B1231/86 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Bf. sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden abgewiesen.
und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Bf. durch die angefochtenen Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wurden über die Bf. vom Landeshauptmann von Kärnten wegen Übertretungen des §7 Abs1 Arbeitsruhegesetz, BGBl. 144/1983, (in der Folge: ARG) gemäß §27 Abs1 dieses Gesetzes und §16 Abs1 VStG Verwaltungsstrafen (Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt, weil sie am 8. Dezember 1984, einem Feiertag, in ihren Verkaufsstellen Arbeitnehmer beschäftigt hatten.
2.a) Gegen diese Bescheide richten sich die gemäß Art144 B-VG an den VfGH erhobenen Beschwerden, in denen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein faires Verfahren vor einem Tribunal gemäß Art6 Abs1 MRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.
b) Der belangte Landeshauptmann von Kärnten hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerden beantragt.
II. Der VfGH hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1.a) Gemäß §7 Abs1 ARG haben Arbeitnehmer an Feiertagen - gemäß Abs2 zählt hiezu der 8. Dezember - Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 24 Stunden, die spätestens um 6 Uhr des Feiertags beginnen muß. Arbeitgeber, die dieser Bestimmung zuwiderhandeln, sind gemäß §27 Abs1 ARG mit einer Geldstrafe zu bestrafen; gemäß §16 Abs1 VStG ist im Falle der Verhängung einer Geldstrafe zugleich eine Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen.
b) Die Bf. erachten die gesetzliche Grundlage der angefochtenen Bescheide als verfassungswidrig. Die in §27 Abs1 iVm §7 ARG vorgesehene Strafe sei durch den österreichischen Vorbehalt zu Art5 MRK nicht gedeckt; sie müßte daher durch ein Gericht, das zur Tatsachenfeststellung zuständig ist, verhängt werden. Die bloß nachprüfende Kontrolle durch den VwGH genüge diesen Anforderungen nicht.
c) Mit diesem Vorbringen sind die Beschwerden insofern im Recht, als nach der neueren Judikatur des VfGH (vgl. VfGH v. 14. 10. 1987, G181/86 und Folgezahlen = VfSlg. 11506/1987) über strafrechtliche Anklagen in der Bedeutung des Art6 Abs1 MRK ein Organ die Entscheidung fällen muß, das selbst als Tribunal qualifiziert werden kann, und die bloß nachprüfende Kontrolle durch ein Tribunal (etwa den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof) den Anforderungen des Art6 Abs1 MRK nicht genügt.
Österreich hat jedoch gemäß Art64 MRK den Vorbehalt erklärt, daß
"die Bestimmungen des Artikels 5 der Konvention mit der Maßgabe angewendet werden, daß die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. Nr. 172/1950, vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH oder den VfGH unberührt bleiben."
Zur Bedeutung dieses Vorbehalts hat der VfGH den Standpunkt eingenommen, daß dieser nicht bloß die Verhängung von Freiheitsstrafen, sondern auch von Geldstrafen durch Verwaltungsbehörden deckt, gleichgültig, welche materiellen Verwaltungsvorschriften iS des §10 VStG den Tatbestand enthalten, und daß der Vorbehalt für alle diese Verfahren auch die Anwendung des Art6 MRK ausschließt. Diesen Standpunkt hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. Juni 1987, G141-142/86 = VfSlg. 11369/1987, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur und Entscheidungen der EKMR bekräftigt.
Der Vorbehalt umfaßt seinem Sinn nach zumindest auch jene Gesetze, die zwar nach Erklärung des Vorbehaltes erlassen wurden, die aber keine nachträgliche Erweiterung jenes materiellrechtlichen Bereiches bewirken, der durch die Abgabe des Vorbehaltes ausgeschlossen werden sollte (vgl. auch hiezu VfGH v. 16. 6. 1987, G141-142/86 mwH).
d) Vom Vorbehalt sind daher Gesetze auch dann gedeckt, wenn gleichartige Straftatbestände bereits in Verwaltungsvorschriften enthalten waren, die vor dem 3. September 1958 erlassen wurden; dies gilt etwa für die StVO 1960, das KFG 1967 und das WeinG 1985 (s. zB VfSlg. 8234/1978, 10291/1984; VfGH
v. 16. 6. 1987, G141-142/86; vgl. zB auch EKMR v. 3. 3. 1983, Beschw. Nr. 8998/1980, EuGRZ 1984, 74 ff).
Nun sah das im Zeitpunkt der Abgabe des Vorbehalts geltende FeiertagsruheG, BGBl. 153/1957 iVm §§131 Abs1 und 132 liti GewO, RGBl. 227/1859 idF BGBl. 179/1952 (anwendbar gemäß §2 des Sonn- und FeiertagsruheG, RGBl. 21/1895 iVm §2 Abs1 Z1 FeiertagsruheG, BGBl. 153/1957 auch für Feiertage) eine der in Rede stehenden Strafbestimmung des ARG entsprechende Verwaltungsstrafbestimmung vor. Die Strafbestimmung des ARG ist infolge dessen vom österreichischen Vorbehalt zu Art5 MRK erfaßt.
e) Aus diesen Gründen teilt der VfGH die von den Bf. vorgebrachten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Strafbestimmung des ARG nicht. Da er unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdefälle auch sonst gegen die die Bescheide tragenden Rechtsvorschriften keine Bedenken hegt, sieht er sich zur angeregten Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nicht veranlaßt.
Aus dem Gesagten folgt, daß die Bf. nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden sind.
2. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen der angefochtenen Bescheide würden diese das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (vgl. VfSlg. 10370/1985). Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz käme nur in Frage, wenn die Behörde bei Erlassung der angefochtenen Bescheide der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung der Bescheide Willkür geübt hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985).
Von all dem kann hier keine Rede sein. Ob im Verwaltungsverfahren Verfahrensvorschriften verletzt wurden und ob der Landeshauptmann von Kärnten die ihm zugeschriebene Erklärung, er könne dafür sorgen, daß es für die Kaufleute, die ihre Betriebe am 8. Dezember 1984 offenhalten, zu keinen Bestrafungen kommen werde, tatsächlich abgegeben hat und ob diesfalls ein Schuldausschließungsgrund gegeben wäre, sind Fragen, die möglicherweise die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide tangieren können (was der VwGH zu entscheiden hat); die Verfassungssphäre vermögen sie keinesfalls zu berühren.
3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß die Bf. in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wären, waren die Beschwerden abzuweisen.
und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem VwGH abzutreten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.