JudikaturVfGH

B273/85 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
21. November 1985

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 3, vom 29. August 1984, Z 136603/1-ZDK/3/84, wurde der von H F unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes (ZDG), BGBl. 187/1974, gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG abgewiesen.

2. Der dagegen von H F erhobenen Berufung gab die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, mit Bescheid vom 23. November 1984, Z 136603/2/ZDOK/2/84, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge.

3. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des H F an den VfGH; der Bf. beantragt die Aufhebung der §§2 Abs1 und 6 Abs2 ZDG wegen Verfassungswidrigkeit unter Hinweis auf Art2 StGG und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

4. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfSlg. 9391/1982; VfGH 12. 3. 1982 B561/81, 24. 11. 1983 B304/83).

2. Die vom Bf. behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 9726/1983) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere iVm. einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung, 9600/1983).

3. Der Bf. "beantragt" zwar die Aufhebung der §§2 Abs1 und 6 Abs2 ZDG als verfassungswidrig, der VfGH geht jedoch davon aus, daß der Bf. die Prüfung dieser Gesetzesstellen auf ihre Verfassungsmäßigkeit von Amts wegen anregen wollte.

4. Das Vorbringen hinsichtlich der Gleichheitswidrigkeit des §2 Abs1 ZDG ist vom Ansatz her verfehlt. §2 Abs1 ZDG ist eine Verfassungsbestimmung. Es ist jedoch von vornherein ausgeschlossen, eine Bestimmung der Bundesverfassung am verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgebot zu messen.

5. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 8787/1980, 9732/1983). Der VfGH hat weiters in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, er könne der ZDOK nach Lagerung der einzelnen Fälle nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Verwaltungsverfahren und des von ihm gewonnenen Eindruckes in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht iS des §6 Abs2 ZDG glaubhaft gemacht wurden (VfSlg. 9573/1982, 9785/1983 unter Hinweis auf Entscheidungen des OGH). Der VfGH sieht im vorliegenden Beschwerdefall keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzurücken. §6 Abs2 ZDG ist im Hinblick auf das vom Bf. geltend gemachte Gleichheitsgebot unbedenklich. Es kann auch keine Rede davon sein, daß die bel. Beh. dem §6 Abs2 ZDG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hätte.

6. Die ZDOK legte im Beschwerdefall dar, weshalb sie der Ansicht anhänge, daß beim Bf. schwerwiegende Gewissensgründe iS des ZDG nicht glaubhaft seien. Entgegen der vom Bf. erkennbar verfochtenen Auffassung unterliefen der bel. Beh. dabei weder materielle noch gravierende prozessuale Rechtsverletzungen, und zwar auch nicht im Bereich der freien Beweiswürdigung des Bescheinigungsmaterials (vgl. dazu VfGH 24. November 1983 B300/83). Ein als grob einzustufender - und so in die Verfassungssphäre reichender - Verfahrensmangel ist den konkreten Umständen nach nicht zu finden. Ein Anhaltspunkt dafür, daß der Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt worden wäre, konnte weder aufgezeigt noch vom VfGH gefunden werden.

7. Abschließend folgt daraus, daß der Bf. in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG bzw. Art2 StGG nicht verletzt wurde.

8. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, insbesondere des nach §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Rechtes, oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

9. Da einesteils die hier maßgebenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt sind, anderenteils ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht offenkundig nicht verletzt wurde, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

10. Der Eventualantrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH gemäß Art144 Abs3 B-VG war abzuweisen; wie sich aus dem Zusammenhalt der §§45 bis 47 und 53 Abs2 ZDG ergibt, handelt es sich nämlich im Hinblick auf die Einrichtung der ZDOK und ihrer Senate als Kollegialbehörde iS des Art133 Z4 B-VG um einen Fall, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (s. VfSlg. 8787/1980).

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