B385/79 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde St. Radegund bei Graz vom 31. Dezember 1971, zugestellt am 3. Mai 1972, wurde dem Beschwerdeführer für das in seinem Eigentum stehende Grundstück EZ 343, KG R., "für das Kalenderjahr 1971 und weiter für die folgenden Jahre" Grundsteuer in Höhe von S 252,- jährlich vorgeschrieben. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, der vom Gemeinderat mit Bescheid vom 8. März 1979 keine Folge gegeben wurde. Die gegen den Bescheid des Gemeinderates erhobene Vorstellung an die Stmk. Landesregierung wurde von dieser mit Bescheid vom 1. August 1979 als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen den Vorstellungsbescheid der Stmk. Landesregierung wendet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentumes behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt wird.
Die belangte Behörde hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Vorschreibung einer Abgabe greift in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2. Der angefochtene Bescheid gründet sich in materiell-rechtlicher Hinsicht auf die Bestimmungen des Grundsteuergesetzes, in formeller Hinsicht auf die Bestimmungen der Stmk. Landesabgabenordnung - LAO, LGBl. 158/1963 und der Stmk. Gemeindeordnung 1967, LGBl. 115. Gegen diese Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides wurden weder Bedenken vorgetragen noch sind solche beim VfGH unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles entstanden.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH könnte somit der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzt worden sein, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte.
Dies ist der Behörde anzulasten:
a) Das Recht, Grundsteuer festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der Bestimmungen der Landesabgabenordnungen der Verjährung:
aa) Die Bestimmungen der BAO gelten nach §1 BAO unter anderem in Angelegenheiten der bundesrechtlich geregelten öffentlichen Abgaben, soweit diese durch Abgabenbehörden des Bundes zu erheben sind. Da die Festsetzung und Einhebung der Grundsteuer - die Festsetzung des Meßbetrages durch Bundesbehörden kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben - nicht durch Abgabenbehörden des Bundes, sondern durch Gemeindebehörden erfolgt (§15 Abs1 FinanzausgleichsG 1973 bzw. §16 Abs1 FinanzausgleichsG 1979), finden auch die Bestimmungen der BAO über die Verjährung (ungeachtet der Tatsache, daß §207 Abs2 BAO in der Fassung vor der Nov. BGBl. 151/1980 für die Grundsteuer explizit eine Verjährungsfrist von 3 Jahren vorsah) im gegebenen Zusammenhang keine Anwendung.
Das GrundsteuerG 1955, BGBl. 149/1955, enthielt in der hier maßgeblichen Fassung vor der Nov. BGBl. 556/1979 keine Bestimmungen über die Verjährung der Grundsteuer. Es sind somit hier die Bestimmungen der Stmk. LAO anzuwenden.
bb) Nach §156 Abs1 LAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt nach Abs2, abgesehen vom hier nicht in Betracht kommenden Fall der hinterzogenen Abgaben, drei Jahre und beginnt gemäß §157 lita mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
§158 LAO bestimmt sodann:
"(1) Die Verjährung wird durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§54) von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.
(2) Die Verjährung ist gehemmt,
a) solange die Geltendmachung des Anspruches innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt nicht möglich ist;
b) solange gemäß §211 Abs1 die Entscheidung über eine Berufung ausgesetzt ist.
(3) Sind seit der Entstehung des Abgabenanspruches (§3) fünfzehn Jahre verstrichen, darf der Abgabenanspruch nicht mehr geltend gemacht werden."
b) Im vorliegenden Fall wurde die Abgabe mit Bescheid vom 31. Dezember 1971 erstinstanzlich festgesetzt. Gegen die mit der Zustellung am 3. Mai 1972 wirksam gewordene Abgabenfestsetzung wurde fristgerecht Berufung erhoben. Nach der Aktenlage stellt der Berufungsbescheid des Gemeinderates der Gemeinde St. Radegund bei Graz vom 8. März 1979 die nächste nach außen erkennbare, zur Geltendmachung des Abgabenanspruches unternommene Amtshandlung der Abgabenbehörden dar. Sie wurde erst mehr als drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Abgabe erstinstanzlich festgesetzt wurde, unternommen. Hemmungstatbestände iS des §158 Abs2 LAO lagen bis zu diesem Zeitpunkt nicht vor.
c) Der VfGH hat sich bereits im Erk. VfSlg. 9155/1981 mit den auch für die Beurteilung des vorliegenden Falles entscheidenden Rechtsfragen, nämlich ob auch eine Abgabenfestsetzung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz eine Festsetzung einer Abgabe (iS des §207 Abs1 BAO) ist, und ob es möglich ist, daß eine bereits erstinstanzlich festgesetzte Abgabe durch Untätigbleiben der Behörde im Berufungsverfahren verjährt, auseinandergesetzt.
Der Gerichtshof hat in diesem Erk. die Auffassung vertreten, daß nach der mit der hier vorliegenden Rechtslage völlig übereinstimmenden Rechtslage vor der Nov. zur Bundesabgabenordnung 1980, BGBl. 151/1980, auch bei der Festsetzung einer Abgabe in einer Berufungsentscheidung der Eintritt der Bemessungsverjährung zu beachten war und hat ausgeführt, daß die Ansicht, nach der erstinstanzlichen, nicht rechtskräftig gewordenen Festsetzung einer Abgabe könne das Recht, diese festzusetzen, nicht mehr verjähren, nach dieser Rechtslage denkunmöglich war. An dieser Rechtsansicht hielt der Gerichtshof auch im Erk. v. 3. 10. 1981 B67/77 ausdrücklich fest.
d) Der Gemeinderat der Gemeinde St. Radegund bei Graz hat daher bei seiner Entscheidung über die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters im Jahre 1979 bereits verjährte Abgaben festgesetzt. Er hätte jedoch bei der meritorischen Erledigung den durch Ablauf der Verjährungsfrist erfolgten Eintritt der Verjährung von Amts wegen wahrzunehmen gehabt. Da er das nicht getan hat, hat er die ihn zur Abgabenfestsetzung ermächtigenden Gesetzesbestimmungen in einer einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Weise angewendet.
Indem die Stmk. Landesregierung die Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeinderates als unbegründet abgewiesen hat, hat sie diesen Fehler zu verantworten. Deshalb wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Vorstellung gegen die Festsetzung der Grundsteuer "für das Kalenderjahr 1971 und weiter für die folgenden Jahre" als unbegründet abgewiesen. Im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides des Gemeinderates war die Verjährungsfrist des §158 LAO hinsichtlich der Kalenderjahre 1971 bis 1975 bereits abgelaufen und somit die Verjährung hinsichtlich dieser Jahre bereits eingetreten.
Der angefochtene Bescheid ist jedoch zur Gänze aufzuheben, weil die belangte Behörde eine Trennung zwischen dem die Kalenderjahre 1971 bis 1975 betreffenden und nunmehr als verfassungswidrig erkannten Bescheidinhalt und seinem übrigen Inhalt nicht vorgenommen hat (vgl. auch VfSlg. 8097/1977).
Bei diesem Ergebnis brauchte auf das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers nicht mehr eingegangen zu werden.