JudikaturVfGH

E719/2014 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. März 2015

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

II. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses wendet, zurückgewiesen.

III. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

IV. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616, bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Gegen die Beschwerdeführerin, eine slowakische Staatsangehörige, wurde 2007 wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, in dessen Vollstreckung die Beschwerdeführerin abgeschoben wurde. Trotz des bestehenden Aufenthaltsverbots reiste sie in der Folge mehrfach in das Bundesgebiet ein und wurde erneut straffällig.

Zuletzt reiste die Beschwerdeführerin am 27. Juni 2011 nach Österreich ein, wo noch am gleichen Tag wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Diebstahls die Untersuchungshaft über sie verhängt wurde. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 31. Jänner 2012 wurde die Beschwerdeführerin rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Februar 2012 wurde abermals ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gegen die Beschwerdeführerin erlassen.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Februar 2014 wurde gemäß §76 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 87/2012 (FPG), die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet, wobei im Spruch ausgeführt wurde, dass die Rechtsfolgen des Bescheides erst nach der Entlassung der Beschwerdeführerin aus der zum damaligen Zeitpunkt noch zu verbüßenden Strafhaft eintreten sollten.

3. Die dagegen erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß §22a BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013, wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 29. April 2014 gemäß §76 Abs1 FPG iVm §22a Abs1 BFA-VG ab (Spruchpunkt A.I.). Den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Kostenersatz wies das Bundesverwaltungsgericht ebenso zurück (Spruchpunkt A.II.) wie einen entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin auf Kostenersatz (Spruchpunkt A.III.); die Revision gemäß Art133 Abs4 B VG wurde für zulässig erklärt (Spruchpunkt B.).

4. In der dagegen gemäß Art144a B VG (gemeint wohl: Art144 B VG) erhobenen Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf Schutz der persönlichen Freiheit.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1.1. Mit Erkenntnis vom 12. März 2015, G151/2014 ua., hob der Verfassungsgerichtshof §22a Abs1 und 2 BFA-VG idF BGBl I 68/2013 als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

1.2. Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses wendet, ist sie begründet.

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.

Die Beschwerdeführerin wurde also durch Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses ist daher aufzuheben.

2. Im Hinblick auf Spruchpunkt A.II. ist die Beschwerde zurückzuweisen:

Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B VG nur dann gegeben, wenn durch das bekämpfte Erkenntnis irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann (vgl. etwa VfSlg 17.840/2006, 18.442/2008). Die Zulässigkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts setzt daher ein Interesse der Beschwerdeführerin an der Beseitigung des angefochtenen Erkenntnisses voraus. Ein solches Interesse ist nur gegeben, wenn die Beschwerdeführerin durch das Erkenntnis beschwert ist. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Beurteilung durch die Beschwerdeführerin, sondern darauf an, ob bei Anlegung eines objektiven Maßstabes gesagt werden kann, dass das angefochtene Erkenntnis die Rechtsposition der Beschwerdeführerin zu ihrem Nachteil verändert (vgl. VfSlg 12.452/1990, 13.433/1993 und 14.413/1996).

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Ersatz der Verfahrenskosten zurückgewiesen hat, kann die Beschwerdeführerin durch diesen Ausspruch nicht in ihren Rechten verletzt sein. Es mangelt ihr daher insoweit an der Beschwer und damit an der Legitimation zur Beschwerdeführung.

3. Im Übrigen – dh. im Hinblick auf Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht aussprach, dass ein Kostenersatzanspruch der Beschwerdeführerin nach §35 VwGVG schon deswegen nicht bestand, weil der verfahrensgegenständliche Schubhaftbescheid im Entscheidungszeitpunkt noch nicht in Vollzug gesetzt worden sei (dies v.a. mit Hinweis darauf, dass ein entsprechender Kostenersatzanspruch erst bei Vorliegen eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zugesprochen werden könne), nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin wurde durch Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist insoweit aufzuheben.

2. Hinsichtlich des Spruchpunktes A.II. wird die Beschwerde zurückgewiesen.

3. Hinsichtlich des Spruchpunktes A.III. wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436, enthalten.

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