei "Republik Österreich" (gemeint wohl: Bund) schuldig zu erkennen, ihm binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution € 4.379,04 samt 4 % Zinsen seit Klagsbehändigung zu bezahlen. Des Weiteren möge festgestellt werden, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden "aus dem legislativen Unrecht – nämlich der mangelnden Umsetzung und Anpassung des nationalen Rechts im Zusammenhang mit der Frist des §187 Abs1 EO bei Anfechtung des Zuschlags im Zuge der Zwangsversteigerung vom 21.11.2010, BG Spittal an der Drau, Zahl 6 E 16/12v, und der damit verbundenen Verletzung des Gemeinschaftsrechtes, insbesondere der Grundrechte" hafte.

2. Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Der Kläger war Alleineigentümer einer Eigentumswohnung in Spittal an der Drau. Diese wurde im November 2012 auf Grund eines vollstreckbaren Zahlungsbefehls vom November 2011 zur Hereinbringung einer Forderung in der Höhe von € 600,– s. A. versteigert. Am 4. März 2013 wurde die Räumung der Wohnung durchgeführt. Am 6. März 2013 wurde für den Kläger ein einstweiliger Sachwalter und dieser in der Folge zum Sachwalter bestellt.

2.2. Der Sachwalter beantragte am 21. März 2013 die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung nach §7 Abs3 EO, die neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls vom November 2011 und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen diesen Zahlungsbefehl. Die Anträge wurden damit begründet, dass der Kläger infolge Alkohol- und Medikamentenmissbrauchs sowie auf Grund seiner generellen schlechten psychischen Verfassung im November 2011 – also zu jener Zeit, in der ihm der letztlich vollstreckte Zahlungsbefehl zugestellt worden war – weder "zurechnungsfähig" noch prozessfähig gewesen sei. Der Kläger habe die im Zuge des Mahnverfahrens und des Exekutionsverfahrens ihm zugestellten Schriftstücke weder verstanden noch diese inhaltlich beurteilen können. Es lägen Zustellungen an eine nicht eigenberechtigte Person vor.

2.3. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau wurde der Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung nach §7 Abs3 EO zurückgewiesen und jener auf neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls abgewiesen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Zahlungsbefehl wurde bewilligt und die am 28. Dezember 2011 erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls wurde aufgehoben.

2.4. Am 4. April 2013 erhob der Sachwalter Rekurs gegen den Exekutionsbewilligungsbeschluss des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 10. April 2012. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dem Exekutionsverfahren liege kein rechtskräftiger und vollstreckbarer Titel zugrunde. Da der Kläger im Zeitpunkt der Zustellung des Zahlungsbefehls prozessunfähig gewesen sei, sei der Exekutionstitel niemals in Rechtskraft erwachsen.

2.5. Dieser Rekurs wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 9. Oktober 2013 zurückgewiesen. Der Rekurs sei unzulässig, da nach der durch §187 Abs1 EO normierten Frist von 14 Tagen seit dem Versteigerungstermin, in dem der Zuschlag erteilt wurde, ein Zuschlag auch dann nicht mehr erfolgreich angefochten werden könne, wenn der Verpflichtete zur Zeit der Bewilligung der Zwangsversteigerung und in der Folge wegen Geisteskrankheit prozessunfähig war. Die Zustellung des Beschlusses über die Zuschlagserteilung an den gesetzlichen Vertreter sei hiefür nicht erforderlich.

3. In seiner Klage nach Art137 B VG begehrt der Kläger die von ihm bisher bezahlten Kosten für den Mietzins, den er nunmehr für eine Mietwohnung aufbringen müsse, sowie die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes. Das Feststellungsinteresse werde mit € 5.000,– bewertet.

4. Der der Klage zugrundeliegende Sachverhalt sei mit jenem, der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Urteil vom 16. Juli 2009 im Fall Zehentner gegen Österreich (EGMR 16.7.2009, Fall Zehentner , Appl. 20.082/02, newsletter 2009, 212) entschieden wurde, vergleichbar. Der EGMR habe in diesem Urteil ausgesprochen, es liege eine Verletzung des Art8 EMRK vor, die darin begründet sei, dass nach Durchführung einer Zwangsversteigerung und Zwangsräumung einer Wohnung der Anfechtung des Zuschlags durch den Sachwalter einer Geschäftsunfähigen die absolute Frist des §187 Abs1 EO eingewendet worden sei.

5. Trotz des EGMR-Urteils im Fall Zehentner sei die Exekutionsordnung nicht sofort, sondern "verspätet", nämlich erst mit der Exekutionsordnungs-Novelle 2014, BGBl I 69/2014, geändert worden. Es sei ein neuer §187a EO eingefügt worden. Nach dieser Bestimmung sei auf Antrag einer verpflichteten Partei der Zuschlag aufzuheben und das Exekutionsverfahren aufzuschieben, wenn beispielsweise die verpflichtete Partei während des Exekutionsverfahrens einer gesetzlichen Vertretung bedurfte, aber nicht gesetzlich vertreten war und die Verfahrensführung auch nicht nachträglich genehmigt wurde. §187a EO sei seit 1. Oktober 2014 in Kraft.

6. Auf Grund der "rechtswidrigen absoluten Frist des §187 Abs1 EO" und der "nicht rechtzeitigen Anpassung des nationalen österreichischen Rechts an das EU-Recht" sei dem Kläger ein Schaden entstanden. Der Kläger begehre daher aus dem Titel der Staatshaftung Ersatz für den bereits erlittenen Schaden "bzw." die Feststellung der Haftung für den noch drohenden Schaden auf Grund des Verlustes seiner Wohnung.

II. Erwägungen

1. Gemäß Art137 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, noch durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind. Die Klägerin macht einen gegen den Bund gerichteten vermögensrechtlichen Anspruch geltend.

2. Voraussetzung einer Staatshaftung ist es, dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union zur Verletzung einer unionsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist (vgl. EuGH 5.3.1996, Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur , Slg. 1996, I-1029, Rz 51; 23.5.1996, Rs. C-5/94, Hedley Lomas , Slg. 1996, I-2553, Rz 32; 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler , Rz 51).

3. Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch als solcher nicht unmittelbar abzuleiten (VfSlg 17.002/2003), unter anderem schon deshalb nicht, weil sich der unionsrechtliche Grundrechtsschutz nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auf mitgliedstaatliche Rechtsakte nur insoweit bezieht, als sie unionsrechtliche Rechtsakte durchführen. Aus dem Klagsvorbringen lässt sich nicht erschließen, inwieweit aus der behaupteten "verspäteten Reaktion" des Gesetzgebers im Hinblick auf das EGMR-Urteil im Fall Zehentner (EGMR 16.7.2009, Fall Zehentner , Appl. 20.082/02, newsletter 2009, 212) ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch abgeleitet werden könnte.

4. Im Übrigen ist es mit der EMRK vereinbar, wenn eine für konventionswidrig befundene Rechtslage für eine Übergangsfrist bestehen bleibt, zB weil der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber eine Frist für die Erlassung einer Neuregelung eingeräumt hat (VfSlg 19.166/2010; EGMR 22.7.2010, Fall P.B. und J.S. , Appl. 18.984/02, Z49).

III. Ergebnis

1. Die Klage ist daher zurückzuweisen (vgl. VfGH 23.11.2012, A15/2011).

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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