JudikaturVfGH

B936/85 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
03. März 1986

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) vom 22. August 1985 wurde der vom Bf. unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974, (ZDG) gestellte Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach durchgeführter mündlicher Verhandlung - abgewiesen.

Dieser Bescheid wird wie folgt begründet:

"Da die Berufungsbehörde aufgrund des wiederholten Ermittlungsverfahrens zu eigenen Feststellungen gelangt ist, erübrigt es sich, näher auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides einzugehen."

Der Antragsteller und nunmehrige Berufungswerber hat im wesentlichen folgendes vorgebracht:

"Sein Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht vom 11. 2. 1985 war im wesentlichen darauf gestützt, daß er aus moralischer und politischer Überzeugung keine Waffen angreife und wenn jeder so handle, es auch keinen Krieg gebe. Ein wie immer gearteter Militärdienst sei mit seinen Lebensgrundsätzen nicht zu vereinbaren.

In der mündlichen Verhandlung vor der Zivildienstkommission am 14. 5. 1985 ergänzte er, daß er sich nicht vorstellen könne, auf einen ihm unbekannten Menschen zu schießen. Er wisse auch nicht, was er denken würde, wenn er einen Menschen getötet hätte. Sicherlich würde er sich aber Vorwürfe machen. Die zur mündlichen Verhandlung mitgekommene Vertrauensperson G C bestätigte, daß das vom Antragsteller Vorgebrachte dessen Einstellung wiedergebe. Der Antragsteller habe schon oft erklärt, daß er nicht zum Militär wolle.

Der Berufung des G A vom 1. 7. 1985 ist zu entnehmen, daß er eher einen 'Gegner' auf sich schießen lassen, als daß er auf jemanden andern schießen würde. Wenn alle Menschen seine Ansicht hätten, gäbe es weder ein Bundesheer noch Waffen, geschweige denn militärische Auseinandersetzungen. Es laufe seiner tiefsten moralischen und ethischen Überzeugung zuwider, eine Waffe in die Hand zu nehmen oder eine militärische Organisation auch nur zu unterstützen.

In der mündlichen Verhandlung vor der Zivildienstoberkommission am 22. 8. 1985 gab G A als Gewissensgrund lediglich an, 'daß es sein Gewissen nicht zulasse, eine Waffe in die Hand zu nehmen, um andere Menschen zu töten'.

Es sei Aufgabe des österreichischen Bundesheeres, die österreichischen Grenzen zu verteidigen. Er wisse nicht, ob Österreich nach dem Staatsvertrag ein Bundesheer in der derzeitigen Form haben müsse. Er sei jedenfalls dem Bundesheer gegenüber negativ eingestellt. Es brauche keinen Ersatz für das Bundesheer zu geben. Kriege beruhten auf Massensuggestion. Der Patriotismus sei ein künstlich geschaffenes Gefühl. Er könne sich eventuell einen passiven Widerstand, bei dem man Eindringende nicht unterstützt, vorstellen. Er sei leitender Funktionär in der österreichischen Gewerkschaftsjugend und verwies diesbezüglich auf eine vorgelegte Bestätigung. Falls er doch zum Bundesheer eingezogen werden sollte, wäre dies für ihn eine sehr schwere Entscheidung und glaube er, daß er verweigern würde.

Der als Vertrauensperson zur mündlichen Verhandlung mitgekommene G C gab ergänzend zu seinen schon im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Ausführungen an, daß er G A seit dem Jahre 1980 kenne und dieser eine recht friedliche Einstellung habe. Im Rahmen der Lehrlingsschulung sei er für die Abhaltung eines Referates über den Zivildienst eingetreten. Seine Gewissensgründe seien gegeben."

Die Berufung ist nicht begründet.

"Der Rechtsmittelwerber führte während der Berufungsverhandlung - somit im Zuge der Neudurchführung des Beweisverfahrens - nicht an, was als spezifizierte Darlegung schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 Zivildienstgesetz) gewertet werden könnte. Selbst wenn man aber im Gesamtvorbringen des G A in erster und zweiter Instanz Gewissensgründe erkennen will, ist für den Berufungswerber nichts gewonnen, weil es ihm keinesfalls gelungen ist, die in bezug auf seine Gewissenslage aufgestellten Behauptungen glaubhaft zu machen (§6 Abs2 Zivildienstgesetz).

Die mündlichen Darlegungen des G A wirkten nicht als Ausdruck einer auf gründlichen Überlegungen beruhenden gefestigten Einstellung, sondern wie Meinungsäußerungen eines Menschen, der lediglich gegen das Bundesheer und die Wehrpflicht eingestellt ist. Er verwies monoton auf seine Abneigung gegen Waffen, Heer und Krieg, hat sich aber bisher sichtlich mit der gesamten Thematik nur sehr am Rande befaßt. Insbesondere läßt er die spezielle Situation Österreichs - Verpflichtung zur bewaffneten Verteidigung der Neutralität - vollkommen außer acht. Auf alternative Verteidigungsmöglichkeiten in Form eines passiven Widerstandes ging er nur sehr oberflächlich ein. Es genügt nicht, auf eine ethische, moralische und politische Grundhaltung zu verweisen, ohne eine ernsthafte tiefgreifende Auseinandersetzung mit der verfahrensgegenständlichen Problematik erkennen zu lassen.

Bei Beurteilung der Person des Berufungswerbers wurde auch die Aussage seiner Vertrauensperson mitberücksichtigt, jedoch waren deren Angaben nicht geeignet, den in freier Würdigung gewonnenen Eindruck der Kommission entscheidend zu ändern. Ebenso vermochte die sicherlich anerkennenswerte gewerkschaftliche Tätigkeit des G A keinen für eine positive Entscheidung ausreichenden Grund darzustellen.

Mangels Erfüllung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Wehrdienstbefreiung mußte mithin der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

Die ZDOK als bel. Beh. legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden, und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch zB VfSlg. 10552/1985).

Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfGH 27. 9. 1985 B396/84) nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen. Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach, zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2. a) Die ZDOK gelangte - nach dem offenkundigen Sinn- und Aussagegehalt der Begründung des angefochtenen Bescheides insgesamt - zum Ergebnis, dem Bf. sei die im §2 Abs1 ZDG vorausgesetzte Glaubhaftmachung, daß er die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen aus Gewissensgründen ablehne, und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würde, nicht gelungen.

Auf die Darlegungen in der Beschwerde, die darauf abzielen, nachzuweisen, daß der Bf. im Administrativverfahren eine taugliche Behauptung iS des §2 Abs1 ZDG aufgestellt habe, ist nicht weiter einzugehen, da die ZDOK vom Vorliegen einer solchen Behauptung - zumindest in eventu - ausgegangen ist.

b) Der Bf. rügt aber auch, daß der Behörde wesentliche Verstöße im verfahrensrechtlichen Bereich iZm. der Glaubhaftmachung der Gewissensgründe unterlaufen seien:

Aus dem Wissen des Bf. über die bewaffnete Neutralität Österreichs oder über Fragen nach alternativen Verteidigungsformen lasse sich dafür, ob die Gewissensgründe gegeben sind, nichts ableiten.

Die ZDOK habe die ihr obliegende Begründungspflicht (§53 ZDG iVm. §58 Abs2 und §67 AVG) nicht ausreichend erfüllt. Insbesondere enthalte der Bescheid entgegen dem §60 AVG keine Feststellungen, von denen ausgehend die bel. Beh. - in freier Beweiswürdigung - die Frage entscheidet, ob der Bf. Gewissensgründe glaubhaft gemacht habe oder nicht. Insbesondere habe sich die Behörde nicht näher mit der Aussage der Vertrauensperson des Bf. auseinandergesetzt und auch weitere Bescheinigungsmittel nicht ausreichend gewürdigt.

c) Verfahrensverstöße gravierender Natur, die allein - wie der VfGH wiederholt dargetan hat (vgl. zB VfGH 27. 9. 1985 B396/84) - unter dem Aspekt des §2 Abs1 ZDG Bedeutung erlangen, werden mit diesen Beschwerdebehauptungen - nach Lage des Falles - keineswegs aufgezeigt; die ZDOK geht in der Begründung des bekämpften Bescheides auf die Ergebnisse des Administrativverfahrens ein; diese werden in der Bescheidbegründung zutreffend festgehalten. Dieser festgestellte Sachverhalt wird sodann in der Begründung dahin geprüft und gewürdigt, ob dem Bf. die gesetzlich vorgesehene Glaubhaftmachung gelungen ist. Allerdings gelangte die Behörde nicht zu dem vom Bf. gewünschten Ergebnis. Aufgrund der Argumentation des Bf. im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks gelangte sie nämlich in freier Beweiswürdigung zur Ansicht, daß Gewissensgründe (iS des §6 Abs2 ZDG) nicht glaubhaft gemacht wurden; wie der Bf. selbst richtig erkennt, besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, die aufgrund unmittelbaren persönlichen Eindruckes gebildete Überzeugung von Beweisen bei Angaben einer Person näher zu begründen (vgl. zB VfGH 27. 9. 1985 B396/84 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur sowie die Rechtsprechung des OGH). Keineswegs schwergewichtig, sondern bloß zur Abrundung des vom Bf. gewonnenen persönlichen Eindruckes wird im Bescheid erwähnt, daß er sich mit der Verpflichtung zur bewaffneten Verteidigung der österreichischen Neutralität und mit Alternativverteidigungsmöglichkeiten nicht ernsthaft und tiefgreifend auseinandergesetzt habe; wenngleich daraus allein die Unglaubwürdigkeit des Bf. nicht abgeleitet werden könnte (vgl. VfSlg. 8865/1980), ist doch die Reaktion des Bf. auf diesbezügliche Fragen vor der ZDOK immerhin ein taugliches Indiz dafür, daß sich der Antragsteller mit dem Problemkreis der Waffengewalt überhaupt nicht auseinandergesetzt hat; ein Antragsteller, der nur - wie die Behörde feststellt - monoton auf seine Abneigung gegen Waffen, Heer und Krieg verweist, aber auf konkrete Fragen offenbar keine Antwort weiß, hat jedenfalls die behaupteten Gewissensgründe nicht glaubhaft gemacht.

Wenn die Behörde der - entgegen der Beschwerdebehauptung in der Bescheidbegründung festgehaltenen - Aussage der Vertrauensperson kein wesentliches Gewicht beigelegt hat, so kann der Behörde damit kein wesentlicher Verfahrensfehler vorgeworfen werden. Gleiches gilt für den vom Bf. im Administrativverfahren gemachten Hinweis auf seine gewerkschaftliche Tätigkeit; diese indiziert nämlich keine spezifisch gewaltfreie Einstellung des Bf.

Abschließend folgt daraus, daß keine Verletzung des im §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung vorliegt.

3. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

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