JudikaturVfGH

B1457/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Dezember 2014

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone. Er beantragte am 29. August 2012 bei der Bezirkshauptmannschaft Imst die Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß §46a FPG 2005. Da die Bezirkshauptmannschaft Imst nicht innerhalb der Entscheidungsfrist über den Antrag abgesprochen hat, brachte der Beschwerdeführer beim Unabhängigen Verwaltungssenat Tirol am 9. März 2013 einen Devolutionsantrag ein, welcher zuständigkeitshalber an die Landespolizeidirektion Tirol übermittelt wurde.

2. Die Landespolizeidirektion Tirol wies den Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete mit Bescheid vom 25. März 2013 als unzulässig zurück.

3. In der dagegen erhobenen Berufung vom 9. April 2013 machte der Beschwerdeführer geltend, dass er mangels Reisedokument nicht in seine Heimat Sierra Leone zurückkehren könne und ihm auch die nigerianische Behörde kein Heimreisezertifikat ausgestellt habe. In seiner Berufung führte der Beschwerdeführer außerdem aus, dass er die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausstellung einer Karte für Geduldete erfülle, da seine Rückkehr nach Sierra Leone tatsächlich unmöglich sei. Er habe sich gegenüber der Behörde außerdem immer kooperativ verhalten. Das Verfahren sei ohne Anhörung des Beschwerdeführers durchgeführt worden, weshalb er in seiner Berufung erneut die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt habe. Die belangte Behörde habe dennoch ohne Durchführung einer Verhandlung entschieden.

4. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2013 gab die Bundesministerin für Inneres der Berufung nicht Folge und bestätigte den Bescheid der Landespolizeidirektion Tirol.

5. Die Berufungsbehörde schloss sich in ihrer Begründung jener der Erstbehörde an. Zwar habe nach früherer Rechtslage ein Antragsrecht hinsichtlich der Ausstellung der Karte bestanden, doch wurde dieses durch das FrÄG 2011, BGBl I 38/2011, beseitigt. Nach Ansicht der Berufungsbehörde handle es sich dabei um eine legistische Anpassung infolge der Beseitigung des Antragsrechts auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß §46a FPG 2005. Mangels Antragslegitimation habe der Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete demnach zurückgewiesen werden müssen.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung und die Verletzung im Recht auf "Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs1 GRC" behauptet werden.

7. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Rechtslage

8. §46a FPG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl I 38/2011 lautete:

"Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§50 und 51 oder

2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.

(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen "Republik Österreich" und "Karte für Geduldete", weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. eine Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegt;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

9. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

10. Ein solcher Fehler ist der belangten Bundesministerin für Inneres unterlaufen:

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160/2014, ausgesprochen hat, bestehen gegen §46a Abs1a FPG deswegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil §46a FPG dahingehend auszulegen ist, dass einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv §46a Abs2 FPG zukommt. Wird ein solcher Antrag gestellt, hat die Behörde das Vorliegen der Duldung gemäß §46a Abs1a FPG zu prüfen, die ex lege eintritt, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Ist keine Duldung eingetreten, so hat die Behörde den Antrag auf Ausstellung der Karte mit Bescheid abzuweisen.

11. Im vorliegenden Fall ging die belangte Behörde hingegen davon aus, dass eine solche Antragsmöglichkeit gerade nicht bestehe. Indem sie mit dem angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid, wonach der Antrag auf Ausstellung der Karte für Geduldete mangels Antragslegitimation zurückzuweisen sei, bestätigt, hat sie im Lichte des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Dezember 2014, G160/2014, §46a FPG insofern einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, als die Bestimmung, hätte sie diesen Inhalt, gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz verstoßen würde.

IV. Ergebnis

12. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

13. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

14. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

15. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436, – enthalten.

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