JudikaturVfGH

G84/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
22. November 2013

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Die beiden hörbehinderten minderjährigen Töchter der Antragsteller besuchen ein Bundesoberstufenrealgymnasium. Infolge von Problemen bei der Herstellung eines barrierefreien Unterrichts richteten die Antragsteller am 29. Juli 2012 einen Antrag an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur auf Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache als Muttersprache für ihre beiden Töchter sowie eine entsprechende Anpassung des Unterrichts. Daraufhin erhielten die Antragsteller am 26. März 2013 ein (formloses) Schreiben, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass das österreichische Schulrecht keine Bestimmung über eine Anerkennung einer Sprache als Muttersprache vorsehe.

2. Mit dem vorliegenden Antrag begehren die Antragsteller (im eigenen Namen) zunächst die Aufhebung des §16 sowie des §18 Abs12 des Bundesgesetzes über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen (Schulunterrichtsgesetz - SchUG), BGBl 472/1986. Die Antragsteller halten §16 Abs3 SchUG für verfassungswidrig, weil dieser die Verwendung einer lebenden Fremdsprache als Unterrichtssprache ermögliche, nicht aber die Verwendung der Österreichischen Gebärdensprache. §18 Abs12 SchUG sei verfassungswidrig, weil dieser es dem Schulleiter ermögliche, hinsichtlich der Beurteilung die Unterrichtssprache an die Stelle der lebenden Fremdsprache treten zu lassen, nicht aber an die Stelle der Gebärdensprache. Beide Bestimmungen stünden mit Art8 Abs3 B VG nicht im Einklang.

3. §16 sowie §18 Abs12 SchUG lauten:

"Unterrichtssprache

§16. (1) Unterrichtssprache ist die deutsche Sprache, soweit nicht für Schulen, die im besonderen für sprachliche Minderheiten bestimmt sind, durch Gesetz oder durch zwischenstaatliche Vereinbarungen anderes vorgesehen ist.

(2) Soweit gemäß §4 Abs3 des Schulorganisationsgesetzes an Privatschulen die Auswahl der Schüler nach der Sprache zulässig ist, kann die betreffende Sprache auch als Unterrichtssprache in solchen Privatschulen verwendet werden.

(3) Darüber hinaus kann die Schulbehörde erster Instanz auf Antrag des Schulleiters, bei Privatschulen auf Antrag des Schulerhalters, die Verwendung einer lebenden Fremdsprache als Unterrichtssprache (Arbeitssprache) anordnen, wenn dies wegen der Zahl von fremdsprachigen Personen, die sich in Österreich aufhalten, oder zur besseren Ausbildung in Fremdsprachen zweckmäßig erscheint und dadurch die allgemeine Zugänglichkeit der einzelnen Formen und Fachrichtungen der Schularten nicht beeinträchtigt wird. Diese Anordnung kann sich auch auf einzelne Klassen oder einzelne Unterrichtsgegenstände beziehen. Zwischenstaatliche Vereinbarungen bleiben davon unberührt.

[…]

Leistungsbeurteilung

§18. […]

(12) Auf Antrag eines Schülers, dessen Muttersprache nicht die Unterrichtssprache der betreffenden Schule ist, hat der Schulleiter zu bestimmen, daß hinsichtlich der Beurteilung die Unterrichtssprache an die Stelle der lebenden Fremdsprache tritt, wenn eine lebende Fremdsprache als Pflichtgegenstand in der betreffenden Schulstufe lehrplanmäßig vorgesehen ist; der Schüler hat in seiner Muttersprache Leistungen nachzuweisen, die jenen eines Schülers deutscher Muttersprache im Pflichtgegenstand Deutsch entsprechen, allenfalls auch im Wege von Externistenprüfungen (§42), sofern die Durchführung von Prüfungen in der betreffenden Sprache möglich ist. Dasselbe gilt sinngemäß für die Pflichtgegenstände Kaufmännischer Schriftverkehr, Phonotypie, Textverarbeitung, Kurzschrift und Maschinschreiben. Das Jahreszeugnis ist mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Dieser Absatz gilt nicht für Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik und für Bildungsanstalten für Sozialpädagogik.

[…]"

Gemäß Art140 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

4. Die von den Antragstellern bekämpften Bestimmungen enthalten Regelungen über die Unterrichtssprache bzw. die Leistungsbeurteilung. Sie gestalten damit im gegebenen Zusammenhang ausschließlich die Rechtssphäre von Schülern, nicht aber von deren Eltern. Im Antrag wird auch lediglich von einer Rechtsverletzung "der Kinder der Antragsteller" gesprochen. Damit fehlt dem – von den Antragstellern im eigenen Namen und nicht als gesetzliche Vertreter ihrer Töchter gestellten – Antrag die Behauptung einer Verletzung der Rechtssphäre der Antragsteller. Außerdem steht es betroffenen Schülern offen, einen Antrag auf Verwendung der Gebärdensprache als Unterrichtssprache zu stellen, über den dann mit Bescheid zu entscheiden ist. Damit steht diesen Schülern ein zumutbarer Weg im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung offen, um die von den Antragstellern behauptete Verfassungswidrigkeit zu bekämpfen. Der Antrag ist aus diesen Gründen insoweit als unzulässig zurückzuweisen.

5. Die von den Antragstellern darüber hinaus vom Verfassungsgerichtshof begehrte Erteilung eines Auftrages zur "Umsetzung der Österreichischen Gebärdensprache als eigene Unterrichtssprache" im SchUG an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur ist in keiner Rechtsvorschrift (insbesondere nicht im B VG) vorgesehen. Auch dieser Teil des Antrages ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene mündliche Verhandlung beschlossen werden.

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