G64/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Gestützt auf Art140 Abs1 letzter Satz B VG, begehren die antragstellenden Parteien die Aufhebung der Wortfolge "a) physiotherapeutische b) logopädisch-phoniatrisch-audiologische oder c) ergotherapeutische " und der Wortfolge "des physiotherapeutischen Dienstes, des logopädisch-phoniatrisch-audiologischen Dienstes bzw. des ergotherapeutischen Dienstes" in §135 Abs1 Z1 des All gemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl 189/1955, in der geltenden Fassung.
2. Begründend führen die antragstellenden Parteien dazu im Wesentlichen Folgendes aus:
2.1. Bei den antragstellenden Parteien handle es sich um die als Vereine organisierten Berufsverbände von Angehörigen von vier Sparten gehobener medizinisch-technischer Dienste gemäß dem Bundesgesetz über die Regelung gehobener medizinisch-technischer Dienste (MTD-Gesetz), BGBl 1992/460, idgF, nämlich des orthoptischen Dienstes, des radiologisch-technischen Dienstes, des Diätdienstes und des medizinisch-technischen Labordienstes. Ein von diesen Verbänden an den Hauptverband der Sozialversicherungsträger gerichtetes Ersuchen um Einleitung von Gesamtvertragsverhandlungen sei vom Hauptver band mit der Begründung abgelehnt worden, dass die Leistungen der ersuchenden Berufsgruppen gemäß §135 Abs1 Z1 ASVG nicht der ärztlichen Hilfe gleichgestellt seien.
2.2. Die antragstellenden Parteien erachten sich dadurch, dass die von ihren Mitgliedern erbrachten Leistungen nicht der ärztlichen Hilfe gleichgestellt sind, damit nicht als Krankenbehandlung im Sinne des ASVG gelten und damit auch keiner Erstattung durch die Träger der Krankenversicherung zugänglich sind, in ihren Rechten auf Freiheit der Erwerbstätigkeit und Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
2.3. In ihrem Antrag bringen die Parteien vor, dass der "Gesundheitsmarkt" in Österreich nicht durch Angebot und Nachfrage, sondern weitgehend durch Vor gaben des Gesetzgebers reguliert würde. Eine Folge daraus sei, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht gewohnt und daher auch nicht bereit wären, für medizinische Leistungen zu bezahlen, wenn es keine Refundierung durch die Krankenkasse gäbe. Da die Leistungen der Mitglieder der antragstellenden Parteien keiner Refundierung durch die Krankenkasse zugänglich seien, hätten sie praktisch keine Möglichkeit am Markt zu reüssieren. Dies stelle eine Ver letzung ihres Rechts auf Freiheit der Erwerbstätigkeit dar.
2.4. Des Weiteren erachten sich die antragstellenden Parteien dadurch in ihrem Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger verletzt, dass der Gesetzgeber manche gehobenen medizinisch-technischen Dienste, nämlich den physio therapeutischen, den ergotherapeutischen und den logopädisch-phoniatrisch-audiologischen Dienst, der ärztlichen Hilfe gleichgestellt habe, die von ihren Mitgliedern angebotenen Dienste jedoch nicht, ohne dass es dafür einen sach lichen Grund gäbe.
II. Rechtslage
1. Der von den antragstellenden Parteien zum Teil angefochtene §135 Abs1 ASVG, BGBl 189/1955 idF BGBl I 71/2005 lautet wie folgt (der angefochtene Teil der Bestimmung ist hervorgehoben):
"§135. (1) Die ärztliche Hilfe wird durch Vertragsärzte und Vertrags-Gruppen praxen, durch Wahlärzte und Wahl-Gruppenpraxen (§131 Abs1) sowie durch Ärzte in eigenen Einrichtungen (oder Vertragseinrichtungen) der Versicherungs träger gewährt. Im Rahmen der Krankenbehandlung (§133 Abs2) ist der ärztlichen Hilfe gleichgestellt:
1. eine auf Grund ärztlicher Verschreibung erforderliche
a) physiotherapeutische,
b) logopädisch-phoniatrisch-audiologische oder
c) ergotherapeutische
Behandlung durch Personen, die gemäß §7 des Bundesgesetzes über die Regelung der gehobenen medizinisch-technischen Dienste, BGBl Nr 460/1992, zur freiberuflichen Ausübung des physiotherapeutischen Dienstes, des logo pädisch-phoniatrischaudiologischen Dienstes bzw. des ergotherapeutischen Dienstes berechtigt sind;
2. eine auf Grund ärztlicher Verschreibung oder psychotherapeutischer Zu weisung erforderliche diagnostische Leistung eines klinischen Psychologen (einer klinischen Psychologin) gemäß §12 Abs1 Z2 des Psychologengesetzes, BGBl Nr 360/1990, der (die) zur selbständigen Ausübung des psychologischen Berufes gemäß §10 Abs1 des Psychologengesetzes berechtigt ist;
3. eine psychotherapeutische Behandlung durch Personen, die gemäß §11 des Psychotherapiegesetzes, BGBl Nr 361/1990, zur selbständigen Ausübung der Psychotherapie berechtigt sind, wenn nachweislich vor oder nach der ersten, jedenfalls vor der zweiten psychotherapeutischen Behandlung innerhalb des selben Abrechnungszeitraumes eine ärztliche Untersuchung (§2 Abs2 Z1 des Ärztegesetzes 1998) stattgefunden hat;
4. eine auf Grund ärztlicher Verschreibung erforderliche Leistung eines Heil masseurs, der nach §46 des Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetzes, BGBl I Nr 169/2002, zur freiberuflichen Berufsausübung berechtigt ist.
[…]"
2. Gemäß §117 Z2 ASVG haben die Krankenversicherungen Leistungen zur Krankenbehandlung aus dem Versicherungsfall der Krankheit nach Maßgabe des ASVG zu gewähren. Gemäß §133 Abs1 ASVG umfasst die Krankenbehandlung ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe. §135 Abs1 ASVG umschreibt näher was unter ärztlicher Hilfe zu verstehen ist und bestimmt weiters, dass bestimmte gehobene medizinisch-technische Dienste der ärztlichen Hilfe gleichgestellt sind, wenn diese auf Grund einer ärztlichen Verschreibung erforderlich sind. Die von den Mitgliedern der antragstellenden Parteien angebotenen Leistungen sind von dieser Bestimmung jedoch nicht erfasst.
III. Erwägungen
Der Antrag ist unzulässig.
1. Gemäß Art140 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Ver fassungs widrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
1.1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antrag steller behauptet, unmittelbar durch das angefoch tene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Be scheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.
1.2. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechts sphäre des Antragstellers un mittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jeden falls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschütz ten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – be haupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
2. In seiner bisherigen Rechtsprechung hatte der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt die Antragslegitimation von Interessenvertretungen, im Besonderen auch von Ärztekammern, in Verfahren nach Art139 und 140 B VG zu be urteilen (vgl. zuletzt VfSlg 19.450/2011). Er hat dabei immer danach unterschieden, ob die angegriffene Norm die Rechtsstellung der Interessen vertretung selbst gestaltete oder nur jene der Mitglieder der Interessenvertretung. Es steht außer Zweifel, dass die von den antragstellenden Parteien angefochtene Bestimmung des §135 Abs1 ASVG jedenfalls nicht die Rechtsstellung der antragstellenden Parteien gestaltet, wie diese offenbar auch selbst erkennen, denn der Antrag behauptet nur Verletzungen von verfassungs gesetzlich gewährleisteten Rechten der Mitglieder der Interessenvertretungen, nicht aber dieser selbst.
3. Daran ändert auch das Vorbringen der antragstellenden Parteien zur Antrags legitimation nichts, wonach durch die Auswirkungen der angefochtenen Bestimmung das wirtschaftliche Überleben ihrer Mitglieder und daher mittelbar auch ihrer eigene Existenz (als Interessenvertretungen) gefährdet sei. Damit machen die antragstellenden Parteien nämlich nur eine allfällige wirtschaftliche Reflexwirkung der ange fochtenen Bestimmung geltend, nicht aber einen Eingriff in eine rechtlich geschützte Interessensphäre (vgl. VfSlg 17.323/2004).
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
Die antragstellenden Parteien sind durch die angefochtene Bestimmung nicht unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen und sind damit nicht zur Anfechtung legitimiert.
Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.