JudikaturVfGH

B456/83 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Juni 1984

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. beantragte mit einer an das Militärkommando Stmk. gerichteten Eingabe vom 10. April 1982, ihn nach dem Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974 idF der Nov. BGBl. 496/1980, (im folgenden kurz: ZDG) von der Wehrpflicht zu befreien.

Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres lehnte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Bescheid vom 6. Oktober 1982 diesen Antrag gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG ab.

Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden kurz: ZDOK) gab - nachdem auch sie eine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte - mit Bescheid vom 25. März 1983 der dagegen vom Bf. erhobenen Berufung keine Folge.

Dieser Bescheid wird wie folgt begründet:

"Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Ch. H vom 10. 4. 1982 auf Befreiung von der Wehrpflicht gemäß §2 Abs1 in Verbindung mit §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

Die dagegen fristgerecht erhobene Berufung des Genannten ist nicht begründet.

Da die Berufungsbehörde das Ermittlungsverfahren wiederholte und sonach zu eigenen Feststellungen gelangte, erübrigt es sich, auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides im einzelnen einzugehen.

Der Berufungswerber begründete sein Begehren - zusammengefaßt wiedergegeben - im wesentlichen wie folgt:

Schon im Zeitpunkt der Stellung (1976) sei er gewillt gewesen, den Zivildienst zu beantragten. Es fehlte ihm aber die intellektuelle Reife und die Zivilcourage, seine Meinung und sein Anliegen vorzubringen. Zu seiner eigenen Überraschung habe ihm dann die Wehrpflicht gutgetan, weil sie seine Selbstwerdung, Selbstbeherrschung und Überwindungskraft geformt habe. Mit dem Älterwerden wuchs auch die Erkenntniskraft und der Wille zur Selbständigkeit. Am ersten Tag der letzten freiwilligen Waffenübung (1. 2. 1983) fiel seine Entscheidung im Sinne des nunmehrigen Antrags. Seine philosophischen Überlegungen hätten ihn dazu gebracht, in der Liebe die Gewissensvorlage, die Vorgabe Gottes für sein sinnerfülltes Leben zu erkennen. Damit habe er sich aller anderen Motivationen - Ringen um Sieg, Ehre, Ruhm, Macht, Anerkennung und dgl. - entledigt. Die insofern erlebte Innigkeit sei so stark, daß es ihm unmöglich sei, sich dem militärischen Sinn weiterhin unterzuordnen. Er könne sein Denken und Handeln von der beschriebenen Bindung mit dem Innersten - der Liebe - nicht mehr lösen. Er wäre bereit, nach Abschluß seines Medizinstudiums dem Wehrverband als Arzt weiterhin anzugehören. Auf Grund seines Wesens sei er unfähig, gegen einen Menschen mit Gewalt vorzugehen. Er könne sich überwinden, aber nicht zur verlangten Waffengewalt, ob bei Angriff oder Verteidigung.

Entgegen der von der Zivildienstkommission vertretenen Ansicht vermag zwar die Berufungsbehörde darin, daß der Antragsteller sich eine ärztliche Tätigkeit im Rahmen des Wehrverbandes vorstellen kann, keinen Widerspruch zur grundsätzlichen Ablehnung von Waffengewalt gegen Menschen zu erblicken. Da es sich bei der Gewissenentscheidung um einen höchstpersönlichen inneren Vorgang handelt, der sich jeweils auf das betreffende Individuum beschränkt, ist es durchaus miteinander vereinbar, daß jemand einerseits den Wehrdienst - für andere - bejaht, für seine Person aber aus Gewissensgründen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ohne Einschränkung ablehnt. Insoweit ist daher eine Inkonsequenz im Vorbringen des Antragstellers nicht zu erkennen.

Die Berufungsbehörde ist aber nach gründlicher Erwägung des Parteienvorbringens des Berufungswerbers trotz des Umstandes, daß die noch ausstehenden Waffenübungen ihn zeitmäßig weniger beanspruchen würden als die angestrebte Zivildienstleistung, zu dem Ergebnis gelangt, daß Ch. H derzeit die Wehrpflicht vorwiegend aus intellektuellen-philosophischen Erwägungen und nicht aus den vom Gesetz verlangten schwerwiegenden Gewissensgründen ablehnt. Namentlich der Umstand, daß er - angeblich - schon bei der Stellung Zivildienst leisten wollte, dies dann mangels Mutes unterließ, sich in der Folge beim Bundesheer wohl fühlte und bis zum Februar 1982 nicht wußte, wie er sich entscheiden sollte, führte den Senat zur Annahme, daß beim Antragsteller auch derzeit noch keine gefestigte innere Überzeugung - Grundlage einer ernstzunehmenden und schwerwiegenden Gewissensentscheidung - vorliegt.

Da es ihm mithin nicht gelungen ist, die vom Gesetz geforderten materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Wehrpflichtbefreiung (§2 Abs1 ZDG) glaubhaft zu machen (§6 Abs1 ZDG) mußte der Berufung ein Erfolg versagt bleiben."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch §2 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die ZDOK hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die bel. Beh. geht offenkundig davon aus, das Vorbringen des Bf. sei geeignet darzutun, daß er es aus schwerwiegenden Gründen ablehne, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und er bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde (§2 Abs1 ZDG). Der VfGH folgt in dieser Hinsicht der ZDOK. Die Ausführungen des Bf. - wie sie in der Begründung des bekämpften Bescheides zutreffend wiedergegeben werden - lassen nämlich sehr wohl erkennen, daß er nach seinen Behauptungen infolge seiner - allgemeinen, vorbehaltlosen - Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot geriete, wenn er Wehrdienst leisten müßte.

Voraussetzung für die Befreiung einer Person von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung ist dem §6 Abs2 ZDG zufolge aber nicht bloß die erwähnte (taugliche) Behauptung, sondern auch, daß der Antragsteller diese glaubhaft macht (vgl. zB VfSlg. 9573/1982).

Die bel. Beh. legt dar, weshalb sie zur Ansicht gelangt ist, daß der Bf. das Vorliegen schwerwiegender Gewissensgründe bei Anwendung von Waffengewalt nicht glaubhaft gemacht habe.

2. Dagegen wendet sich der Bf. mit folgenden Argumenten:

Der Umstand, daß er nicht bereits anläßlich seiner Stellung im Jahre 1976 den Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht gestellt habe, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Zwar hätten diese Gewissensgründe im Ansatz bereits damals bestanden. Sie hätten sich aber in den folgenden sechs Jahren sehr wesentlich gefestigt. Sein Vorbringen sei auch deshalb glaubwürdig, weil die noch ausstehenden Waffenübungen beim Bundesheer ihn (den Bf.) zeitmäßig weniger beanspruchen würden als die angestrebte Zivildienstleistung.

3. a) Eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes liegt dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, VfSlg. 9549/1982).

b) Daß die ZDOK §2 Abs1 ZDG unrichtig ausgelegt habe, behauptet der Bf. selbst nicht. Aber auch ein in der Beschwerde der Sache nach geltend gemachter, in die Verfassungssphäre reichender gravierender Verstoß auf verfahrensrechtlicher Ebene, insbesondere im Bereich der Beweiswürdigung, ist nicht zu ersehen:

In Wahrheit erschöpft sich das Beschwerdevorbringen nach Inhalt und Zielsetzung bloß in einer subjektiven Kritik der freien Beweiswürdigung der ZDOK und einzelner Begründungselemente des angefochtenen Bescheides, ohne der bel. Beh. unterlaufene, entscheidungswichtige, vom VfGH wahrzunehmende Verfahrensfehler aufzuzeigen.

Der VfGH vermag der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegenzutreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der Verfahrensergebnisse zum Schluß gelangte, daß der Bf. die Wehrpflicht vorwiegend aus anderen Gründen als den vom ZDG verlangten schwerwiegenden Gewissensgründen ablehne. Dem Bf. ist wohl darin beizupflichten, daß der Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Befreiung von der Wehrpflicht nicht entscheidend ist (vgl. zB VfSlg. 9356/1982) und daß sich die Gewissensentscheidung im Laufe des Lebens eines Menschen ändern kann. Die Argumentation des Bf. im Administrativverfahren erlaubt jedoch die Annahme der ZDOK, daß das Leisten von Wehrdienst den Bf. nicht in schwere Gewissensnot bringen würde. Das bisherige aktenmäßig festgestellte, nach außen in Erscheinung getretene Verhalten des Bf. hat nichts ergeben, was dafür sprechen würde, daß die behauptete Gewissensentscheidung tatsächlich vorliegt.

Da die ZDOK demgemäß in Würdigung und Wertung der Ausführungen des Antragstellers und seines bisherigen Verhaltens davon ausgehen konnte, daß Gewissensnot im Falle der Leistung des Wehrdienstes nicht glaubhaft gemacht sei, liegt keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vor.

4. Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Bf. in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

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