JudikaturVfGH

B161/80 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. September 1985

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, (in der für diesen Beschwerdefall maßgebenden Fassung vor der Nov. BGBl. 496/1980; im folgenden ZDG) seine Befreiung von der Wehrpflicht und führte begründend aus:

"Ich wurde am 24. 7. 1952 in Graz geboren. Meine Kindheit verbrachte ich bis zum 19. Lebensjahr fast ausschließlich bei meinen Eltern auf einem Bauernhof in F (bei Gleisdorf). Zwischen 1962 und 1970 besuchte ich das BRG Gleisdorf. Im Juni 1970 schloß ich dieses mit Matura ab. In dieser Zeit begann ich, bewußt das Zeitgeschehen zu verfolgen. Es war die Zeit, als Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR einmarschierten und hunderttausende US-Soldaten in Vietnam standen und starben. Schon damals kamen mir Zweifel an der Sinnhaftigkeit des bewaffneten Wehrdienstes. Ich selbst konnte mir nicht vorstellen, daß ich jemanden, der mir gegenübersteht, töte.

Im Wintersemester 1970 begann ich mit dem Studium der Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur. Während des Studiums arbeitete ich in verschiedenen studentischen Organisationen mit (Katholische Hochschulgemeinde, Österr. Hochschülerschaft, ÖSU, Basisgruppe Boku). In den Jahren 1972 und 1973 war ich als Vertreter der ÖH im Internationalen Agrarstudentenverband (IAAS). Das periodische Zusammentreffen von Menschen verschiedener Nationen und der dauernde briefliche Kontakt schlossen es immer mehr aus, daß ich jemals gegen einen anderen Menschen, der anderer Nation oder anderer Meinung ist, mit Tötungs- oder Verletzungsabsichten vorgehen könnte.

Ein einschneidendes Erlebnis war eine landwirtschaftliche Exkursion in Belgien im Sommer 1973 im Rahmen der oben erwähnten Organisation. Dabei fuhren wir auch durch das Ardennengebiet, in dem im Zweiten Weltkrieg zehntausende Soldaten gefallen waren. Eine Unzahl von Soldatenfriedhöfen dominieren die Landschaft. Ich befand mich im Autobus mit Gleichaltrigen vieler anderer Nationen. Es kam mir zum Bewußtsein, daß es unsere Großväter gewesen sein könnten, die hier auf verschiedenen Seiten gefallen sind. Wichtig für meinen Entschluß ist auch eine Erfahrung, die ich im Frühjahr 1977 gemacht habe. Damals ist die 'Aktion Neue Rechte' (ANR) durch eine Unzahl von spontanen Provokationen an die Öffentlichkeit getreten. Als überzeugter Gegner des Nationalsozialismus und aller anderen Ausprägungen von Faschismus nahm ich an einer Gegenkundgebung teil. Zwei Dinge machten mich betroffen. Erstens, daß eine - wenn auch kleine - Gruppe von Gegendemonstranten die Losung 'Tod den Faschisten' skandierte. Für mich richtete sich die Demonstration gegen eine politische Richtung und nicht direkt gegen die Menschen, die diese politische Richtung verkörpern. Ich fühlte mich durch diese Parole verraten. Zweitens bestand die reale Gefahr, daß es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung eines Trupps bewaffneter ANR-Leute und den Antifaschisten kommt. Es kam letztlich nicht so weit. Ich habe in dieser Situation für mich selbst gemerkt, daß es mir unmöglich gewesen wäre, auch nur halbwegs wirkungsvoll in Notwehr gegen diese Menschen vorzugehen, obwohl ihr politisches Anliegen und ihre zur Schau getragene Militanz Angst und Haß gleichermaßen in mir erzeugten."

Unter einem ersuchte der Antragsteller, ihn im Falle der Stattgebung seines Antrages der österreichischen Bergbauernvereinigung in Wien zur Erfüllung seiner Zivildienstpflicht zuzuweisen.

Nach Erhebungen über die Person des Antragstellers führte die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden ZDK) eine mündliche Verhandlung durch, in welcher er sich auf seinen schriftlichen Antrag bezog und ergänzend angab:

"Es ist richtig, daß ich bereits 1971 gemustert worden bin und daß ich noch 1977 und 1978 Aufschubanträge beim BH gestellt habe. Ich wollte mit diesen Anträgen aber nicht zum Ausdruck bringen, daß ich die Notwendigkeit eines WD anerkenne, sondern nur ein 'Hinausschieben' des ganzen Verfahrens erreichen, weil ich diesbezüglich doch noch Überlegungen angestellt habe. Die Frage, ob man WD oder ZD leisten will, ist ja letzten Endes eine wichtige Entscheidung, die weittragende Folgen hat und die man sich dementsprechend auch gut überlegen soll.

Der Umstand, daß ich im nächsten Jahr keinen Aufschub mehr erhalte, war für meinen Antrag nicht maßgeblich, daran habe ich nicht gedacht.

Nachweise für meine Tätigkeit bei der Hochschülerschaft besitze ich im Moment nicht, ich könnte solche aber über Wunsch jederzeit nachbringen. Ich bin seit 1975 oder 1976 nicht mehr in der Hochschülerschaft tätig, weil ich praktisch nur mehr so nebenbei studiere und nur noch den Studienabschluß zu machen habe. In den Hauptsaisonzeiten arbeite ich im elterlichen Betrieb, den Rest des Jahres über versuche ich, mein Studium zu beenden. Seit ungefähr einem Jahr bin ich mit einem Werkvertrag bei der Bergbauernvereinigung tätig, diese Vereinigung bringt eine Zeitung heraus, an der ich gelegentlich mitarbeite.

Ich kann keinen Umstand angeben, der meine Entscheidung im besonderen beeinflußt hätte, ich bin eben eines Tages zur Ansicht gekommen, daß ich die Anwendung von Gewalt ablehne und daß ich einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht stelle.

Ich glaube, ich könnte auch schon vor vier Jahren gesagt haben, daß ich Gewalt nicht ausüben und daher auch meine Wehrpflicht nicht erfüllen will. Von der Möglichkeit, einen Antrag nach §25 WG zu stellen, habe ich erst vor etwa 2 Jahren Kenntnis erhalten. Solange es diese Möglichkeit rechtlich noch gab, habe ich davon nichts gewußt. Ich glaube auch, daß ich davon Gebrauch gemacht hätte, obwohl ich diese Regelung an sich nicht für gut finde, weil man damit ja die Institution Heer unterstützt.

Ich würde jeden Dienst versehen, wenn ich anerkannt werden sollte. Die Bergbauernvereinigung habe ich im Antrag nur angeführt, weil ich weiß, daß dies eine anerkannte Einrichtung ist und dort ein ZD beschäftigt wird.

Ich habe meine Ansicht in Gesprächen nur vertreten, Aktivitäten zur Bekanntmachung meiner Ansichten nicht gesetzt, wohl aber in diesem Sinn in den Vereinigungen gewirkt, in denen ich bisher tätig war."

2. Mit Bescheid vom 25. Oktober 1979 wies die ZDK den Antrag unter Berufung auf §2 Abs1 und §6 Abs1 ZDG ab. Sie begründete ihre Entscheidung nach Hinweis auf das Vorbringen im schriftlichen Antrag und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendermaßen:

Bei Beurteilung der mündlich und schriftlich vorgebrachten Argumente des Bf. in bezug auf das Vorliegen schwerwiegender Gewissensgründe habe die Kommission zwar berücksichtigt, daß er (nach seinen Angaben) seit längeren Jahren (beginnend etwa mit dem Einmarsch in der CSSR und dem Einsatz der US-Soldaten in Vietnam) bewußt das Zeitgeschehen verfolgt und während des Studiums von zirka 1970 bis 1975 oder 1976 in der Hochschülerschaft bzw. sonstigen studentischen Organisationen mitgewirkt habe. Dies spreche, wie die ZDK auch in Würdigung des vom Bf. in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks angenommen habe, dafür, daß der Bf. das Bedürfnis habe, in Gemeinschaften tätig zu sein. Die von ihm aufgezeigten Tätigkeiten und Erlebnisse böten zwar verschiedentliche Anhaltspunkte dafür, daß er mit den Folgen von Gewaltanwendung (Soldatenfriedhöfen) und Intoleranz (bei Studentendemonstrationen) konfrontiert worden sei, machten aber doch nicht deutlich, daß sie bei ihm zu einer gesicherten Einstellung gegenüber Gewaltanwendung führten. Dagegen spreche nämlich, daß der Bf. in der Zeit, in der er diese Tätigkeiten im Dienst von berufsorientierten Interessengemeinschaften, sohin in der Zeit seit seiner Musterung im Jahre 1971 bis 1976, keinen Antrag nach §25 Wehrgesetz oder §5 ZDG, dafür aber in den Jahren 1977 und 1978 Anträge auf Aufschub des ordentlichen Präsenzdienstes wegen seines Studiums gestellt habe und erst nunmehr, wo wegen des Herannahens des 28. Lebensjahres die Gewährung weiterer Aufschübe nicht zu erwarten sei, den Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht gestellt habe. Unter diesem Blickwinkel gesehen seien seine sonstigen Angaben nicht geeignet, das Vorhandensein von schwerwiegenden Gewissensgründen glaubhaft zu machen. Vielmehr habe angenommen werden müssen, daß der Einbringung des gegenständlichen Antrages Zweckmäßigkeitsüberlegungen zugrunde liegen, was letztlich auch aus dem sehr berufsorientierten Wunsch des Bf. um Zuweisung zu einer Einrichtung, in deren Dienst er stehe, zu entnehmen sei.

3. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die vorliegende VfGH-Beschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes kann gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes nach der Lage dieses Beschwerdefalles insbesondere dann stattgefunden haben, wenn der belangten ZDK wesentliche verfahrensrechtliche Verstöße in bezug auf die dem Antragsteller obliegende Glaubhaftmachung (Bescheinigung) der behaupteten Gewissensgründe unterlaufen wären (zB VfSlg. 8787/1980). Dies ist der Behörde, wie die folgenden Ausführungen zeigen, tatsächlich anzulasten.

Das Zuwarten mit der Einbringung eines Antrages auf Wehrpflichtbefreiung, bis ein Einberufungsbefehl zu erwarten ist, läßt nicht auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des vom Antragsteller verfolgten Anliegens schließen. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß es bei der Würdigung des Parteienvorbringens sowie der Parteiaussage nicht entscheidend sein kann, wann der Antragsteller von dem ihm zustehenden Recht, einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht einzubringen, Gebrauch macht; es kommt auf die Glaubhaftmachung der Gewissensgründe und nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Der Zeitpunkt der Antragstellung ist zwar nicht unter allen Umständen ohne jegliche Bedeutung, doch kann es einem Antragsteller nicht zum Nachteil gereichen, wenn er etwa im Hinblick darauf, daß der Antritt des Grundwehrdienstes aufgeschoben war, keine Veranlassung zur alsbaldigen Antragstellung gefunden hat (VfSlg. 9356/1982). Der Gerichtshof bleibt bei dieser Auffassung, die entsprechend für den vorliegenden Beschwerdefall zutrifft. Die demnach abzulehnende Ansicht der bel. Beh. fällt hier ins Gewicht, weil ihre auf dem Zeitpunkt der Antragstellung beruhende Argumentation nicht etwa eine von mehreren für die getroffene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen bildete, sondern für das Entscheidungsergebnis schlechthin ausschlaggebend war.

Es ist also festzuhalten, daß der belangten ZDK ein gravierender, in die Verfassungssphäre reichender Verfahrensfehler unterlief. Der angefochtene Bescheid war daher wegen der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung aufzuheben, wobei es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.

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