JudikaturVfGH

V51/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2015

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Die antragstellenden Gesellschaften betreiben Wasserkraftwerke an der Feistritz und an der Raab auf der Grundlage von entsprechenden wasserrechtlichen Bewilligungen.

2. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 B VG und Art140 Abs1 B VG gestützten Antrag begehren sie die Aufhebung der auf der Grundlage des §33d Abs1 und 2 des Wasserrechtsgesetzes 1959 (im Folgenden: WRG 1959), BGBl 215 idF BGBl I 14/2011, erlassenen Verordnung des Landeshauptmannes von Steiermark vom 8. März 2012 betreffend die Sanierung von Fließgewässern, LGBl 21/2012 (im Folgenden: Stmk Sanierungsverordnung), in eventu die Aufhebung der im Spruch bezeichneten Wortfolgen der Stmk Sanierungsverordnung und in eventu zusätzlich auch die Aufhebung der §§33d und 55g Abs1 Z3 WRG 1959.

Zusammengefasst bringen die antragstellenden Parteien vor, sie seien als Adressaten der Stmk Sanierungsverordnung aktuell und unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen. Es gebe keinen zumutbaren Weg, die Frage der Gesetzmäßigkeit der Stmk Sanierungsverordnung anders als durch Individualantrag an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Bescheid, mit dem über das vorgelegte Sanierungsprojekt abgesprochen wird, biete keinen zumutbaren Weg. Die Abweisung hätte die wirtschaftlich nicht tragbare Verpflichtung zur Stilllegung der Wasserkraftwerke zur Folge. Würde das Sanierungsprojekt hingegen bewilligt werden, könnten die antragstellenden Parteien den Bewilligungsbescheid mangels Rechtsmittellegitimation nicht bekämpfen.

Gegen die Stmk Sanierungsverordnung bringen die antragstellenden Gesellschaften zusammengefasst vor, dass sie gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und freie Erwerbsbetätigung und dem (als verfassungswidrig bezeichneten) §33d WRG 1959 verstoße und sich auf mangelhafte Entscheidungsgrundlagen stütze. Die vorgeschriebenen Verpflichtungen nehmen keine Rücksicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalls und seien unverhältnismäßig. Entgegen ihrer gesetzlichen Grundlage bestimme die Stmk Sanierungsverordnung keine Schwerpunkte und Reihenfolge der zu treffenden Sanierungsmaßnahmen. Die Anpassungsfristen seien zu knapp.

3. Der Landeshauptmann von Steiermark legte die Verordnungsakten vor und erstattete zwei Äußerungen zum Individualantrag. Darin wird zusammengefasst vorgebracht, dass das wasserrechtliche Bewilligungsverfahren nach §33d Abs3 WRG 1959 ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Bedenken gegen die Stmk Sanierungsverordnung sei. In diesem Verfahren werde auch geprüft, ob Anpassungsmaßnahmen überhaupt notwendig sind. Bei der Beurteilung des vorgelegten Sanierungsprojektes sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne des §21a Abs3 WRG 1959 zu beachten.

4. Die antragstellenden Gesellschaften erstatteten eine Replik auf die Äußerung des Landeshauptmannes von Steiermark, in der sie ihre Bedenken gegen die Stmk Sanierungsverordnung bekräftigten.

5. In der Äußerung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft wird die Ansicht vertreten, dass ein Sanierungsprojekt auch in Form einer nachvollziehbar belegten Darlegung, dass kein Sanierungsbedarf bestehe, vorgelegt werden könne.

6. Die antragstellenden Gesellschaften replizierten auf diese Äußerungen. In der Replik weisen sie insbesondere auf die hohen Kosten hin, die mit einer – mit entsprechenden Unterlagen untermauerten – Mitteilung, dass kein Sanierungsbedarf bestehe, verbunden seien.

7. Die §§1 und 2 der Stmk Sanierungsverordnung und die einschlägigen Teile der Anlagen lauten:

"§1 Festlegung

(1) Ziel dieser Verordnung ist die Erlassung eines Sanierungsprogrammes zur Umsetzung der konkreten Vorgaben (Maßnahmenprogramme) des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplanes 2009 (NGP) und der §§4 und 6 der Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplanverordnung 2009, BGBl II Nr 103, in den in Anlage 1 angeführten Fließgewässerstrecken (Sanierungsgebiete).

(2) Die Inhaberinnen/Inhaber wasserrechtlicher Bewilligungen in den Sanierungsgebieten haben unbeschadet weitergehender Sanierungsverpflichtungen bis spätestens 22. Dezember 2015 die in §2 festgelegten Maßnahmen durchzuführen. Innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten dieser Verordnung ist der Behörde ein – den Vorgaben dieses Sanierungsprogramms entsprechendes – Sanierungsprojekt zur wasserrechtlichen Bewilligung vorzulegen.

§2 Sanierungsmaßnahmen

(1) Bei allen bewilligten Anlagen und Querbauwerken in Sanierungsgebieten ist durch geeignete Vorkehrungen eine ganzjährige Passierbarkeit für die in Anlage 2 festgesetzten Fischarten und Fischgrößen zu gewährleisten.

(2) Bei allen Wasserentnahmen in Sanierungsgebieten ist durch Abgabe einer ausreichenden Restwassermenge die ganzjährige Passierbarkeit in der Restwasserstrecke für die in Anlage 2 festgelegten Fischarten und Fischgrößen zu gewährleisten. Dazu ist sicherzustellen, dass die Vorgaben des Anhangs G der Qualitätszielverordnung Ökologie Oberflächengewässer ( ) in der Restwasserstrecke erreicht werden (Mindesttiefen und Mindestfließgeschwindigkeiten oder Mindestdotation in Höhe von 50 % MJNQt).

[…]

Anlage 1: Fließgewässerstrecken (Sanierungsgebiete)

Anlage 2: Maßgebliche Fischarten und Fischgrößen für die Bemessung von Fischaufstiegshilfen und die Dotierung von Restwasserstrecken

[…]"

8. §33d WRG 1959 lautet:

"Immissionsbeschränkung

(1) Der Landeshauptmann hat, sofern der Zielzustand innerhalb der vom Gewässerbewirtschaftungsplan vorgesehenen Zeiträume nicht nach anderen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, wie etwa durch Abänderung von Bewilligungen in Verfahren gem. §21a zweckmäßiger erreichbar ist, für Oberflächenwasserkörper oder Teile von Oberflächenwasserkörpern (Sanierungsgebiet), die einen schlechteren als in einer Verordnung nach §30a festgelegten guten Zustand aufweisen, entsprechend den im Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan festgelegten Prioritäten zur stufenweisen Zielerreichung mit Verordnung ein Sanierungsprogramm (Abs2) zu erstellen.

(2) Ein Programm zur Verbesserung des Zustandes von Oberflächenwasserkörpern oder Teilen von Oberflächenwasserkörpern hat in den wesentlichen Grundzügen Sanierungsziele, Schwerpunkte, Reihenfolge und Art der zu treffenden Sanierungsmaßnahmen derart festzulegen, dass unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§21a Abs3) eine Verbesserung der hydromorphologischen Bedingungen, eine Verringerung und eine wirksame Reinigung der Abwässer, eine Verringerung des Schadstoffeintrages aus anderen Quellen und durch sonstige Maßnahmen die Zielzustände (§30a) erreicht werden. Erforderlichenfalls können auch Teilsanierungsziele zur stufenweisen Zielerreichung festgelegt werden. Für rechtmäßig bestehende Wasserbenutzungsanlagen, Schutz- und Regulierungswasserbauten oder sonstige Wasseranlagen sind nach Maßgabe der Prioritäten zur stufenweisen Zielerreichung angemessene Sanierungsfristen festzulegen. Die Ziele des Sanierungsprogrammes sind, als Teile des anzustrebenden Zielzustandes, bei allen wasserwirtschaftlichen Maßnahmen als öffentliches Interesse (§105) und als Gesichtspunkte für die Handhabung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu beachten.

(3) Werden in einem Sanierungsprogramm (Abs2) Sanierungsfristen für bestehende Anlagen festgelegt, hat der Wasserberechtigte spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Sanierungsprogramms der Behörde hinsichtlich der im Sanierungsgebiet liegenden sanierungspflichtigen Anlagen oder Anlagenteile ein den Vorgaben des Programms entsprechendes Sanierungsprojekt zur wasserrechtlichen Bewilligung vorzulegen oder die Anlage mit Ablauf der in der Verordnung festgelegten Sanierungsfrist stillzulegen. Bei fruchtlosem Ablauf der Frist findet §27 Abs4 mit der Maßgabe Anwendung, dass eine mehrmalige Mahnung nicht erforderlich ist.

(4) Über Antrag des Wasserberechtigten ist die Sanierungsfrist sowie erforderlichenfalls die Projektvorlagefrist um längstens drei Jahre zu verlängern, wenn der Wasserberechtigte nachweist, dass unter Berücksichtigung der gegebenen wasserwirtschaftlichen Verhältnisse der Aufwand für die sofortige Sanierung im Hinblick auf den für den Schutz der Gewässer erzielbaren Erfolg unverhältnismäßig wäre (zB mit Projektierungsarbeiten bereits begonnen wurde, die technische Durchführbarkeit sich aufgrund der Notwendigkeit der Planung und Durchführung nicht standardisierter Maßnahmen schwierig gestaltet). Dem Antrag sind die zu seiner Prüfung erforderlichen Unterlagen, insbesondere jene nach §103 anzuschließen."

9. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8058/1977 unter Hinweis auf VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 Z3 B VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art139 Abs1 Z3 B VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.684/1988, 14.297/1995, 15.349/1998, 16.345/2001 und 16.836/2003).

10. Im vorliegenden Fall steht den antragstellenden Gesellschaften ein zumutbarer Weg zur Verfügung, ihre Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Gemäß §33d Abs3 WRG 1959 können sie innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten der angefochtenen Verordnung der Behörde ein Sanierungsprojekt, allenfalls auch in Form einer "Leermeldung" (dh die Gesellschaften vertreten die Auffassung, sie müssten gegenüber dem seinerzeit bewilligten Projekt keine Änderungen vornehmen), zur wasserrechtlichen Bewilligung vorlegen, sobald sie der Ansicht sind, alle ihnen nach dem Gesetz obliegenden Verpflichtungen erfüllt zu haben. Im Wege des damit eingeleiteten Bewilligungsverfahrens haben sie die Möglichkeit, ihre Bedenken gegen die Stmk Sanierungsverordnung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Die mit der Einleitung des Bewilligungsverfahrens verbundenen Kosten sind den Antragstellern zumutbar.

11. Der vorliegende Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

12. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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