JudikaturVfGH

G85/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
21. November 2013

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der Antragsteller wurde seinem Vorbringen zufolge mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 21. Juni 2011 des Verbrechens der Untreue nach §153 Abs1 und 2 zweiter Fall Strafgesetzbuch (StGB) sowie der Vergehen nach §255 Abs1 Z1 und 4 Aktiengesetz schuldig erkannt und – unter Bedachtnahme auf eine Vorverurteilung – zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Die vom Antragsteller gegen dieses Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ist derzeit beim Obersten Gerichtshof offenbar noch anhängig.

2. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag vom 8. Oktober 2013 begehrt der Antragsteller §3 Abs1 OGHG als verfassungswidrig aufzuheben. Darüber hinaus stellt er den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, "dass durch die Einflussnahme des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes auf die Rechtsprechung durch den dafür allein zuständigen Senat 12 des Obersten Gerichtshofes die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Antragstellers, und zwar auf Trennung von Justiz und Verwaltung (Art94 B-VG), auf Entscheidung seiner Strafsache von einem unabhängigen und unparteiischen zuständigen Gericht (Art6 EMRK) sowie auf Weisungsungebundenheit der für die Entscheidung über seine Nichtigkeitsbeschwerde (und Berufung) zuständigen Richter (Art87 Abs1 B-VG) verletzt wurden" und den Antragsgegnern auftragen, "derartige Einflussnahmen zu unterlassen bzw. deren Unterlassung zu veranlassen". Ferner begehrt er die Erlassung einer einstweiligen Vorkehrung.

3. Zur Zulässigkeit des Antrages wird ausgeführt, dass eine gesetzliche Möglichkeit zur Antragstellung nach Rechtsmittelausschöpfung nicht gegeben sei.

4. Der Antragsteller verweist zur Begründung seines Antrages auf das in der konkreten Strafsache erstellte Croquis der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof vom 1. Februar 2013, demzufolge seiner Nichtigkeitsbeschwerde in bestimmtem Umfang Berechtigung zukomme. Nach dem Antragsvorbringen habe der Präsident des Obersten Gerichtshofes in diesem Zusammenhang dem mit der Nichtigkeitsbeschwerde befassten Senat des Obersten Gerichtshofes gegenüber "bedeutet, dass der Senat nicht im Sinne des Croquis der Generalprokuratur entscheiden und den Antragsteller freisprechen könne". Worin dieses "Bedeuten" bestanden habe, wird im Antrag nicht näher dargelegt. Der Antragsteller geht jedoch davon aus, dass der Präsident des Obersten Gerichtshofes auf Grund der ihm faktisch zukommenden "Autorität" und "Einflussnahme auch auf die Rechtsprechung der einzelnen Senate" eine "freie Rechtsfindung" verhindere, wodurch die Grundsätze der Trennung der Justiz von der Verwaltung (Art94 B VG), der richterlichen Unabhängigkeit (Art87 Abs1 B-VG) sowie das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) verletzt würden.

Unter der Annahme, dass der Präsident des Obersten Gerichtshofes im Rahmen der ihm durch §3 OGHG übertragenen "Leitung und Dienstaufsicht" (auch) berechtigt sei, auf die Rechtsprechung der einzelnen (jeweils zuständigen) Senate des Obersten Gerichtshofes "Einfluss zu nehmen", sei §3 Abs1 OGHG als verfassungswidrig anzusehen.

II. Rechtslage

Die angefochtene Bestimmung des §3 Abs1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1968 über den Obersten Gerichtshof (OGHG), BGBl 328/1968 idF BGBl I 112/2007, hat folgenden Wortlaut:

"Leitung und Dienstaufsicht

§3. (1) Der Präsident leitet den Obersten Gerichtshof, er übt die Dienstaufsicht über das gesamte Personal des Gerichtshofes aus und führt die anderen Justizverwaltungsgeschäfte für den Gerichtshof, soweit diese nicht auf Grund des Gesetzes durch Senate zu erledigen sind. Insbesondere nimmt er auch die ihm übertragenen dienstbehördlichen Aufgaben wahr."

III. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig.

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Artund Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2. Nach §62 Abs1 VfGG hat ein Antrag auf Normenkontrolle, der von einer Person gestellt wurde, die unmittelbar durch die Rechtswidrigkeit einer Norm in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, demgemäß darzutun, inwieweit die Norm ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für die Person wirksam geworden ist, inwiefern die Norm also in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar nachteilig eingreift. Das Fehlen dieser Darlegung stellt einen inhaltlichen, nicht verbesserungsfähigen Mangel und somit ein Prozesshindernis dar (VfSlg 17.111/2004, 18.187/2007; VfGH 7.10.2009, G142/09).

Mit dem – völlig unsubstantiiert gebliebenen – Vorbringen hat es der Antragsteller aber unterlassen, dem formellen Erfordernis der Darlegung seiner unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit in Bezug auf die angefochtene Bestimmung im Einzelnen nachzukommen. Ausreichende Angaben, anhand derer eine Verletzung seiner Rechtssphäre durch §3 Abs1 OGHG beurteilt werden könnte, sind dem Antrag nicht zu entnehmen; schon aus diesem Grund leidet der Antrag an einem nicht behebbaren Prozesshindernis.

3. Angesichts dessen musste sich der Verfassungsgerichtshof nicht mit der Frage befassen, ob überhaupt ein Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers vorliegen kann bzw. ob allenfalls ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs besteht.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Zusammenfassend ergibt sich, dass es dem Antragsteller jedenfalls an der Legitimation zur Stellung eines Individualantrages mangelt. Der – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse (Verstoß gegen die Verpflichtung zur elektronischen Einbringung gemäß §14a Abs4 VfGG) hin geprüfte – Antrag ist daher schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

3. Für einen Abspruch über die (unzulässigen) Anträge auf Feststellung einer durch die Einflussnahme des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes erfolgte Verletzung des Antragstellers in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten fehlt – ebenso wie für das Begehren auf Erlassung einer einstweiligen Vorkehrung nach §458 ZPO – jegliche Rechtsgrundlage (vgl. VfSlg 12.510/1990 mWN).

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