JudikaturVfGH

B279/80 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
30. September 1985

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. begehrte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (in der für diesen Beschwerdefall maßgebenden Fassung vor der Nov. BGBl. 496/1980; im folgenden: ZDG), seine Befreiung von der Wehrpflicht und führte begründend aus:

"Ich, K R, bekenne mich zur Republik Österreich, meinem Vaterlande.

Ich lehne die Ableistung des Wehrdienstes ab, weil mich dies in schwere Gewissensnot bringen würde.

Meine höchste Achtung gehört dem menschlichen Leben, ohne Unterschied, welchen Alters, welchen Geschlechtes und welcher Nationalität. Aus eben dieser Achtung heraus genießt menschliches Leben, darüber hinaus dessen Förderung, Erhaltung und Verschönerung, sein 'lebenswerter machen' also, absoluten Vorrang gegenüber sämtlichen wie immer gearteten anderen Erwägungen. Politische oder wirtschaftliche Interessen, welcher Art und zu wessen Nutzen auch immer, reihe ich in jedem Falle in ihrer Priorität stets nach der Erhaltung und Pflege menschlichen Lebens.

Gerade als österreichischer Staatsbürger erscheinen mir Gesundheit und Wohlbefinden eines jeden einzelnen Menschen als so besonders wichtig, daß das Leben nicht nur gewährleistet, sondern auch zur Freude wird.

Meinen obgenannten Überlegungen entstammt nicht zuletzt mein Bestreben, in meinem persönlichen Bekanntenkreis Hilfe und Mithilfe, aber auch Rat und Trost zu spenden. Meine Mitmenschen wissen, daß ich nicht nur gerne, sondern auch prompt helfe.

Der Dienst am Nächsten ist mir längst nicht nur zur Selbstverständlichkeit, sondern zur Freude geworden.

Wenn ich mir nun vorstelle, meinen ureigensten Werten und Vorstellungen zuwiderzuhandeln und gar im Kriegsfalle auch noch zur Waffe greifen zu müssen, so muß ich sagen, daß ich das einfach nicht kann!

Die Erziehung durch meine Eltern war aus folgenden Gründen gegen Gewalt ausgerichtet:

Mein Großvater väterlicherseits fiel 1920 bei den Abwehrkämpfen in Kärnten und mein Großvater mütterlicherseits im 2. Weltkrieg in Rußland.

Meine Eltern haben mich stets zur Toleranz und zum Wohlwollen anderen Mitmenschen gegenüber erzogen, und sie waren immer ein sich zur Menschlichkeit bekennendes Vorbild.

Meinem Wunsche würde es entsprechen, meinen Zivildienst beim Postamt 5020 Salzburg leisten zu können, weil ich dann in Salzburg wohnen könnte, was für mich eine bedeutende Kostenersparnis bedeutet.

Sollte sich dies nicht verwirklichen lassen, so hätte ich gerne meinen Zivildienst in Graz (vielleicht ebenfalls bei der Post) geleistet."

Nach Erhebungen über die Person des Antragstellers führte die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) eine mündliche Verhandlung durch, in welcher er sich auf seinen schriftlichen Antrag bezog und weiters folgendes vorbrachte:

"Ich wurde bereits 1971 gemustert, damals habe ich keinen Antrag auf Befreiung vom Dienst mit der Waffe gestellt, weil in den Medien die Idee des Zivildienstes 'geisterte' und ich mir dachte, daß ich dann nach Beendigung meines Studiums um den Zivildienst ansuchen kann. Das war im wesentlichen auch der Grund dafür, warum ich nach dem Inkrafttreten des Zivildienstgesetzes bis zur Beendigung meines Studiums im Juli 1979 Aufschubanträge nach dem Wehrgesetz und keinen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht stellte. Im übrigen war ich der Meinung, daß das Bundesheer ohnedies für die Entscheidung der Frage, ob man Wehrdienst oder Zivildienst leisten muß, zuständig ist, weshalb ich mich mit meinen Eingaben grundsätzlich an dasselbe wendete.

Meine Hilfeleistung ist im wesentlichen auf meinen nicht allzu kleinen Bekanntenkreis beschränkt. So führe ich mit einem depressiven Bekannten (W R, G, glaublich K-Straße wh.), der meine Gespräche braucht, Unterhaltungen, die für ihn wesentlich sind, auch betreue ich eine 82jährige Frau (Frau Dr. G G, G, nähere Anschrift unbekannt), indem ich Besuche bei ihr und Besorgungen für sie mache. Einen Nachweis für diese Tätigkeit besitze ich nicht, da ich von niemandem Bestätigungen für erbrachte Hilfeleistungen verlange.

Das Postamt Graz habe ich als Einrichtung, bei der ich Dienst versehen möchte, genannt, weil man mir erklärt hat, daß man bei der Post am schnellsten als Zivildiener unterkommt, während es bei den sonstigen Einrichtungen in Graz und Salzburg längere Wartezeiten gibt. Aus beruflichen Gründen wäre es mir wesentlich, den Zivildienst so bald als möglich zu absolvieren. Wenn das bei einer anderen Einrichtung gleichfalls so schnell möglich ist, stimme ich jeder anderen Verwendung zu.

Im Falle einer Abweisung meines Antrages würde ich einem Einberufungsbefehl, selbst wenn dieser auf die Sanitätstruppe lauten würde, nicht Folge leisten. Ich würde die strafrechtlichen Folgen eines solchen Verhaltens auf mich nehmen.

Im Falle einer Aggression würde ich mich an einer sozialen Verteidigung des Landes insofern beteiligen, als ich u.a. Gespräche sowohl mit dem Aggressor als auch mit der hiesigen Bevölkerung suchen würde. Ein bißchen bin ich auf diesem Gebiet schon jetzt tätig, weil ich Plasmaspender bin und den Ertrag Amnesty International überlasse. Bei einer Organisation arbeite ich nicht mit, weil ich derzeit dazu keine Möglichkeit habe. Da ich auch zeitintensive Studien betrieb (Mineralogie und Chemie), hatte ich auch während meines Studiums hiefür keine Zeit."

2. Mit Bescheid vom 27. März 1980 wies die ZDK den Antrag unter Berufung auf §2 Abs1 und §6 Abs1 ZDG ab. Sie begründete ihre Entscheidung nach Hinweis auf das Vorbringen im schriftlichen Antrag und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendermaßen:

Nach Ansicht des Senates habe der Bf. durch seine Ausführungen nicht glaubhaft gemacht, daß er bei Ableistung des Wehrdienstes in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Unbeschadet der Tatsache, daß er sich gelegentlich anderer Menschen annehme - der Senat habe seinen diesbezüglichen, allerdings durch nichts unterlegten Behauptungen Glauben geschenkt -, habe er den Senat keineswegs davon zu überzeugen vermocht, daß er Gewaltanwendung aus einer gesicherten Überzeugung heraus grundsätzlich ablehne. Der Bf. habe nämlich eine derartige Geisteshaltung durch sein bisheriges Verhalten keineswegs unter Beweis gestellt. Vielmehr deute die Tatsache, daß er noch 1976, also nach dem Inkrafttreten des Zivildienstgesetzes um Aufschub des Wehrdienstes (allerdings fast bis zur Erreichung des 28. Lebensjahres, da danach ein Aufschub gesetzlich nicht mehr zulässig sei) angesucht habe, auf eine bei ihm (ansatzweise) vorhandene Bereitschaft zur Wehrdienstleistung hin. Die Behauptung des Bf., er hätte schon 1971 (bei seiner Musterung) an die Leistung des Zivildienstes gedacht, sei nicht nur wegen des bei dieser Gelegenheit geäußerten Wunsches um Zuweisung zu einer bestimmten Waffengattung (Versorgung oder Flieger) nicht besonders glaubhaft, sondern auch im Hinblick auf den noch im Jahr 1976 gestellten Aufschubantrag, der bei der von ihm behaupteten Einstellung (und seinem Bildungsgrad) doch nicht ganz verständlich sei. Dazu komme noch, daß der von ihm nunmehr bezüglich der Zivildienstleistung geäußerte Wunsch (Zuweisung zur Post) und die hiefür gegebene Begründung keineswegs darauf schließen lasse, daß ihm, wie er im Antrag ersichtlich übertreibend anführe, die Erbringung sozialer Dienstleistungen geradezu ein Bedürfnis sei. Die diesbezüglichen Angaben des Bf. ließen vielmehr sehr rationale und selbstsüchtige Überlegungen (und keine besonderen Ambitionen zu sozialen Diensten iS praktizierter Nächstenliebe, wie sie bei Richtigkeit seiner Behauptungen im Antrag zu erwarten wären) erkennen. Da im übrigen sein Vorbringen auch sonst nicht überzeugend gewirkt habe, sei mangels Glaubhaftmachung von schwerwiegenden Gewissensgründen sein Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht abzuweisen gewesen.

3. Gegen den Bescheid der ZDK richtet sich die vorliegende VfGH-Beschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung könnte gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes nach der Lage dieses Beschwerdefalls nur stattgefunden haben, wenn der belangten ZDK wesentliche verfahrensrechtliche Verstöße in bezug auf die dem Antragsteller obliegende Glaubhaftmachung (Bescheinigung) der behaupteten Gewissensgründe unterlaufen wären (zB VfSlg. 8787/1980). Die in diese Richtung gehenden Beschwerdevorwürfe treffen jedoch im Ergebnis nicht zu.

a) Der Bf. kritisiert die an sein Ansuchen um Aufschub des Wehrdienstantrittes anknüpfende Argumentation der bel. Beh. zwar an sich zu Recht, mit welcher ihm der Sache nach die verhältnismäßig späte Einbringung seines Antrages auf Wehrpflichtbefreiung nachteilig angerechnet wird. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß es bei der Würdigung des Parteienvorbringens sowie der Parteiaussage nicht entscheidend sein könne, wann der Antragsteller von dem ihm zustehenden Recht, einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht einzubringen, Gebrauch macht; es komme auf die Glaubhaftmachung der Gewissensgründe und nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Der Zeitpunkt der Antragstellung sei zwar nicht unter allen Umständen ohne jegliche Bedeutung, doch könne es einem Antragsteller nicht zum Nachteil gereichen, wenn er etwa im Hinblick darauf, daß der Antritt des Grundwehrdienstes aufgeschoben war, keine Veranlassung zur alsbaldigen Antragstellung gefunden habe (VfSlg. 9356/1982). Der Gerichtshof bleibt bei dieser Auffassung, die entsprechend für den vorliegenden Fall zutrifft. Die demnach abzulehnende Ansicht der bel. Beh. fällt hier jedoch nicht ins Gewicht, weil es sich nicht um einen für das Ergebnis der getroffenen Entscheidung essentiellen, unverzichtbaren Teil der behördlichen Erwägungen handelt.

b) Mit den übrigen Beschwerdevorwürfen lastet der Bf. der belangten ZDK zum einen Teil eine allenfalls unrichtige, keineswegs aber gravierend fehlerhafte Würdigung seines Vorbringens und seiner Parteiaussage an, und zum anderen Teil ein von anderen Fällen abweichendes Vorgehen. Wenn die Zivildienstbehörde aus dem Wunsch des Bf., der Postverwaltung zur Zivildienstleistung zugeteilt zu werden, den Schluß zog, daß seine Behauptung nicht glaubhaft sei, die Erbringung sozialer Dienstleistungen sei ihm geradezu ein Bedürfnis, so mag diese Folgerung verfehlt sein; sie widerspricht aber (selbst wenn man berücksichtigt, daß die Äußerung eines Zuteilungswunsches durchaus freisteht) weder der Lebenserfahrung noch den Gesetzen des logischen Denkens und ist daher nicht als ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler zu werten. Wie die Behörde im Fall des vom Bruder des Bf. eingebrachten Befreiungsantrages entschied und wie sie in anderen Fällen soziale Aktivitäten des jeweiligen Antragstellers wertete, ist bloß für diese anderen Rechtssachen, nicht aber für die Beurteilung des vorliegenden Beschwerdefalles von Belang, der als solcher am Gesetz gemessen werden muß.

2. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß eine Verletzung des geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung nicht stattfand. Da im Beschwerdeverfahren weiters weder die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, war die Beschwerde abzuweisen.

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