JudikaturVfGH

B152/80 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. September 1985

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, (in der für diesen Beschwerdefall maßgebenden Fassung vor der Nov. BGBl. 496/1980; im folgenden ZDG) seine Befreiung von der Wehrpflicht und führte begründend aus:

"Man wurde schon so oft mit dem Wort 'Friede' betrogen und auch heute wird Frieden sofort mit dem Wort Verteidigung verbunden und Verteidigung heißt immer Einsatzbereitschaft zum Töten. Daher auch die üblichen Aussprüche wie, Bundesheer ist notwendig, wer soll denn sonst unser Vaterland verteidigen? Jedoch kann ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Menschen zu töten und außerdem ist es für mich absoluter Wahnsinn, Probleme mit Gewalt zu lösen. Man sieht das z.B. bei Kindern, die von ihren Eltern geschlagen werden. Diese Eltern glauben, durch Schläge Probleme zu lösen, erreichen damit nur, daß sich bei den Kindern Aggressionen sammeln, die sie dann ebenfalls an ihrer Umwelt abreagieren. Damit ist der Kreislauf geschlossen und weder den Eltern noch den Kindern ist damit geholfen. Eine Form der Verteidigung ist sicherlich der passive Widerstand, d.h. nicht töten, sondern durch gewaltlose und gezielte Aktionen wie Streiks, Boykotts, Flugblätter und Demonstrationen den Widerstand des Gegners zu brechen.

Vor ein paar Jahren ist mir bewußt geworden, daß ich Menschen gegenüber, die in irgendeiner Form Gewalt ausüben, eine starke Abneigung habe. Ich war damals sehr unsicher und es war mir nicht möglich, gegen diese Aggressionen aufzukommen. (Hier verbinde ich das Wort Gewalt und Aggression nicht nur mit Töten, sondern mit Gemeinheiten, wie sie einem laufend im Alltag begegnen.) Durch diese Erkenntnis wurde mir bewußt, daß für mich nur eine gewaltlose Beziehung erstrebenswert ist. Ich spüre es immer wieder, wie schön es ist, bereit zu sein, Zuneigungen von Freunden aufzunehmen und diese Erfahrungen und Gefühle weiterzugeben. Dieses Handeln versuche ich auf alle menschlichen Beziehungen auszuweiten. Daher würde für mich die Waffengewalt, egal für welchen Zweck, eine Zerstörung meines Charakters und Gefühlslebens hervorrufen. Meine Lebensideale stünden dann in totaler Zwiespältigkeit mit meiner Person. Zu diesen Ansichten bin ich auch durch Erlebnisse mit meinen Freunden, Eltern und durch Bücher, Musik und Filme gekommen. Durch Ausführung des ZD wäre nicht nur mir geholfen, sondern ich hoffe, daß ich auch anderen Menschen damit etwas Gutes tun kann."

Nach Erhebungen über die Person des Antragstellers führte die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden ZDK) eine mündliche Verhandlung durch. In dieser bezog sich der Bf. auf seinen schriftlichen Antrag und brachte weiters vor:

"Wenn ich in meinem Antrag schrieb, daß man schon oft mit dem Wort 'Frieden' betrogen worden ist, dann wollte ich damit zum Ausdruck bringen, daß ich von verschiedenen Leuten erfahren habe, daß die Bevölkerung plötzlich in einen Krieg einbezogen worden ist, ohne vorher von einer gefährlichen Situation informiert worden zu sein. Die Politiker erklärten dann der Bevölkerung, daß alles plötzlich gekommen sei und sie nichts gewußt hätten. Ich halte das für unrichtig, meiner Meinung nach müßte die Bevölkerung immer entsprechend informiert werden, damit sie sich auf allfällige Auseinandersetzungen mit einem anderen Staat entsprechend vorbereiten kann. Sie müßte mit der eigenen Regierung diesbezüglich reden, allenfalls auch sie durch Streiks zu einer bestimmten Einstellung bzw. zu bestimmten Handlungen, etwa Verhandlungen mit dem Gegner, zwingen. Auch müßte ein passiver Widerstand vorbereitet werden. Bestimmte Erlebnisse mit meinen Freunden kann ich im Moment nicht angeben, ich wollte mit der entsprechenden Passage in meinem Antrag zum Ausdruck bringen, daß es für mich ein Erlebnis war, Freunde kennenzulernen, die viel Verständnis zeigten, die einem zugeneigt waren und die Zuneigung empfingen, sodaß sich ein tiefes menschliches Verhältnis ergab. Ich habe verschiedene Bücher von Hesse gelesen. Diese Bücher wurden mir von meinen Freunden empfohlen. Unter meinen Freunden befinden sich zwei, die den Wehrdienst leisten wollen. Der Rest hat die Absicht, Zivildienstanträge einzubringen. Ich habe am 7. 7. 1979 meine Schule beendet. Vor etwa 3 Wochen bin ich durch eine Woche lang in einem Büro tätig gewesen, doch hat sich schon bald gezeigt, daß mich das nicht freut und deswegen habe ich die Arbeit schon nach einer Woche aufgegeben. Ich wollte seinerzeit auch nicht in die Handelsschule gehen, habe sie aber auf Wunsch meiner Eltern fertiggemacht. Derzeit werde ich von meinem Vater erhalten. Ich suche nach einer anderen Arbeit, etwa in einer Buchhandlung, weil mich das möglicherweise interessieren könnte. Allenfalls werde ich eine Krankenpflegerschule besuchen, doch kann ich das noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich bin bisher bei keiner Organisation gewesen, die sich mit irgendwelchen karitativen Dingen befaßt oder den Gedanken der Gewaltlosigkeit vertritt. Seit etwa 14 Tagen verdiene ich mir durch Zettelaustragen ein Taschengeld, in meiner Freizeit bin ich viel mit Freunden zusammen. Es waren keine besonderen Anlässe, die mich zu einer gewaltlosen Einstellung gebracht haben. Es war ganz einfach die Gehässigkeit, die bestand und die ich nicht ertragen konnte. Ich habe nach einer Woche bereits meine Bürotätigkeit aufgegeben, weil ich mir sagte, daß es nicht sinnvoll ist, schon mit 18 Jahren eine Tätigkeit fortzusetzen, an der man keinerlei Freude hat. Ich bin durch das Arbeitsamt vermittelt worden und habe mich auch jetzt wieder beim Arbeitsamt gemeldet. Meine Eltern haben der Aufgabe der Bürotätigkeit zugestimmt. Mein Vater ist KFZ-Händler. Zur Sanität möchte ich nicht, weil diese auch zum Bundesheer gehört. Ich glaube schon, daß man Soldaten helfen soll, doch sollen das Leute machen, die eine andere Einstellung haben. Mit meiner Einstellung zur Frage der Gewaltanwendung kann man das nicht."

2. Mit Bescheid vom 31. Oktober 1979 wies die ZDK den Antrag unter Berufung auf §2 Abs1 und §6 Abs1 ZDG ab. Sie begründete ihre Entscheidung nach einer zusammenfassenden Wiedergabe des Vorbringens im schriftlichen Antrag und in der mündlichen Senatsverhandlung im wesentlichen folgendermaßen:

Der Senat sei bei Würdigung des vorgebrachten Sachverhaltes und des vom Bf. in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks zu der Ansicht gelangt, daß seine Behauptung, bei Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, nicht glaubhaft sei. Seine Ausführungen ließen ihn als einen noch unausgereiften schwärmerischen jungen Menschen erkennen, der sein Leben nach eigenen Auffassungen gestalten wolle; sie ließen jedoch nicht auf eine gefestigte innere Einstellung schließen, derzufolge der Bf. bei Anwendung von Waffengewalt in Gewissensnot geraten würde. Wenngleich die gewaltlose Landesverteidigung - die sich nach den vom Bf. in der Verhandlung geäußerten Vorstellungen allerdings primär gegen die eigene Regierung richte - in seiner Gedankenwelt existiere, so habe er sich doch ersichtlich mit den damit verbundenen Problemen nur am Rande befaßt, sodaß diesbezüglich von einer gesicherten Einstellung keine Rede sein könne. Da der Bf. im übrigen aber auch keinerlei Aktivitäten gesetzt habe, die als Ausdruck der von ihm behaupteten Gesinnung zu werten seien, sei eine solche von ihm auch auf diese Weise nicht glaubhaft gemacht worden.

3. Gegen den Bescheid der ZDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes liegt dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 9549/1982). All dies trifft im vorliegenden Fall jedoch nicht zu.

Der Bf. behauptet der Sache nach eine unrichtige Beurteilung seines Vorbringens im materiellen Bereich, doch geht sein Vorwurf ins Leere. Denn die belangte ZDK zog nicht in Zweifel, daß er einen an sich tauglichen Gewissensgrund geltend machte, sondern erachtete es lediglich als nicht glaubhaft, daß der Antragsteller im Falle der Wehrdienstleistung in schwere Gewissensnot geriete.

Wenn die Kommission es in diesem Zusammenhang für den Bf. als nachteilig wertete, daß er keine Aktivitäten gesetzt habe, die als Ausdruck seiner Gesinnung zu beurteilen wären, so befindet sie sich damit in Widerspruch zu dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs schon mehrmals betonten Gedanken, daß eine den materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG entsprechende Einstellung auch bei Personen vorliegen kann, die keine Neigung besitzen, ihre Auffassungen öffentlichkeitsbezogen zu bekunden (zB VfSlg. 9243/1981 S 194). Diese verfehlte Auffassung der bel. Beh. fällt hier jedoch nicht ins Gewicht, weil es sich nur um eines unter mehreren für die Meinungsbildung maßgeblichen Argumente, nicht aber um einen für das Ergebnis der getroffenen Entscheidung essentiellen Teil der behördlichen Erwägungen handelt.

Im übrigen enthalten die Beschwerdeausführungen nur den Vorwurf von Verfahrensmängeln bei der Würdigung des Parteienvorbringens sowie der Parteiaussage des Bf., tun aber nicht dar, warum der Behörde bei dieser Würdigung von Bescheinigungsmitteln ein gravierender, in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre. Wenn die ZDK den Bf. im Hinblick auf sein Lebensalter zum Zeitpunkt der Senatsverhandlung von weniger als 18 Jahren, den Inhalt und die Art seines Vorbringens als einen "unausgereiften, schwärmerischen Menschen" beurteilte und daraus den Schluß zog, daß eine gefestigte innere Einstellung nicht glaubhaft sei, so widerspricht diese Ansicht weder der Lebenserfahrung noch den Gesetzen des logischen Denkens. Entgegen der in der Beschwerde verfochtenen Auffassung liegt hier eine durchaus individuelle Wertung des Bf. und keineswegs eine vorbehaltlose, junge Antragsteller schlechthin betreffende Meinung vor. Der Hinweis auf die Praxis der Kommission in anderen Fällen ist belanglos, weil es nur darauf ankommt, ob in der vorliegenden Sache eine am Gesetz ausgerichtete Entscheidung getroffen wurde. Auch die Kritik an der Auffassung der ZDK greift nicht durch, daß sich der Bf. mit den Problemen der gewaltlosen Landesverteidigung nur am Rande befaßt habe. Selbst wenn die Behörde sein diesbezügliches Vorbringen unrichtig gewertet haben sollte, läge hierin kein krasser Verfahrensverstoß im schon dargelegten Sinn.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß eine Verletzung des geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht stattfand.

2. Im Beschwerdeverfahren kam auch nicht hervor, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt oder daß von der bel. Beh. eine rechtswidrige generelle Norm angewendet worden wäre.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

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