JudikaturVfGH

E453/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. März 2015

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt I des Spruchteils A des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im Februar 2011 über den Seeweg nach Italien ein. Nach einem zweieinhalb Jahre dauernden Gefängnisaufenthalt in Italien begab er sich im August 2013 zunächst in die Schweiz und weiter nach Deutschland, wo er jeweils Anträge auf internationalen Schutz stellte. Nach einem Aufenthalt in Schweden wurde er nach Italien abgeschoben.

Am 30. Juni 2014 reiste der Beschwerdeführer von Italien kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 2. Juli 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 26. August 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) seinen Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß §5 Abs1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und erklärte für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art18 Abs1 litb iVm. Art25 Abs2 VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) Italien für zuständig (Spruchpunkt I). Gemäß §61 Abs1 FPG wurde die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und ausgesprochen, dass seine Abschiebung nach Italien gemäß §61 Abs2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II). Der Bescheid erwuchs mit 9. September 2014 in Rechtskraft.

2. Am 17. Jänner 2015 wurde der Beschwerdeführer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien gemäß §120 Abs1a FPG wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet festgenommen.

Mit Mandatsbescheid des BFA vom 18. Jänner 2015 – vom Beschwerdeführer persönlich übernommen am 18. Jänner 2015 – wurde über den Beschwerdeführer gemäß Art28 VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) iVm §76 Abs1 FPG 2005 iVm §57 Abs1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt.

3. Mit nunmehr angefochtenem Erkenntnis vom 27. Jänner 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht im Spruchteil A die gegen die mit Bescheid des BFA vom 18. Jänner 2014 angeordnete Verhängung der Schubhaft erhobene Beschwerde gemäß §22a Abs1 BFA-VG iVm Art28 VO (EU) 604/2013 und §76 Abs1 FPG ab (Spruchpunkt I), stellte gemäß §22a Abs3 BFA-VG iVm Art28 VO (EU) 604/2013 und §76 Abs1 FPG 2005 fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (Spruchpunkt II), verpflichtete den Beschwerdeführer gemäß §35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II 517/2013, zum Kostenersatz (Spruchpunkt III) und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz gemäß §35 Abs3 VwGG ab (Spruchpunkt IV). Mit Spruchteil B erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Revision gemäß Art133 Abs4 B VG für zulässig.

4. In der dem Inhalt nach nur gegen Spruchteil A dieses Erkenntnisses gerichteten Beschwerde gemäß Art144 B VG behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen und in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B VG.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 12. März 2015, G151/2014 ua., hob der Verfassungsgerichtshof §22a Abs1 und 2 BFA-VG idF BGBl I 68/2013 als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

Die Beschwerde ist begründet.

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde also durch Spruchpunkt I des Spruchteils A des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Fragen, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht davon ausging, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und ob das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund, dass der Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in einen Verfahren gemäß §57 AVG erlassen wurde (§76 Abs3 FPG), von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen konnte (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017), insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit des §22a Abs3 BFA-VG behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund des Erkenntnisses vom 12. März 2015, G151/2014 ua., die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Auch gegen §76 Abs1 FPG sind aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken entstanden; ob diese Bestimmung den Voraussetzungen der Dublin III-VO entspricht, ist keine vom Verfassungsgerichtshof zu klärende Frage. §40 VwGVG ist im vorliegenden Verfahren nicht präjudiziell.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer wurde durch Spruchpunkt I des Spruchteils A des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.

2. Im Übrigen – sohin hinsichtlich der Spruchpunkte II und III des Spruchteils A – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z1 und Z4 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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