U1372/2012 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. 1. Die Fünftbeschwerdeführerin ist durch Spruchpunkt 5) der angefochtenen Ent scheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin sowie die Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind durch die angefochtene Ent scheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.
3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu handen ihres Rechtsvertreters die mit € 3.000,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind armenische Staatsangehörige; Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin sind Ehepartner, Dritt- und Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin deren minderjährige Kinder.
2. Am 27. November 2003 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet Asylanträge. Mit Bescheid vom 7. September 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers gemäß §7 Asylgesetz 1997, BGBl I 76/1997 idF BGBl I 126/2002 (im Folgenden: AsylG 1997) ab und stellte gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien zulässig sei. Gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Der Asylerstreckungsantrag der Zweitbeschwerdeführerin wurde mit am selben Tag ergangenem Bescheid gemäß §§10 iVm 11 Abs1 AsylG 1997 abgewiesen.
Der Drittbeschwerdeführer wurde am 15. Oktober 2004, der Viertbeschwerdeführer am 7. Jänner 2006 und die Fünftbeschwerdeführerin am 19. März 2009 in Österreich geboren. Die minderjährigen Beschwerdeführer stellten durch ihre gesetzlichen Vertreter Asylanträge bzw. Anträge auf internationalen Schutz, welche jeweils mit Bescheiden des Bundesasylamtes abgewiesen wurden. Die minderjährigen Beschwerdeführer wurden aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
3. Aufgrund der gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen (nunmehr Beschwerden) wurde der Fünftbeschwerdeführerin mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 4. April 2011 wegen einer bestehenden Innenohrtaubheit gemäß §8 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 135/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) subsidiärer Schutz erteilt. Mit Entscheidung vom selben Tag wurde ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt. Hinsichtlich des Erst-, Dritt- und Viertbeschwerdeführers wurden die Ausweisungen behoben, die Beschwerden jedoch im Übrigen abgewiesen, die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wurde abgewiesen.
4. Der Asylgerichtshof stellte in seiner Entscheidung fest, die Fünftbeschwerdeführerin leide an Surditas und könne voraussichtlich mit einem Cochlea-Implantat zweckmäßig behandelt werden. Hiezu führte er insbesondere Folgendes aus:
"Am 20.9.2010 stellte das erkennende Gericht eine Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesasylamtes, welche ergab, dass die Behandlung der Erkrankung der [Fünftbeschwerdeführerin], sowie eine Cochlea-Implantation [in Armenien] nicht möglich sind. In solchen Fällen besuchten die Kinder spezielle Schulen. Diskriminierung Behinderter sei in Armenien gesetzlich verboten, stelle dennoch ein Problem dar. Die einzigen Berufungen, denen manche an Surditas leidende[…] Menschen folgen können, sind Schuhmacher, Nähen und Teppichweben. Höhere, über 8 Jahre Grundschule hinausgehende Schulbildung steht an Surditas [leidenden] Menschen in Armenien nicht zur Verfügung.
[…]
Im Bezug auf [die Fünftbeschwerdeführerin] ist im gegenständlichen, nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall davon auszugehen, dass aufgrund der Behinderung der BF, deren Lebensalters, deren voraussichtliche Lebensperspektive ohne Behandlung im Vergleich mit jener mit einer in ihrem Lebensalter noch erfolgversprechenden Behandlung vor dem Hintergrund der Lage in Armenien […] davon in dubio pro fugitivo auszugehen, dass ein im Lichte des Art3 EMRK exzeptioneller Sachverhalt vorliegt, weshalb […] der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war.
Das erkennende Gericht legt auf die Feststellung wert, dass der ausschließliche Grund der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten [sic!] in Bezug auf [die Fünftbeschwerdeführerin] in deren aktueller Behinderung liegt. Sollte in Bezug auf den Grad dieser Behinderung – und der damit zusammenhängenden Behandlungsbedürftigkeit bzw. des Betreuungsbedarfes – eine maßgebliche Änderung zum Positiven eintreten, kann sich auch in rechtlicher Hinsicht ein anderer Sachverhalt ergeben. Weder [die Fünftbeschwerdeführerin, noch die anderen Beschwerdeführer] können daher, sollten sie in weiterer Folge ein Aufenthaltsrecht von [der Fünftbeschwerdeführerin] ableiten, im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur darauf vertrauen, dass ihr Aufenthalt in Österreich ein dauerhafter ist. Diese Frage wird periodisch – zumindest bei der Prüfung, ob eine allenfalls zu erteilende befristete Aufenthaltsberechtigung zu verlängern ist – zu prüfen sein." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
Hinsichtlich der übrigen Beschwerdeführer führte der Asylgerichtshof aus, die Führung eines Familienverfahrens scheide aus näher genannten Gründen, insbesondere wegen der unterschiedlichen auf die Verfahren der einzelnen Familienangehörigen anzuwendenden Rechtslage, aus, weshalb subsidiärer Schutz nicht erteilt werden konnte. Es lägen auch keine sonstigen in den Personen der übrigen Beschwerdeführer begründeten Rückkehrhindernisse vor.
Die übrigen Familienmitglieder stellten hierauf am 8. Juni 2011 Anträge auf Gewährung desselben Schutzes, wie er der Fünftbeschwerdeführerin gewährt worden war.
5. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 30. September 2011 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und die Beschwerdeführer nach Armenien ausgewiesen. Gleichzeitig wurde der Fünftbeschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, ihr die befristete Aufenthalts berechtigung entzogen und ebenfalls die Ausweisung nach Armenien verfügt.
6. Im Rahmen des Verfahrens über die dagegen erhobene Beschwerde setzte der Asylgerichtshof am 31. Oktober 2011 die zuständigen Jugendwohlfahrtsbehörden sowie das zuständige Bezirksgericht per Email vom Sachverhalt in Kenntnis und wies auf eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls durch die Verweigerung der Einsetzung eines Cochlea-Implantates hin.
7. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 25. November 2011 wurde der Beschwerde der Fünftbeschwerdeführerin stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.
Aufgrund der Beschwerden der Erst- bis Viertbeschwerdeführer wurde diesen mit Blick auf das nunmehrige Vorliegen eines Familienverfahrens gemäß §34 Abs3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und wurden befristete Aufenthaltsberechtigungen bis zum 4. bzw. 6. April 2012 erteilt.
Der Asylgerichtshof führte aus, dass den Familienangehörigen der Fünftbeschwerdeführerin subsidiärer Schutz "in Bezug auf den Herkunftsstaat aufgrund ihrer Person bzw. der Lage im Herkunftsstaat aufgrund des eigenen Vorbringens" nicht zuerkannt wurde und verwies hiezu auf seine Ausführungen in der Entscheidung vom 4. April 2011, welche nach wie vor als aktuell anzusehen seien und nach wie vor sinngemäß gelten würden.
Die Behebung des Bescheides des Bundesasylamtes begründete der Asylgerichtshof wie folgt:
"[E]s wäre […] primäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, den Jugendwohlfahrtsträger von der Gefährdung des Kindeswohles in Bezug auf [die Fünftbeschwerdeführerin] zu verständigen und zu beobachten, ob hierdurch derartiges hintangehalten werden kann bzw. ob der Jugendwohlfahrt[s]träger zum Schluss kommt, eine unterlassene Einsetzung eines C-Implantats sei im Lichte des Kindeswohls vertretbar und es bedürfe daher keine[r] weiteren jugendwohlfahrtsrechtliche[n] Maßnahmen. Es wäre der belangten Behörde (zumindest theoretisch) auch frei gestanden, diese Frage im Rahmen des §38 AVG selbst zu beurteilen.
Die hier getroffene Vorgangsweise, sich mit dem Kindeswohl der [Fünftbeschwerdeführerin] nicht zu beschäftigen, keine Verständigung des Jugendwohlfahrtsträgers durchzuführen und anstatt dessen möglichst rasch zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu schreiten ist nach Ansicht des ho. Gericht[s] nicht vertretbar und nicht verhältnismäßig.
Hier ist auch darauf hinzuweisen dass laut Auskunft des behandelnden Krankenhauses zwar ein weiteres Zuwarten aus medizinischer Sicht nicht vertretbar, aber im Umkehrschluss die Behandlung noch möglich und wohl auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erfolgreich und daher sinnvoll ist. Bevor die seitens des ho. Gerichts anstelle der belangten Behörde initiierten pflegschaftsgerichtlichen bzw. jugendwohlfahrtsrechtlichen Maßnahmen keine Klarheit der Lage herbeiführen, ist die Vorgangsweise der belangten Behörde jedenfalls als übereilt anzusehen, da bis zu jenem Zeitpunkt, wo diese Klarheit vorliegt, nicht festgestellt werden kann, ob die Voraussetzungen, welche zur Zuerkennung eines Sta[tu]s einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf [die Fünftbeschwerdeführerin] führten, vorliegen.
Erst wenn der im Vorabsatz thematisierte Sachverhalt zweifelsfrei feststeht, wird die belangte Behörde frühestens entscheiden können, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes in Bezug auf [die Fünftbeschwerdeführerin] vorliegen. Bis dahin kommt ihr jedenfalls der Sta[tu]s eine[r] subsidiär Schutzberechtigten und das [da]mit verbundene Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu, weshalb der angefochtene Bescheid im vollen Umfang zu beheben war […]."
8. Am 7. März 2012 stellten die Beschwerdeführer Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigungen. Im Zuge dieser Verfahren wurde den Beschwerdeführern mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 4. Mai 2012 der subsidiäre Schutz neuerlich aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen und die Ausweisung nach Armenien verfügt. Die Begründung hinsichtlich der Fünftbeschwerdeführerin ist fast völlig wortgleich mit jener des Bescheides des Bundesasylamtes vom 30. September 2011.
9. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden vom Asylgerichtshof mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung vom 19. Juni 2012 abgewiesen.
9.1. Begründend führte der Asylgerichtshof zur Situation der Fünftbeschwerdeführerin unter Bezugnahme auf §9 Abs1 Z1 AsylG 2005 nunmehr aus:
"Zum Zeitpunkt als dieser zuerkannt wurde, ging das erkennende Gericht davon aus, dass die schwere Innenohrtaubheit der bP5 durch die Einsetzung eines C-Implantats behandelt wird und die bP hierdurch in die Lage versetzt wird, Geräusche wahrzunehmen, sowie verbal sowohl aktiv als auch passiv zu kommunizieren. Ein Vergleich der Lebensperspektiven der bP5, welche sie mit ihrer angeborenen Innenohrtaubheit vor dem Hintergrund der Behandlungsmöglichkeiten in Armenien verglichen mit jenen in Österreich vorfinden würde, veranlasste das erkennende Gericht seinerzeit, bP5 (gerade noch) den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Das erkennende Gericht ging somit nicht bloß vom theoretisch möglichen Zugang zu einer operativen Einsetzung eines C-Implantats, sondern auch von der tatsächlichen Durchführung einer solchen Maßnahme als Tatbestandsmerkmal für den Bestand des vorläufigen Aufenthaltsrechts aus.
Zwischenzeitig hat sich der maßgebliche Sachverhalt, welcher zur Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf bP5 [geführt hat], so weit geändert, als […] nunmehr feststeht, dass ihr ein Zugang zu einer operativen Behandlung aufgrund der Weigerung der Zustimmung der Eltern – wovon der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger und das Pflegschaftsgericht in Kenntnis sind und sichtlich keine Maßnahmen setzten, welche die Weigerung der Eltern überwanden – nicht möglich ist und sich somit der Vergleich der Lebensperspektiven zwischen einem Aufwachsen und Weiterleben in Armenien und Österreich erheblich relativiert.
Bereits in den ho. Erk. v. 4.4.2011, Zlen E10 253564-0/2008 /38E, E10 256885-0/2008/18E, Zl. E10 301036-1/2008/19E, E10 408456-1/2009/24E und E10 253563-0/2008/19E wurden Feststellungen zur Lage von tauben bzw. taubstummen Menschen in Armenien getroffen. Aus diesen Feststellungen geht hervor, dass der bP ohne Behandlung mit einem C-Implantat in Armenien ein ähnlicher schulischer Werdegang (bezogen auf die Pflicht- bzw. Grundschule) offen steht wie in Österreich, weshalb die schwere Innenohrtaubheit künftig als taugliches Tatbestandsmerkmal zur weiteren Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten ausscheidet. Soweit in den genannten Erkenntnissen über die Berufsaussichten von tauben bzw. taubstummen Menschen in Armenien getroffen wird [sic!] ist festzuhalten, dass es sich hierbei um die gegenwärtige Situation handelt, aus der aufgrund des geringen Lebensalters der bP5 keine, das Kriterium der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit erfüllende Zukunftsprognose getroffen werden [kann]."
9.2. Hinsichtlich einer sonstigen Gefährdung im Sinne des §8 Abs1 AsylG 2005 verwies der Asylgerichtshof auf seine Entscheidung vom 4. April 2011.
9.3. Im Zuge der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung nahm der Asylgerichtshof eine Interessenabwägung vor, in welcher er den Beschwerdeführern zuerkannte, dass sie sich in ihrem Wohn- und Lebens bereich in einem gewissen Sinne integriert hätten, indem sie sich eingelebt hätten, Kontakte pflegten, über erhebliche Kenntnisse der deutschen Sprache verfügten, ein Kind die Pflichtschule und zwei andere Kinder den Kindergarten besuchten, und die Beschwerdeführer am kirchlichen Leben teilnehmen sowie zwei Kinder Veranstaltungen bei LifeXpress besuchen würden. Auch würden die Beschwerdeführer zu einem Teil zu ihrem Unterhalt beitragen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung könne jedoch nicht von einer außergewöhnlichen In tegration gesprochen werden, sondern handle es sich um Sachverhalte, welche sich aus dem Wesen des gewöhnlichen Aufenthalts in ihrem Lebensbereich ergeben würden. Auch sei den minderjährigen Kindern entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführer gemeinsam mit ihren Eltern eine Rückkehr nach Armenien zuzumuten, da im Hinblick auf deren jugendliches Alter (Besuch der Volksschule und des Kindergartens) von einer noch hohen Anpassungsfähigkeit auszugehen sei. Es sei auch davon auszugehen, dass ihnen durch ihre Eltern die Kultur und Sprache ihres Herkunftsstaates vermittelt worden sei.
Zur "Schutzwürdigkeit des Familienlebens (Privatlebens)" führte der Asylgerichtshof aus, die Beschwerdeführer hätten ihr Privat- bzw. Familienleben zu einem Zeitpunkt "fortbegründet", als sie als Asylwerber und später als subsidiär Schutzberechtigte im Bundesgebiet aufhältig gewesen seien. Zwar liege hier ein anderer Sachverhalt als bei jenen Konstellationen vor, wo es den Parteien ge linge, ihren Aufenthalt bloß durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorüberge hend zu legalisieren, dennoch werde auf die bereits getroffenen Ausführungen hinsicht lich der Vorhersehbarkeit der Beendigung des Aufenthaltes für den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wegen der un terlassenen Behandlung der Fünftbeschwerdeführerin hingewiesen (auf einen derartigen möglichen Fall sei seitens des Gerichts in den dieser Entscheidung vorangehenden Entscheidungen hingewiesen worden), wes halb die Erlassung der gegenständlichen Ausweisung nicht unvorhergesehen komme und von einer herabgesetzten Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens auszugehen sei.
Hiezu führte der Asylgerichtshof weiter wörtlich aus:
"Wie bereits erwähnt, musste es den [Beschwerdeführern] klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Verwirklichung eines Tatbestandes, welcher zur Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten führt, nur ein Vorübergehender ist.
Im gegenständlichen Fall wird besonders darauf hingewiesen, dass der Aufenthalt der Familie in einem wesentlichen Umfang an die Behandlungsbedürftigkeit und den Umfang der tatsäch lich stattgefundenen Behandlung [der Fünftbeschwerdeführerin] gebunden war und [der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin] im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht in Österreich mit der Innenohrtaubheit kalkulierten und sie im Ver fahren keinen Hehl daraus machten, dass sie die Behandlung mittels C-Implantats aus einem aufenthaltsrechtlichen Kalkül unterlassen. Ebenso wurde bereits im ho. Erk. vom 25.11.2011 zum gegenständlichen Fall darauf hingewiesen, dass die Stattgebung der Beschwerde zu ei nem erheblichen Teil in der Erwägung erfolgte, um [der Fünftbeschwerdeführerin] Zugang zu medizinischer Behand lung zu verschaffen. Hierdurch war es [dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin] erkennbar, dass der weitere Verbleib in Österreich von deren Bereitschaft, der Behandlung [der Fünftbeschwerdeführerin] zuzustimmen, abhängt. Da in weiterer Folge [der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin] weiterhin der Behandlung – sichtlich mit Wissen des zustän digen Jugendwohlfahrtsträgers und Pflegschaftsgerichts – nicht zustimmten, war die gegen ständliche Entscheidung für [den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin] vorhersehbar."
Ein Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Ver fahrensdauer war nach Ansicht des Asylgerichtshofes nicht gegeben.
Zusammenfassend hielt der Asylgerichtshof fest, dass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Vollzugs des Fremdenwesens, ebenso wie die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung deutlich gegenüber den Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würde.
10. In ihren gegen diese Entscheidung gerichteten, auf Art144a B VG gestützten Beschwerden behaupten die Beschwerdeführer die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung Fremder untereinander sowie der in Art2, 3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte.
11. Der belangte Asylgerichtshof übermittelte die Gerichts- und Verwaltungsakten und erstattete eine Gegenschrift, in der er im Wesentlichen die Begründung der angefochtenen Entscheidung sowie der vorangegangenen Entscheidungen neuerlich darstellte.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist hinsichtlich der die Fünftbeschwerdeführerin betreffenden Entscheidung sowie hinsichtlich der den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin sowie die Dritt- und Viertbeschwerdeführer betreffenden Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sach lichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkenn bar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. ge währleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Dis kriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Ver fassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Er mittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unter lassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof bei seiner Entscheidung unterlaufen:
2.1. Der Asylgerichtshof hat der Fünftbeschwerdeführerin mit Entscheidung vom 4. April 2011 zunächst subsidiären Schutz zuerkannt. Um ihr die operative Einsetzung eines Cochlea-Implantates zu ermöglichen, hat der Asylgerichtshof – nachdem die Eltern keine Zustimmung zur Operation gegeben haben – am 31. Oktober 2011 die zuständigen Behörden sowie die Justiz informiert und die Setzung entsprechender rechtlicher Schritte zur Hintanhaltung der Gefährdung des Kindeswohls angeregt.
In seiner Entscheidung vom 25. November 2011 hat der Asylgerichtshof dem Bundesasylamt im Wesentlichen den Auftrag erteilt, mit einer Entscheidung bis zur Entscheidung über pflegschaftsgerichtliche bzw. jugendwohlfahrtsrechtliche Maßnahmen zuzuwarten.
Das Bundesasylamt nahm eine Einvernahme des Erst beschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor, in welcher beide zur aktuellen Behandlungssituation der Fünftbeschwerdeführerin befragt wurden, unterließ jedoch jegliche Ermittlungen hinsichtlich des vor dem Bezirksgericht anhängigen Verfahrens. Völlig außer Acht gelassen wurde, dass die Beschwerdeführer selbst im Rahmen ihres Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 7. März 2012 darauf hingewiesen hatten, dass die beim Bezirksgericht Linz anhängige Pflegschaftssache bezüglich der Fünftbeschwerdeführerin noch nicht abschließend entschieden sei, da das im Rahmen einer Anhörung am 13. Dezember 2011 angeordnete ärztliche Gutachten noch nicht vorliege. Vielmehr wurde vom Bundesasylamt am 4. Mai 2012 ein mit der Vorentscheidung nahezu wortgleicher Bescheid erlassen.
Im dritten Verfahrensgang hat der Asylgerichtshof nunmehr diesen Bescheid bestätigt und damit die Unterlassung der Ermittlungstätigkeit des Bundesasylamtes hingenommen, ohne weitere Verfahrensschritte vorzunehmen.
Durch das Unterlassen jeglicher Ermittlungsschritte in diesem Punkt hat der Asylgerichtshof seine Entscheidung hinsichtlich der Fünftbeschwerdeführerin mit Willkür belastet.
2.2. Im Rahmen seiner Ausweisungsentscheidung geht der Asylgerichtshof davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin der Operation der Fünftbeschwerdeführerin aus rein aufenthaltsrechtlichem Kalkül nicht zugestimmt oder gar mit der Gehörlosigkeit ihrer Tochter "kalkuliert" hätten; die Entscheidung des Asylgerichtshofes sei vorhersehbar gewesen, da in weiterer Folge die beiden Beschwerdeführer "sichtlich mit Wissen des zuständigen Jugendwohlfahrtsträgers und Pflegschaftsgerichts" weiterhin der Behandlung nicht zustimmten.
Der Asylgerichtshof legt diese Umstände seiner gegen den Verbleib der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ausschlagenden Interessenabwägung zugrunde. Zum einen stützt er sich dabei allerdings auf Annahmen, die nicht ermittelt wurden (siehe oben Pkt. 2.1.). Zum anderen setzt sich der Asylgerichtshof bei seinen beweiswürdigenden Feststellungen in keiner Weise mit folgenden Aspekten auseinander:
So ergibt sich aus den im Verfahren ergangenen ärztlichen Stellungnahmen, dass die Familie um bestmögliche Förderung für die Fünftbeschwerdeführerin bemüht sei, jedoch wegen des offenen Asylverfahrens keine Operation durchführen lassen wolle, da die unbedingt notwendige medizinische und therapeutische Nachsorge bei eventueller Abschiebung ins Heimatland Armenien nicht gewährleistet sei (Stellungnahme des Konventhospitals Barmherzige Brüder Linz vom 16. März 2011). Auch in der ärztlichen Stellungnahme vom 7. November 2011 wird erneut darauf hingewiesen, dass nach erfolgter Operation eine ausreichende Zeit therapeutischer Begleitung entscheidend sei; mit einer anschließenden Rehabilitation und Förderung bis zum Schuleintritt sei auf jeden Fall zu rechnen. Völlig ignoriert wurde etwa das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahme am 23. April 2012, sie habe Angst vor der Operation; es handle sich dabei um keinen leichten Eingriff, welcher auch mit Risiken verbunden sei.
Der Asylgerichtshof übersieht zudem, dass die Bescheide des Bundesasylamtes hinsichtlich der bereits im Jahr 2003 eingereisten Erst- und Zweitbeschwerdeführer am 7. September 2004 ergingen. Mit Blick auf die dagegen erhobenen Berufungen erfolgten bis zum 25. November 2009 keinerlei Verfahrensschritte, nachdem der rechtsfreundliche Vertreter der Erst- bis Viertbeschwerdeführer am 19. November 2008 um die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ersucht hatte. Die Beschwerdeführer haben im Verlauf des Verfahrens zu erkennen gegeben, auch weiter an einer raschen Beendigung des Verfahrens interessiert zu sein, zumal von ihrer Seite am 23. August 2010 ein Fristsetzungsantrag gestellt wurde.
Da der Asylgerichtshof diese aus den Verfahrensakten ergehenden Elemente im Rahmen seiner Abwägung außer Acht lässt, ist die gegen die Erst- bis Viertbeschwerdeführer ergangene Ausweisungsentscheidung mit Willkür belastet.
B. Soweit sich die Beschwerde im Übrigen gegen die Aberkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Dritt- und Viertbeschwerdeführer richtet, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144a B VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Dem Asylgerichtshof ist bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung keine Verletzung des Art3 EMRK unterlaufen, hat er sich doch in aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstan dender Weise mit allen aus Art3 EMRK erfließenden Aspekten aus einandergesetzt (vgl. zB VfSlg 18.610/2008).
Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von der Behandlung der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Dritt- und Viertbeschwerdeführer, soweit sie sich gegen die Aberkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten richten, abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
Auf Spruchpunkt I. dieser Entscheidung wird mit Blick auf §34 AsylG 2005 und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen für die vorliegenden Fälle hingewiesen.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Fünftbeschwerdeführerin ist durch Spruchpunkt 5) der angefochtenen Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Spruchpunkt 5) der angefochtenen Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin sowie die Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind durch die angefochtene Ent scheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin sowie die Dritt- und Viertbeschwerdeführer betreffende angefochtene Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 500,– sowie ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 500,– enthalten.
5. Die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 220,– ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer mit Beschluss vom 4. September 2012, U1372/12-8, U1607-1610/12-8, von deren Entrichtung befreit worden sind.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.