B260/80 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bf. beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (idF vor der Nov. BGBl. 496/1980; im folgenden: ZDG), seine Befreiung von der Wehrpflicht und führte begründend aus:
"Ich, W H, wurde als Sohn des Ehepaares O und E H am 13. Juli 1961 geboren. Meine Eltern übten in keiner Weise autoritäre Gewalt gegen mich aus. Es wurde weder in meiner Kindheit noch in der Zeit als heranwachsender Jugendlicher in irgend einer Art eine körperliche Züchtigung als Erziehungsmethode gegen mich angewendet. Man lehrte mich, anderen Menschen verständnisvoll zu begegnen, andere verstehen zu lernen und zu akzeptieren, gleich welcher Nationalität, Religion, Hautfarbe oder Lebensauffassung sie seien. Ich wurde nie dazu erzogen, mich gegen einen Mitmenschen rücksichtslos oder gar gewalttätig zu verhalten.
Durch die eindrucksvollen und oft erschütternden Schilderungen meiner Großeltern, die den 1. und 2. Weltkrieg miterlebt und mitgelitten haben, kam ich zur Überzeugung, daß durch Gewalt, gleich welcher Art und wie immer sie gerechtfertigt wird, keine Probleme gelöst oder aus der Welt geschaffen werden. Im Gegenteil, es werden nur größere Probleme entstehen, die immer an Ausmaß zunehmen, die immer mehr eskalieren. Der Krieg, der das totale Chaos, die ganze Brutalität, die Perversion, deren Menschen in solch einer Situation fähig sind, in sich birgt, ist menschenunwürdig.
Ich kann nicht leugnen, daß ich nie ein besonders religiöser Mensch, im allgemein gebräuchlichen Sinn, gewesen bin. Weiters bin ich kein aktives Mitglied irgendeiner kirchlichen Gemeinde. Jedoch glaube ich daran, daß der Mensch nicht alles in seiner Existenz erklären oder bestimmen kann. Nicht das Bekenntnis zu irgendeiner kirchlichen Institution, sondern eine demütige Einstellung gegenüber dem Leben, der Existenz und dem menschlichen Geist ist wichtig. Dinge also, die durch keinen Menschen erfaßt werden können.
Daher lehne ich, nach reiflicher Überlegung und intensiver Bewußtseinsbildung, aus folgenden Gründen die Anwendung von Gewalt ab:
Pkt. 1) Weil ich der festen Überzeugung bin, daß das Leben eines jeden Menschen für andere unantastbar sein soll. Ich bin daher weder in der Lage noch dazu fähig, gezielte und bewußte Gewalt gegen andere, und sei es auch nur in der Verteidigung, anzuwenden. Ich berufe mich dabei auf die UNO-Menschenrechtscharta, verkündet am 10. Dezember 1948, in der es im Artikel 3 heißt:
'Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit seiner Person.'
Pkt. 2) Ich bin der Auffassung, daß eine passive Verteidigung bei weitem menschlicher, aber auch wirkungsvoller sein könnte. Diese passive Verteidigung könnte bei Einmarsch eines Aggressors durch moralische Beeinflussung der einmarschierten Soldaten, durch Protestmärsche, durch Verweigerung des Gehorsams Österreich erfolgreich verteidigen. Daß diese Art von Verteidigung keine Utopie ist, zeigen Beispiele in der jüngsten Geschichte. In der CSSR marschierten am 21. August 1968 russische Truppen ein. Die Bevölkerung wehrte sich nicht mit Gewalt, sondern versuchte durch Maßnahmen wie Sitzstreiks vor Panzern oder Austeilen von Flugblättern die Kampfmoral der einmarschierten Truppe zu demoralisieren und verweigerte die Zusammenarbeit.
In den USA führte der Pastor M. Luther King Ende der 60er Jahre den Kampf für die Gleichberechtigung der Neger in den USA gewaltlos. Auch er und seine Anhänger setzten ihre Forderungen durch Protestmärsche und Massenkundgebungen durch und kamen damit zum Ziel.
Pkt. 3) Ich kann und will meine Pflicht als Staatsbürger nicht mit der Waffe erfüllen, sondern in einer Weise, die nützlicher und menschenwürdiger ist, als sich für die Tötung von Menschen ausbilden zu lassen. Der Zivildienst bietet sich mir als geeignete Einrichtung an, Dienste für kranke, verletzte oder behinderte Menschen zu leisten. Durch diesen Dienst an unserem Nächsten kommen wir einer gewaltfreien und menschlicheren Gesellschaft, in der man den anderen achtet, hilft und ihn zu verstehen versucht, näher.
All diese hier ausgeführten Überlegungen kommen nicht aus einer konfessionellen Überzeugung, sondern sind das Produkt einer langen und intensiven Bewußtseinsbildung.
Ich bin der festen Überzeugung, daß nur in einer menschlicheren, offeneren und verständnisvolleren Gesellschaft, die fernab der Gewalt ihre Ziele verfolgt, eine friedliche und fruchtbare Verständigung zwischen den Völkern entstehen kann."
Nach Erhebungen über die Person des Antragstellers, die nichts Nachteiliges ergaben, führte die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) eine mündliche Verhandlung durch. In dieser bezog sich der Bf. auf seinen schriftlichen Antrag und brachte weiters vor:
"Ich glaube, daß die Achtung des Lebens der Mitmenschen etwas Religiöses ist und lehne aus dieser Sicht heraus die Anwendung von Waffengewalt unbedingt ab. Ich habe die im Antrag bekundete Einstellung wiederholt in der Schule im Rahmen des Religionsunterrichtes zum Ausdruck gebracht und habe aus Anlaß von solchen Diskussionen durch meinen Religionslehrer erfahren, daß es eine Arbeitsgemeinschaft für Zivildienst, Gewaltfreiheit und soziale Verteidigung gibt. Ich bin, weil ich mich schon immer für Gewaltfreiheit interessierte, schon 1979 der Vereinigung beigetreten und lege zum Nachweis dafür ein Schreiben vom 18. 2. 1980 vor. ...
Ich arbeite in dieser Arbeitsgemeinschaft auch insofern mit, als ich an einer Unterschriftenaktion, die auf eine Änderung des ZDG abzielte, teilgenommen habe. Bestätigungen von Menschen, denen ich geholfen habe, kann ich nicht beibringen, weil man solche Bestätigungen in dieser Weise nicht verlangt, wohl aber kann ich durch Vorlage eines Blutspenderausweises nachweisen, daß ich freiwillig und unentgeltlich Blutspender bin.
Ich habe einmal an einer solchen Aktion teilgenommen, und zwar an meinem vorigen Geburtstag. Seither konnte ich mich nicht mehr als Blutspender betätigen, weil zwischen der 1. und der 2. Blutabnahme ein halbes Jahr vergangen sein muß.
Ich trete für ein gewaltloses Verteidigen des Landes in Form von Streiks und dgl. ein, eine militärische Verteidigung des Landes lehne ich grundsätzlich ab. Meiner Meinung nach ist Österreich auch nicht zu einer solchen verpflichtet. Im übrigen müßte man, wenn eine solche wirklich geschehen sollte, das Gesetz entsprechend abändern, weil ein militärischer Widerstand meiner Meinung nach keinesfalls zielführend ist.
Den Unterschied zwischen Sanität und Rotem Kreuz erblicke ich darin, daß die Sanität für die bewaffnete Truppe zu arbeiten hat, außerdem erfordert die Zugehörigkeit zur Sanität eine Grundausbildung, die ich nicht auf mich nehmen will, weil ich keine Waffe in die Hand nehme.
Das besagt aber nicht, daß ich als Rotkreuzhelfer nicht auch einem verwundeten Soldaten helfen würde. Wenn mein Leben angegriffen werden sollte, werde ich es verteidigen. Wenn eine mir nahestehende Person angegriffen würde, würde ich sie auch verteidigen, allerdings ohne Gewalt. Den Unterschied sehe ich darin, daß die zum Schutze des eigenen Lebens unternommeine Handlung im Affekt geschieht.
Ich habe mich bei der Unterschriftensammlung auf der Straße betätigt, ich habe dort Fremde angesprochen. Es war das am Ring; auch in der Schule habe ich solche Unterschriften gesammelt, und zwar etwa einen halben Bogen.
In meiner Freizeit betreibe ich Sport, auch lese ich gerne, weiters nehme ich an den offenen Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft für ZD teil."
2. Mit Bescheid vom 21. Feber 1980 wies die ZDK den Antrag unter Berufung auf §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG ab. Sie begründete ihre Entscheidung nach Hinweis auf das Vorbringen im schriftlichen Antrag und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendermaßen:
Die ZDK sei bei Würdigung des vorgebrachten Sachverhaltes und des vom Bf. in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks (eines noch ungereiften Menschen, der etwas oberflächlich, aber sehr elegant noch nicht ganz aufgearbeitetes fremdes Gedankengut - zB die Menschenrechtsdeklaration - wiedergebe) zu der Ansicht gelangt, daß die von ihm vorgebrachten Argumente nicht dazu geeignet seien, glaubhaft zu machen, daß die behauptete Ablehnung von Waffengewalt gegen andere Menschen das Resultat einer gefestigten inneren Einstellung ist. Eine solche Einstellung werde durch ein in seinem Alltag gesetztes Verhalten nicht in einem solchen Ausmaß reflektiert, daß von einer Glaubhaftmachung schwerwiegender Gewissensgründe gesprochen werden könnte. Es sei dem Bf. - wie sich bei der Verhandlung gezeigt habe - die Verpflichtung Österreichs zur Verteidigung seiner Neutralität mit allen zu Gebote stehenden Mitteln nicht bekannt, was wohl von einem aktiven und engagierten Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Zivildienst, Gewaltfreiheit und soziale Verteidigung erwartet werden könnte; demnach könnten sein Interesse und seine Tätigkeit für diesen Verein nicht besonders ambitioniert sein, was sich im übrigen aus seinen eigenen Angaben über eine einmalige Beteiligung an einer Unterschriftensammlung und über die gelegentliche Teilnahme an öffentlichen Sitzungen zwanglos ergebe. Auch habe die Erklärung des Bf., im Falle eines Angriffs das eigene Leben bloß im Affekt zu verteidigen, wobei er eine solche Affekthandlung zum Schutz anderer Personen von vornherein ausgeschlossen und angegeben habe, zur Verteidigung eines anderen nur ohne Gewalt bereit zu sein, den Eindruck vermittelt, daß seine Angaben über seine Einstellung zum Leben von anderen und gegenüber Gewalt von Zweckmäßigkeitsüberlegungen wesentlich bestimmt und auf die Erzielung eines bestimmten, von ihm gewünschten Eindrucks (von seiner besonderen Friedfertigkeit) bei den Mitgliedern des Senates abgestellt gewesen sei.
3. Gegen den Bescheid der ZDK richtet sich die vorliegende VfGH-Beschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes liegt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 9549/1982). Wie der Gerichtshof ebenfalls schon ausgesprochen hat (s. zB 9356/1982 mit Bezugnahme auf VfSlg. 9243/1981 und die dort enthaltenen weiteren Judikaturhinweise), ist ein wesentlicher Verstoß gegen §2 Abs1 ZDG im verfahrensrechtlichen Bereich insbesondere dann gegeben, wenn der Behörde ein wesentlicher Fehler im Bereich der Beweiswürdigung - einschließlich der Würdigung der Parteiaussage des Antragstellers als Bescheinigungsmittel - unterläuft oder wenn das Ermittlungsverfahren infolge des Außerachtlassens bedeutsamer Bescheinigungsmittel - einschließlich der Parteiaussage des Antragstellers - völlig unzulänglich geblieben ist. Entgegen den Beschwerdebehauptungen ist der belangten ZDK jedoch weder ein Fehler im materiell-rechtlichen Bereich noch ein in die Verfassungssphäre reichender Verstoß gegen Verfahrensvorschriften unterlaufen.
a) Wenn der Bf. die Anwendung des §2 Abs1 ZDG durch die bel. Beh. dahin kritisiert, daß sie eine "gefestigte innere Einstellung" zur behaupteten Ablehnung von Waffengewalt gegen Menschen verlange, ist er nicht im Recht. Er ist hier auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs (zB VfSlg. 9548/1982) hinzuweisen, aus der hervorgeht, daß unter einer Gewissensüberzeugung stets nur eine gefestigte Überzeugung verstanden werden kann. Nichts anderes als dieses Erfordernis brachte die bel. Beh. jedoch zum Ausdruck, wenn sie von einer "gefestigten inneren Einstellung" sprach.
b) Der Umstand, daß der Bf. seinen Antrag auf Wehrpflichtbefreiung sehr früh einbrachte, kann ihm entgegen seiner Meinung nicht zugute kommen. In ständiger Judikatur lehnte der Gerichtshof es ab, daß aus einer verhältnismäßig späten Antragseinbringung (zB erst, nachdem der Wehrdienstantritt längere Zeit hindurch aufgeschoben worden war) allgemeine, für den Antragsteller nachteilige Schlüsse gezogen werden; es komme auf die Glaubhaftmachung der Gewissensgründe und nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung an (zB VfSlg. 9356/1982). Grundsätzlich das gleiche muß aber auch im Fall einer sehr frühen Antragseinbringung gelten.
c) An sich berechtigt erscheint dem VfGH jedoch die Kritik des Bf. am Argument der bel. Beh., daß seine (behauptete) Einstellung durch ein im Alltag gesetztes Verhalten nicht in einem zureichenden Maß reflektiert werde. Der Gerichtshof betonte nämlich in seiner Judikatur schon mehrmals, daß eine den materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG entsprechende Einstellung auch bei Personen vorliegen kann, die keine Neigung besitzen, ihre Auffassung öffentlichkeitsbezogen zu bekunden (zB VfSlg. 9243/1981 S 194). Der VfGH bleibt bei dieser Auffassung, die entsprechend für den vorliegenden Beschwerdefall zutrifft. Die demnach abzulehnende Ansicht der bel. Beh. fällt hier jedoch nicht ins Gewicht, weil es sich nicht um einen für das Ergebnis der getroffenen Entscheidung essentiellen, unverzichtbaren Teil der behördlichen Erwägungen handelt.
d) Mit den übrigen Beschwerdevorwürfen, welche das Verständnis der vom Bf. dargelegten Ansicht über die militärische Landesverteidigung, die Schlußfolgerungen aus seiner Erklärung, Affekthandlungen zum Schutz anderer Personen von vornherein auszuschließen, sowie den Umstand betrafen, daß auf die behauptete gewaltfreie Erziehung seiner Person nicht Bedacht genommen wurde, lastet der Bf. der belangten ZDK bloß eine unrichtige Würdigung seines Parteienvorbringens und seiner Parteiaussage an, zeigt aber keinen gravierenden und darob in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmangel auf, welcher nach der ständigen Judikatur des Gerichtshofs bloß in einer der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechenden Beweiswürdigung (iS der Würdigung von Bescheinigungsmittel verstanden) bestünde.
2. Im Beschwerdeverfahren kam auch nicht hervor, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre oder daß eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm stattgefunden habe.
Die Beschwerde war sohin abzuweisen.