JudikaturVfGH

B604/91 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
30. September 1991

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 22. Februar 1991, Zl. 156 202/2-ZDOK/4/91, den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht gemäß §2 Abs1 iVm §6 Abs2 Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, BGBl. 679/1986, ab.

2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Außerdem rügt die Beschwerde die Verfassungswidrigkeit des §47 Abs3 Z4 ZDG und die unrichtige Zusammensetzung der Zivildienstoberkommission.

3. Die ZDOK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten beider Instanzen vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift, nahm jedoch in ihrem Vorlagebericht zum Vorbringen des Beschwerdeführers, die ZDOK sei unrichtig zusammengesetzt, insoferne Stellung, als sie darauf hinwies, daß eine psychologische Ausbildung der Mitglieder der ZDOK nicht zwingend vorgeschrieben sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 150, auf ihren Antrag (und zwar nach Maßgabe des §5 Abs1 und 3 ZDG, der das Antragsrecht - in hier allerdings unerheblicher Weise - beschränkt) von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (vgl. auch VfSlg. 9391/1982, 9785/1983, 9839/1983, 9840/1983, 9842/1983, 9971/1984, 9985/1984, 10021/1984).

b) Dieses Grundrecht wird nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde doch wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen (Befreiungs )Bedingungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, 9549/1982, 9842/1983, 9985/1984; VfGH 26.9.1986 B243/86).

Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978, 9785/1983, 9985/1984), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.a) Die belangte Behörde geht - richtig - davon aus, daß der Antragsteller, zieht man alle seine Einlassungen im Administrativverfahren gebührend in Betracht, immerhin deutlich erkennbar den Standpunkt einnahm, infolge seiner - allgemeinen und vorbehaltlosen - Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, wenn er Wehrdienst leisten müsse. Insbesondere vermeinte die Zivildienstoberkommission, der Beschwerdeführer habe die Gründe für seine Ablehnung des Wehrdienstes hinreichend dargelegt.

Eine derartige (an sich taugliche) Behauptung muß aber, sollen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung erfüllt sein, nicht nur aufgestellt, sondern kraft §6 Abs2 ZDG auch glaubhaft gemacht werden (vgl. zB VfSlg. 9573/1982; VfGH 26.9.1986 B243/86).

b) Die ZDOK legt in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausführlich dar, weshalb sie die Ansicht vertritt, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, schwerwiegende Gewissensgründe im Sinne des ZDG glaubhaft zu machen. Sie begründete ihre Auffassung im wesentlichen wie folgt:

"Dem Vorbringen des Berufungswerbers ist (ansatzweise) die Behauptung schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) zu entnehmen. Er beruft sich unter anderem auf seine religiöse Erziehung und die Wertschätzung des menschlichen Lebens als höchstes Gut.

Es ist ihm aber auch in der Berufungsverhandlung nicht gelungen, die behaupteten Gewissensgründe glaubhaft zu machen (§6 Abs2 ZDG).

Ausschlaggebend dafür war, daß er in der Berufungsverhandlung bei den seine Gewissenssphäre betreffenden Angaben nicht wie ein junger Mann seines Ausbildungsstandes wirkte, der eine gefestigte innere Einstellung - die jedenfalls nicht mit einer bloßen Meinung verwechselt werden darf - vertritt, der also auf der Basis einer echten persönlichen Grundüberzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich und vorbehaltlos ablehnt und demnach im Fall des Waffengebrauches tatsächlich in einen schweren Gewissenskonflikt geriete.

Infolge der komplexen, zahlreiche auch intuitiv verlaufende Wertungsvorgänge in sich schließenden Natur der freien Beweiswürdigung kann nur sehr grob umrissen werden, was den Senat zu dieser Ansicht führte, zumal sich die Ausdrucksbewegungen während eines Gespräches, die oft entscheidend dazu beitragen, ein Vorbringen als wahrscheinlich gemacht anzusehen oder nicht, einer Verbalisierung weitestgehend entziehen.

Es muß daher mit dem zusammenfassenden Bemerken sein Bewenden haben, daß der Antragsteller bei den fraglichen Aussageteilen unsicher, nachdrucklos, vom eigenen Vorbringen selbst nicht ganz überzeugt und demnach nicht so wirkte, daß es dem Senat möglich gewesen wäre, das Vorbringen als glaubhaft, das heißt als objektiv wahrscheinlich gemacht, anzusehen. Bemerkt sei noch, daß der Antragsteller außer der erwähnten Bestrafung wegen Sachbeschädigung auch wegen eines Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz (1988) verurteilt wurde und zwischen Dezember 1985 bis 30.5.1990 eine Vielzahl von Verwaltungsstrafen wegen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung und das Kraftfahrgesetz, darunter auch Strafen wegen Verletzung von Rechtsvorschriften, die dem Schutz des Lebens anderer Menschen im Straßenverkehr dienen, über sich ergehen lassen mußte. Dies läßt in der Tat den Schluß zu, daß der Berufungswerber die Wertordnung innerhalb der menschlichen Gemeinschaft gering achtet.

Bei der Würdigung der Person und des Vorbringens des Berufungswerbers wurden die Ausführungen der Vertrauensperson mit in Rechnung gestellt.

. . ."

III. 1.a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten Grundrechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 10379/1985).

b) Der Verfassungsgerichtshof kann der ZDOK nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Würdigung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie auf Grund seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Vorjudikatur, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die auf Grund unmittelbaren persönlichen Eindrucks gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen: zB VfSlg. 9573/1982, 9785/1983, 10529/1985; VfGH 26.9.1986 B243/86).

c) Das Vorbringen, die ZDOK sei unrichtig zusammengesetzt gewesen, trifft schon deshalb nicht zu, weil §47 Abs3 Z4 ZDG grundsätzlich nicht von der Prämisse eines (abgeschlossenen) Studiums ausgeht. Die Heranziehung von Psychologen wird im §47 Abs3 Z4 ZDG nicht zwingend gefordert, sondern als wünschenswert ("wenn möglich") bezeichnet (vgl. VfSlg. 11069/1986).

d) Abschließend folgt daraus, daß der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG) nicht verletzt wurde.

2. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

3. Da einesteils die hier maßgebenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits genügend klargestellt sind, andernteils ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht offenkundig nicht verletzt wurde, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

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