B446/80 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bf. beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (in der für diesen Beschwerdefall maßgeblichen Fassung vor der Nov. BGBl. 496/1980; im folgenden: ZDG), seine Befreiung von der Wehrpflicht und führte begründend aus:
"1.) Ich, Joachim Gunter H., kann es vor meinem Gewissen nicht verantworten, das Töten oder Vernichten von Menschen zu erlernen und als Tötungsinstrument ausgebildet zu werden. Es ist mir bei Bewußtsein völlig unmöglich, einen Menschen oder eine einen Menschen stellvertretende Pappfigur an 'tödlichen' Stellen mit Schüssen zu durchbohren oder sonstige Vernichtungsmaschinerien zu betätigen.
2.) Prägend wirkten auch zwei private Studienreisen in die Türkei mit ihren Truppenmassierungen an den Dardanellen, der entsetzlichen Armut im Landesinneren und der Mißhandlung z.T. unterernährter Jugendlicher durch Militärstreifen.
3.) Nicht zuletzt weichenstellend war die Unterweisung im christlichen Glauben in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde Graz.
4.) Außerdem ehrt es die Republik Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern, ihren Beitrag zum Frieden dadurch zu leisten, daß sie, obwohl sie laut Staatsvertrag ein Heer erhalten muß, wenigstens die gesetzlichen Grundlagen für den Zivildienst geschaffen hat und sogar die große Bertha von Suttner auf der Eintausendschilling-Banknote abgedruckt hat!
5.) Eine Ablehnung meines Ansuchens würde mich in große Gewissensnot stürzen und ich würde mit Sicherheit die Annahme einer Waffe verweigern müssen."
Nach Erhebungen über die Person des Antragstellers führte die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) eine mündliche Verhandlung durch, in welcher er weiters vorbrachte:
"Ich beziehe mich auf den Inhalt meines Antrages vom 26. 10. 1979 und gebe ergänzend dazu an, daß ich die Anwendung von Waffengewalt einerseits aus humanen und andererseits aus religiösen Gründen grundsätzlich ablehne. Ich glaube, daß der Mensch die Krone der Schöpfung ist und daß demnach niemand das Recht hat, einen anderen zu töten.
... Meiner Meinung ist die Gewissensbildung eine Frage der Zeit und es reift das Gewissen in einem Menschen langsam heran. Derzeit jedenfalls könnte ich bei vollem Bewußtsein auf keinen anderen Menschen schießen und ich lehne solches auch schon in Gedanken ab.
Ich glaube, daß ich diese Einstellung im Grunde schon anläßlich meiner Musterung im Jahre 1969 besessen habe, was sich irgendwie doch schon aus der Tatsache ergibt, daß ich mich damals zur Sanität gemeldet habe.
...
Im Zeitpunkt meiner Musterung habe ich die Möglichkeit, um Befreiung vom Dienst mit der Waffe anzusuchen, nicht gekannt. Ich wußte damals auch nicht, daß man bei der Sanität eine Grundausbildung machen muß.
Ich habe 1972 mein Studium an der Universität Graz (Biologie und Umweltkunde) abgeschlossen und war dann anschließend rund 7 Jahre lang am Gymnasium in Leibnitz als Biologieprofessor tätig. Derzeit unterrichte ich am III. BG. in Graz.
Ich habe nach Beendigung meines Studiums als Lehrer einen unbefristeten Aufschub bekommen und habe daher den Gedanken an das Heer vor mich hergeschoben, weil mich die Gefahr einer Einberufung ohnedies nicht getroffen hat. Das traf auch 1975 noch zu, als das Zivildienstgesetz erlassen worden ist, und ich habe aus diesem Grund auch 1975 keinen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht nach dem Zivildienstgesetz gestellt. Ich wurde erst am 29. 11. 1979 vom Landesschulrat davon in Kenntnis gesetzt, daß meine Befreiung vom Wehrdienst aufgehoben worden ist. Anschließend habe ich den vorliegenden Antrag gestellt.
Ich versuchte, meine Einstellung in meinem Beruf als Lehrer zu verwirklichen. Auch habe ich vor einiger Zeit, nämlich am 22. 5. 1979, in einem Pensionistenheim einen Lieder- und Arienabend gehalten. Ich habe dafür die übliche Entschädigung von S 500,-
bekommen. Vor längerer Zeit habe ich auch für Amnesty International eine größere Spende geleistet. ... Auch bin ich literarisch tätig, und zwar schreibe ich unter anderem Lyrik. Ich habe 1975 ein Stipendium erhalten, und zwar anläßlich eines Lyrikbandes, der den Titel 'Kain und Abel' trug, der allerdings nicht veröffentlicht worden ist.
...
... Ich kann zur Frage, wie ich mich im Falle eines Angriffes auf meine eigene Person verhalten würde, nur in der Weise Stellung nehmen, daß ich sage, ich hoffe, daß mich eine solche Situation beim vollen Bewußtsein nicht trifft, weil ich nicht in der Lage wäre, Gewalt gegen einen anderen anzuwenden. Es gibt im Menschen aber tiefer geschichtete Systeme, die in Zwangssituationen zu einem seinem Wesen widersprechenden Verhalten veranlassen, z.B. im Affekt, und da könnte ich mir nicht vorstellen, wie ich im Affekt handeln würde.
In meiner Freizeit arbeite ich literarisch, in diese Arbeiten fließen Aspekte der Gewaltlosigkeit bzw. Gewalt ein.
Die von mir im Antrag erwähnten Studienreisen habe ich glaublich 1977 und 1978 unternommen. ...
Gelesen habe ich über die soziale Verteidigung nichts. Ich könnte mir aber vorstellen, daß sie aus dem Sprengen von Brücken, dem Versperren von Wegen und dem Umdrehen von Schildern besteht und sich auch sonst nach den örtlichen Gegebenheiten und den Modalitäten des Angriffes richtet. Jedenfalls dürfte sie nicht in Gewaltanwendung bestehen und könnte durchaus auch in Führen von ständigen Gesprächen mit dem Aggressor geschehen, wie das im Jahre 1968 in der CSSR der Fall gewesen ist.
...
Ich wurde von meiner Direktion von der Aufhebung der Befreiung schon verständigt, bevor ich das Schreiben vom 29. 11. 1979 erhalten habe. Es war demnach die Verständigung durch die Direktion, die meine Antragstellung ausgelöst hat, und nicht, wie oben erwähnt, das Schreiben des Landesschulrates. Möglicherweise wurde ich vorher auch schon vom Militärkommando verständigt. Einberufungsbefehl habe ich jedoch keinen erhalten."
2. Mit Bescheid vom 22. Mai 1980 wies die ZDK den Antrag unter Bezugnahme auf §2 Abs1 und §6 Abs1 ZDG ab. Sie begründete ihre Entscheidung nach Hinweis auf das Vorbringen im schriftlichen Antrag und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendermaßen:
Nach Ansicht des Senates habe der Bf. durch seine Ausführungen nicht glaubhaft gemacht, daß er bei Ableistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde. Der Umstand, daß er sich als Biologielehrer zur Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens bekenne und diese Einstellung allenfalls auch im Unterricht zu erkennen gebe, besage nichts darüber, ob seine Behauptung, Waffengewalt aus einer gefestigten inneren Einstellung abzulehnen, zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft. Darüber gebe auch seine einmalige gesangliche Darbietung in einem Pensionistenheim keinen Aufschluß, zumal diese - wenn auch kärglich - entlohnt worden sei. Daß der Bf. für Amnesty International gespendet habe, habe er durch den auf seine Gattin lautenden Beleg nicht nachweisen können. Daß sich der Bf. bei der Musterung im Jahr 1969 zur Sanität gemeldet habe, überzeuge den Senat nicht, da der zweite Wunsch auf Fliegerabwehrtruppen gelautet habe. Daß die entsprechende Eintragung im Stellungsblatt - einer amtlichen Urkunde - unrichtig sei, was der Bf. behaupte, könne nicht angenommen werden. Einen Beweis in dieser Richtung habe er nicht angetreten. Desgleichen besage auch die Tatsache, daß der Bf. als Kind und als Jugendlicher im christlichen Glauben unterrichtet worden sei, über seine derzeitige Einstellung zum Problem der Gewaltanwendung nichts. Wohl aber müsse sein eigenes Eingeständnis, daß er sich mit dem Gedanken der gewaltlosen Landesverteidigung theoretisch nicht auseinandergesetzt habe und daß er demzufolge den Begriff der sozialen Verteidigung mit eher naiven und unrealistischen Vorstellungen verbinde, die keineswegs seinem sonstigen Bildungsniveau entsprächen, als Hinweis für eine doch nur kursorische Befassung mit diesen Problemen gewertet werden. Auch lasse die Tatsache, daß er nunmehr nach Wegfall des öffentlichen Interesses an seiner Befreiung vom Wehrdienst als Lehrer in Erwartung eines Einberufungsbefehls den Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht eingebracht habe, nicht auf jene Ernsthaftigkeit seines Anliegens schließen, die bei Vorliegen von schwerwiegenden Gewissensgründen zu erwarten sei. Der Antrag sei daher mangels Glaubhaftmachung eines Befreiungsgrundes abzuweisen gewesen.
3. Gegen den Bescheid der ZDK richtet sich die vorliegende VfGH-Beschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung sowie eine Verletzung des Gleichheitsrechtes behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Eine Verletzung des geltend gemachten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung könnte gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nach der Lage des Beschwerdefalles nur stattgefunden haben, wenn der belangten ZDK wesentliche verfahrensrechtliche Verstöße in bezug auf die dem Antragsteller obliegende Glaubhaftmachung (Bescheinigung) der behaupteten Gewissensgründe unterlaufen wären (zB VfSlg. 8787/1980). Die in diese Richtung gehenden Beschwerdevorwürfe treffen jedoch im Ergebnis nicht zu.
a) Wenn der Bf. sich gegen die angebliche Auffassung der bel. Beh. wendet, daß Gewissensgründe zu beweisen und nicht etwa nur glaubhaft zu machen seien, und ihr weiters anlastet, daß sie auf sein umfangreiches Vorbringen nicht näher eingegangen sei, Beweise nicht gewürdigt und seine Parteiaussage außer acht gelassen habe, so gehen diese - vorbehaltlos erhobenen - Vorwürfe ins Leere; sie unterstellen nämlich dem angefochtenen Bescheid einen Begründungsinhalt, den er schlechthin nicht hat.
b) An sich berechtigt erscheint dem VfGH hingegen die Rüge, daß das Zuwarten mit der Einbringung eines Antrages auf Wehrpflichtbefreiung, bis ein Einberufungsbefehl zu erwarten war, nicht auf die erforderliche Ernsthaftigkeit des Anliegens des Bf. schließen lasse. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß es bei der Würdigung des Parteienvorbringens sowie der Parteiaussage nicht entscheidend sein könne, wann der Antragsteller von dem ihm zustehenden Recht, einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht einzubringen, Gebrauch macht; es komme auf die Glaubhaftmachung der Gewissensgründe und nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Der Zeitpunkt der Antragstellung sei zwar nicht unter allen Umständen ohne jegliche Bedeutung, doch könne es einem Antragsteller nicht zum Nachteil gereichen, wenn er etwa im Hinblick darauf, daß der Antritt des Grundwehrdienstes aufgeschoben war, keine Veranlassung zur alsbaldigen Antragstellung gefunden habe (VfSlg. 9356/1982). Der Gerichtshof bleibt bei dieser Auffassung, die entsprechend für den vorliegenden Beschwerdefall zutrifft. Die demnach abzulehnende Ansicht der bel. Beh. fällt hier jedoch nicht ins Gewicht, weil es sich nicht um einen für das Ergebnis der getroffenen Entscheidung ausschlaggebenden Teil der behördlichen Erwägungen handelt.
c) Mit den übrigen Beschwerdevorwürfen, welche die Berücksichtigung des Wunsches bezüglich einer bestimmten Waffengattung anläßlich der Stellung, Schlußfolgerungen aus der Lehrtätigkeit im Fach Biologie, die Wertung der Äußerungen des Bf. über den Begriff der sozialen (Landes )Verteidigung sowie Schlußfolgerungen in bezug auf seine Erziehung im christlichen Glauben betreffen, lastet der Bf. der belangten ZDK bloß eine unrichtige Würdigung seines Parteienvorbringens und seiner Parteiaussage an, zeigt aber keine gravierenden und darob in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmängel auf, welche nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs bloß in einer der Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens verfehlten Beweiswürdigung (iS der Würdigung von Bescheinigungsmitteln verstanden) bestünden.
2. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides, welche sich aus der Sicht dieser Beschwerdesache ergibt, könnte die vom Bf. weiters geltend gemachte Verletzung des Gleichheitsrechtes gemäß der ständigen Judikatur (zB VfSlg. 9474/1982) nur gegeben sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte. Hiefür fehlen aber nach dem Vorgesagten jegliche Anhaltspunkte.
3. Im Beschwerdeverfahren kam auch nicht hervor, daß der Bf. in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre oder daß eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm vorliege.
Die Beschwerde war sohin abzuweisen.