B1252/87 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 30. Juli 1987 einen vom Bf. - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz 1986 - gestellten Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach mündlicher Verhandlung gemäß §2 Abs1 iVm §6 Abs1 ZDG ab.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
II. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:
1.a) Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige im Sinn des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag (und zwar nach Maßgabe des §5 Abs1 und 3 ZDG, der das Antragsrecht - in hier allerdings unerheblicher Weise - beschränkt) von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (vgl. auch VfSlg. 10021/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86).
b) Dieses Grundrecht wird nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde die im § 2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen (Befreiungs )Bedingungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 9985/1984, 10056/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86).
Wie der Verfassungsgerichthsof in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (zB VfSlg. 9985/1984), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.
2.a) Wiewohl die bel. Beh. die Behauptung schwerwiegender Gewissensgründe vorerst anzuzweifeln scheint, geht sie im Ergebnis richtig davon aus, daß der Antragsteller, zieht man alle seine Einlassungen im Administrativverfahren gebührend in Betracht, immerhin deutlich erkennbar den Standpunkt einnahm, infolge seiner - allgemeinen und vorbehaltlosen Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, wenn er Wehrdienst leisten müsse.
Eine derartige (an sich taugliche) Behauptung muß aber, sollen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung erfüllt sein, nicht nur aufgestellt, sondern kraft §6 Abs2 ZDG auch glaubhaft gemacht werden (vgl. zB VfSlg. 9573/1982).
b) Die ZDOK legte dem Sinn nach dar, weshalb sie der Ansicht anhänge, daß hier schwerwiegende Gewissensgründe iS des ZDG nicht glaubhaft seien. Die in diesem Zusammenhang wesentliche Bescheidbegründung lautet:
"... Als er" (der Beschwerdeführer) ".... als ersten und gewichtigsten Gewissengrund die 'starke Tötungshemmung' nannte, wirkte er auf den Senat nach seinem Gesamtgehaben nicht überzeugend, also nicht so, als gebe er eine in seiner Person verwurzelte gefestigte innere Einstellung wieder.
Dies änderte sich sofort, als er im Verlauf der weiteren Befragung und nach Vorhalt des Protokolls erster Instanz - er hatte damals angegeben, deshalb Zivildienst leisten zu wollen, weil er glaublich dort für die Menschen wesentlich mehr leisten könne - gewissermaßen mit dem Brustton der Überzeugung und mit großer Bestimmtheit erklärte, er sehe tatsächlich im Zivildienst viel mehr Sinn als bei der Wehrdienstleistung. Dies rechtfertige nach Ansicht des Senates den Schluß, daß hier das wahre Motiv des Befreiungsbegehrens gelegen ist, nicht aber in den vorgegebenen Gewissensgründen. Erhärtet wird diese Annahme dadurch, daß der Antragsteller vor der Zivildienstkommission das Bundesheer vor allem wegen der dort angeblich statthabenden Leerläufe kritisiert und hinzugesetzt hatte, das Bundesheer würde ihn vielleicht nicht stören, wenn es insoweit - also ersichtlich bezüglich der Leerläufe - eine Reform gebe.
Bei der Würdigung seiner Person und seines Vorbringens wurde mitberücksichtigt, daß er in seiner Pfarre lange Ministrant war und ihm derzeit die Leitung sämtlicher MInistranten und deren Einteilung obliegt.
Dies war aber im Sinne eines spezifischen Zusammenhanges mit der vom Zivildienstgesetz geforderten inneren Einstellung nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung gewonnenen unmittelbaren Eindruck ...... entscheidend zu verändern, bzw. den Mangel behaupteter Gewissensgründe zu sanieren."
Entgegen der in der Beschwerdeschrift verfochtenen Auffassung unterliefen der bel. Beh. dabei weder materielle noch gravierende prozessuale Rechtsverletzungen, und zwar auch nicht im Bereich der freien Würdigung des Bescheinigungsmaterials: Der Bf. bekämpft nämlich nach der unverkennbaren Zielsetzung des Beschwerdevorbringens in Wahrheit bloß die - nicht zu seinen Gunsten ausgefallene - behördliche Beweiswürdigung, indem er - in breit gehaltenen Ausführungen tatsächliche Schlußfolgerungen der ZDOK in der Glaubhaftmachungsfrage als unrichtig und verfehlt hinstellt. Er vermag damit den Umständen nach allerdings keineswegs aufzuzeigen, daß die beweiswürdigenden Überlegungen der Berufungsbehörde der allgemeinen Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechen: Nur in diesem Fall aber könnte im gegebenen Zusammenhang - nach gefestigter Rechtsprechung des VfGH - von einem verfassungsrechtlich relevanten, groben Verstoß verfahrensrechtlicher Art die Rede sein, der nach §2 ZDG aufzugreifen wäre (zB VfSlg. 9732/1983, 9985/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86).
Des weiteren trifft es - dem Beschwerdevorbringen zuwider - nicht zu, daß der ZDOK ein schwerer Verfahrensfehler unterlief, weil sie den Bf. bei der mündlichen Verhandlung, die vor ihr abgehalten wurde, nicht ausführlich genug befragte: Es ist primär Aufgabe des Zivildienstwerbers, seine Gewissensgründe darzulegen und sie glaubhaft zu machen (§5 Abs3, §6 Abs2 ZDG). Der Behörde kann hier zumindest kein gravierender Verfahrensmangel vorgeworfen werden, wenn sie - unter Bedachtnahme auf das Bildungsniveau des Bf. (er ist Lehrer) davon ausging, er kenne die maßgebende Rechtslage und sei fähig, seine Überlegungen verständlich auszudrücken. Der ZDOK ist unter diesen Umständen kein Verfassungsverstoß anzulasten, wenn sie annahm, der Bf. bedürfe keiner Manuduktion und habe seinen (der Behörde verständlichen) Ausführungen nichts hinzuzufügen, sodaß für sie - anders als etwa im Fall VfSlg. 9664/1983 - kein Anlaß bestand, ergänzende oder klärende Fragen zu stellen.
c) Der VfGH kann der ZDOK also nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Wägung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie auf Grund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs 2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Vorjudikatur, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die auf Grund unmittelbaren persönlichen Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen: zB VfSlg. 9573/1982, 9785/1983).
d) Abschließend folgt daraus, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG) nicht verletzt wurde.
3. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.
4. Da einesteils die hier maßgebenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt sind, andernteils ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht offenkundig nicht verletzt wurde, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.