JudikaturVfGH

B784/85 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. November 1986

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) vom 25. April 1985 wurde der Antrag des Bf. auf Befreiung von der Wehrpflicht gemäß §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 178/1974 (ZDG), abgewiesen.

Der Bescheid ist wie folgt begründet:

"Dem gesamten Vorbringen des Berufungswerbers ist nichts zu entnehmen, was als spezifizierte Darlegung schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 Zivildienstgesetz) gewertet werden könnte. Selbst wenn man dies aber tun wollte, wäre für den Berufungswerber nichts gewonnen, weil es ihm nicht gelungen ist, die von ihm in bezug auf seine Gewissenslage aufgestellten Behauptungen glaubhaft zu machen, wie es das Gesetz (§6 Abs2 Zivildienstgesetz) vorschreibt.

Allgemein gehaltene, emotionslos vorgetragene Äußerungen gegen Waffen, Gewalt, Krieg usw. reichen nicht aus, eine schwere Gewissensnot bei Leistung des Wehrdienstes wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Mit den die verfahrensgegenständliche Problematik berührenden Fragen (bewaffnete Verteidigung der Neutralität etc.) hat sich der Berufungswerber in keiner Weise auseinandergesetzt. Er ist im sozialen, humanitären oder pazifistischen Bereich nirgends engagiert und über Alternativen zur militärischen Landesverteidigung nicht informiert. Er hält sich wegen eines körperlichen Schadens für 'untauglich'. Vorladungen zu einer Nachuntersuchung beim Bundesheer leistete er jedoch keine Folge. Auch einer Ladung zur Zivildienstkommission blieb er unentschuldigt fern.

In freier Würdigung der Person des Antragstellers, der Art seines Vorbringens und seines bisherigen Verhaltens ist es M K N somit nicht gelungen, glaubhaft zu machen, daß das von ihm verbal Vorgebrachte tatsächlich eine ernsthafte, gefestige Gewissenssituation wiedergibt und er daher im Fall der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot geraten könnte."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. In der Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, der bel. Beh. seien verfahrensrechtliche Fehler deshalb unterlaufen, weil in keiner Weise geprüft worden sei, ob die Voraussetzung der Tauglichkeit (§5 Abs1 ZDG) vorliege, obwohl der Bf. seine Untauglichkeit unter Vorlage einer ärztlichen Bestätigung behauptet und Vorladungen zu einer Nachuntersuchung beim Bundesheer und zur Zivildienstkommission krankheitsbedingt nicht folgen habe können.

Die bel. Beh. habe keine ausreichende Begründung dafür gegeben, weshalb der Bf. das Vorliegen einer schweren Gewissensnot bei Leistung des Wehrdienstes nicht glaubhaft gemacht habe. Wie der ganze Verfahrensablauf zeige, sei es dem Bf. nur schwer möglich, seine tatsächlichen Gefühle und Gedanken überzeugend zum Ausdruck zu bringen, was umso mehr dann gelte, wenn solche Aussagen in förmlicher Weise vor einem Senat gemacht werden müßten. Auch sei "die von der belangten Behörde vermißte Auseinandersetzung mit den die verfahrensgegenständliche Problematik berührenden Fragen in keiner Weise begründet" worden.

2. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfSlg. 9391/1982; VfGH 12. März 1982 B561/81, 24. November 1983 B304/83).

Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Zutreffen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982; VfGH 26. November 1982 B667/81).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978 ua.), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

3. Der VfGH kann der ZDOK nach Lage dieses Falls nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Wägung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie aufgrund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung letztlich zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Judikatur des Obersten Gerichtshofes, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen; zB aus jüngerer Zeit: OGH 23. März 1982 9 Os 38/82, 27. Juli 1982 10 Os 86/82; s. dazu VfSlg. 9573/1982).

Auf die Frage der Tauglichkeit des Bf. zur Ableistung des Wehrdienstes braucht nicht eingegangen zu werden, weil diese Frage mit dem Vorliegen von Gewissensgründen iS des §2 Abs1 ZDG in keinem Zusammenhang steht.

Abschließend folgt daraus, daß der Bf. in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG) nicht verletzt wurde.

4. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

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