JudikaturVfGH

B839/2012 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
21. November 2014

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine erwachsene Person mit Beeinträchtigungen, bezieht wegen ihrer körperlichen und psychischen Gebrechen die erhöhte Familienbeihilfe sowie Pflegegeld der Stufe 1. Sie war seit dem Jahr 2002 in einer Tagesheimstätte in Linz untergebracht und nahm zusätzlich dazu eine Hilfe durch Beschäftigung in Anspruch. Seit der Erlassung des Landesgesetzes betreffend die Chancengleichheit von Menschen mit Beeinträchtigungen (Oö. ChG), LGBl für Oberösterreich 41/2008, das das Oö. Behindertengesetz 1991 abgelöst hat, wurden der Beschwerdeführerin die Hauptleistungen "fähigkeitsorientierte Aktivität" gemäß §11 Abs2 Z3 Oö. ChG und "Wohnen in einer Wohngemeinschaft" gemäß §12 Abs2 Z1 leg.cit. gewährt.

1.1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 5. August 2009 wurde der Beschwerdeführerin außerdem ein subsidiäres Mindesteinkommen gemäß §16 Oö. ChG zuerkannt, und zwar nach dem Richtsatz für Menschen mit Beeinträchtigungen, die in einer Wohnmöglichkeit gemäß §12 Abs2 Z1 Oö. ChG leben (§4 Abs1 Z3 der Verordnung der Oö. Landesregierung, mit der die Beiträge zu den Leistungen sowie die Richtsätze für das subsidiäre Mindesteinkommen nach dem Oö. ChG festgelegt werden – Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung, LGBl für Oberösterreich 78/2008 idF LGBl für Oberösterreich 39/2009). Gleichzeitig wurde innerhalb dieses Richtsatzes nicht der Betrag für Personen, die keine Familienbehilfe beziehen, sondern jener (niedrigere) Wert herangezogen, der unter Anrechnung der (erhöhten) Familienbeihilfe zustandekommt. Ausgehend von diesem Richtsatz betrug das subsidiäre Mindesteinkommen für den Zeitraum von 1. Jänner 2009 bis zum 30. April 2009 € 375,08 und ab 1. Mai 2009 € 384,46. Es wurde – nach einer Neufassung des Richtsatzes in §4 Abs1 Z3 der Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung – auf € 392,15 erhöht.

1.2. Im Dezember 2011 zog die Beschwerdeführerin aus der Wohngemeinschaft nach dem Oö. ChG aus und lebt seitdem als Untermieterin gemeinsam mit dem Hauptmieter, einem ehemaligen Mitbewohner in der Wohngemeinschaft nach dem Oö. ChG, in einer privaten Wohnung, wobei die Küche, das Badezimmer, das WC und der Vorraum dieser Wohnung von beiden Personen genutzt werden. Auch beansprucht die Beschwerdeführerin seit diesem Zeitpunkt – gleich wie der Hauptmieter – eine mobile Nachbetreuung der Caritas. Da der Hauptmieter außerdem ein eigenes Einkommen bezieht, besteht für ihn kein Anspruch auf ein subsidiäres Mindesteinkommen bzw. eine bedarfsorientierte Mindestsicherung.

1.3. Diese geänderten Lebensverhältnisse der Beschwerdeführerin veranlassten den Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz dazu, das subsidiäre Mindesteinkommen mit Bescheid vom 24. Jänner 2012 ab 1. Jänner 2012 von € 392,15 auf € 300,46 (inkl. Sonderzahlungen) zu kürzen. Begründend führte er aus, dass die Beschwerdeführerin seit Dezember 2011 in einer Wohngemeinschaft mit dem Hauptmieter lebe, weshalb – auch hier unter Anrechnung der erhöhten Familienbeihilfe – der (niedrigere) Richtsatz für Menschen mit Beeinträchtigungen, die in Haushalts- oder Wohngemeinschaft leben, gemäß §4 Abs1 Z2 Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung heranzuziehen sei. Da der Vermieter der Beschwerdeführerin außerdem selbst keine Person mit Beeinträchtigungen bzw. kein Sozialhilfeempfänger oder Bezieher eines subsidiären Mindesteinkommens sei, käme gemäß §4 Abs3a Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung auch eine Anwendung der günstigeren Richtsätze nach §4 Abs2 und Abs3 Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung nicht in Betracht.

1.4. Die gegen diesen Bescheid mit der Begründung erhobene Berufung, eine gemeinsame Tragung der Lebenserhaltungskosten liege überhaupt nicht vor und der Hauptmieter sei zudem selbst eine Person mit Beeinträchtigungen, weshalb der höhere Richtsatz nach §4 Abs1 Z3 bzw. jener nach Z1 Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung anzuwenden sei, wies die Oö. Landesregierung mit Bescheid vom 23. Mai 2012 als unbegründet ab.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung gestützte Beschwerde, in der unter anderem eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, insbesondere in Form des Diskriminierungsverbotes für beeinträchtigte Menschen gemäß Art7 Abs1 3. Satz B VG, sowie eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet wird.

3. Die Oö. Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

4. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 Z2 B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §4 Abs1 Z2 der Verordnung der Oö. Landesregierung, mit der die Beiträge zu den Leistungen sowie die Richtsätze für das subsidiäre Mindesteinkommen nach dem Oö. ChG festgelegt werden (Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung), LGBl für Oberösterreich 78/2008 idF LGBl 114/2011, ein. Mit Erkenntnis vom 21. November 2014, V60/2014, hob er diese Vorschrift als gesetzwidrig auf.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

Die belangte Behörde hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.

Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

1. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 220,– enthalten.

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