JudikaturVfGH

B1371/88 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
07. Oktober 1991

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer begehrte unter Berufung auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes 1986, BGBl. 679, die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung und brachte dazu folgendes vor:

"Meiner Meinung nach stellt das menschliche Leben den höchsten Wert dar. Daraus ergibt sich die moralische Unmöglichkeit menschliches Leben vorsätzlich zu vernichten.

Ich kann mir nicht vorstellen, gegen irgendjemanden mit Waffengewalt vorzugehen.

Mein Gewissen verlangt von mir, mich nicht an kriegerischen Handlungen zu beteiligen und ich möchte nicht in die Lage kommen, eine Waffe gegen Menschen einsetzen zu müssen. Auch glaube ich nicht, in den Menschen der Nachbarländer meine Feinde sehen zu müssen.

Ich lehne es ab, mich für einen möglichen Notwehrfall zu bewaffnen. Lieber suche ich derartige Situationen zu vermeiden. Soziale Werte, um die zu kämpfen es sich lohnt, wie Demokratie und soziale Sicherheit lassen sich kaum mit Waffengewalt verteidigen."

2. Nachdem die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres den Antrag nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen hatte, ergriff der Beschwerdeführer gegen deren Bescheid Berufung an die Zivildienstoberkommmission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK). Auch die Rechtsmittelinstanz wies den Antrag ab; sie begründete ihren abweisenden Bescheid vom 5. Mai 1988 im wesentlichen folgendermaßen:

"In der Berufungsschrift kam zum Ausdruck, daß W W keine Kriegsgefahr für Österreich sieht. Daher sei es auch nicht sinnvoll, ein starkes Bundesheer zu unterhalten. Selbst wenn ein Feind in Österreich einmarschieren sollte, sei die militärische Option die schlechteste. Ein Militäreinsatz bringe nur Zerstörung und menschliches Leid und sei nicht in der Lage, einen militärisch starken Gegner aufzuhalten. Der Berufungswerber nannte die soziale Verteidigung, für die es jedoch kein allgemein gültiges Rezept gebe. Es komme auf die Motive des Besetzers an. Der Berufungswerber nannte auch Beispiele für einen persönlichen Beitrag zur zivilen Landesverteidigung. Man sollte es nicht soweit kommen lassen, daß Menschen getötet oder verletzt werden. Bei ihm sei das Entscheidende, daß er sich weigere, auf einen anderen Menschen zu schießen. Wenn man einmal Soldat sei und den Befehl zum Einsatz bekomme, sei es zu spät, seine Gewissensgründe ins Treffen zu führen. Da er mit seinen Ansichten beim Bundesheer in größere Schwierigkeiten käme, ersuche er um Befreiung von der Wehrpflicht.

In der Berufungsverhandlung wiederholte er seine Ausführungen über seine gewaltfreie und jedes Menschenleben achtende Einstellung. Er halte eine Verteidigung Österreichs nicht für notwendig und glaube nicht an einen Aggressor. Tote gebe es nur, wenn man sich militärisch wehre. Ein Menschenleben sei mehr wert als die Demokratie. Der mit dem Präsenzdienst verbundene Eid verpflichte ihn auch für die Zukunft; daher lehne er diesen ab. Zur Frage der Sterbehilfe äußerte der Berufungswerber, daß seiner Meinung nach jeder Mensch das Recht auf ein humanes Sterben habe. Ergänzend teilte er mit, daß er einer alten Frau in der Nachbarschaft, deren Mann gestorben war, Nachbarschaftshilfe geleistet habe. Die Vertrauensperson bestätigte die Abneigung des Berufungswerbers gegen Waffen. Der Berufungswerber versuche im Rahmen von Diskussionen mit Andersdenkenden Aufklärungsarbeit im Sinne seiner Überzeugung zu leisten.

Die Berufung ist nicht begründet.

Dem Vorbringen des Berufungswerbers ist die Darlegung schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) zu entnehmen. W W beruft sich u.a. darauf, daß das menschliche Leben den höchsten Wert darstelle. Daraus ergebe sich die moralische Unmöglichkeit, menschliches Leben vorsätzlich zu vernichten. Er wolle nicht in die Lage kommen, eine Waffe gegen Menschen einsetzen zu müssen. Er lehne es auch ab, sich für einen möglichen Notwehrfall zu bewaffnen. Er weigere sich, auf einen anderen Menschen zu schießen. Er glaube nicht, daß man das Recht habe, Menschen umzubringen. Das Menschenleben sei mehr wert als die Demokratie.

W W ist es jedoch nicht gelungen, die von ihm behaupteten Gewissensgründe auch glaubhaft zu machen (§6 Abs2 ZDG).

W W wirkte auf den Berufungssenat, der über reiche Vergleichsmöglichkeiten verfügt, nicht wie ein Mensch, der eine auf gründlichen eigenständigen Überlegungen beruhende gefestigte innere Überzeugung wiedergibt und auf der Basis grundsätzlicher und vorbehaltsloser Ablehnung von Waffengewalt gegen Menschen im Fall der Wehrdienstleistung tatsächlich in schwere Gewissensnot geriete.

W W ließ in der Berufungsverhandlung keine überzeugende, höchstpersönliche Auseinandersetzung mit der verfahrensgegenständlichen Problematik erkennen. Die vor allem von Sinn- und Zweckmäßigkeitserwägungen getragenen Gedanken und Formulierungen wirkten irgendwie standardisiert und oberflächlich angeeignet. Die Zivildienstoberkommission konnte jedenfalls nicht den Eindruck gewinnen, daß sich der Berufungswerber dermaßen mit seinen Darlegungen identifiziert, daß im Fall der Wehrdienstleistung bei ihm eine schwere Gewissensnot zu befürchten wäre. Er erweckte auf Grund seines Gesamtgehabens - das sich einer detaillierten Beschreibung in allen maßgebenden Facetten entzieht - nicht den Eindruck, sich von den österreichischen Staatsbürgern, die den Präsenzdienst leisten, in gewissensmäßiger Hinsicht relevant zu unterscheiden. W W konnte nicht deutlich machen, daß ihn die Wertschätzung des Lebens anderer Menschen in einem solchen Maß geprägt hätte, daß ihm die Leistung des Wehrdienstes im Rahmen des österreichischen Bundesheeres, somit eines Verteidigungsheeres, unzumutbar wäre.

In freier Würdigung der Person des Antragstellers und der Art seines Vorbringens ist es W W somit nicht gelungen, glaubhaft zu machen, daß das von ihm verbal Vorgebrachte tatsächlich der dem Gesetz vorschwebenden besonderen Gewissenslage entspricht und er sonach im Fall der Anwendung von Waffengewalt wirklich in eine schwere Gewissensnot geraten könnte.

Die Angaben seiner Vertrauensperson, die Teilnahme an der Mahnwache für den Widerstand und die von ihm für eine alte Frau in der Nachbarschaft geleistete Hilfe wurden bei der Gesamtwürdigung des Vorbringens mit in Rechnung gestellt, waren jedoch in Anbetracht des dargelegten persönlichen Eindrucks des Berufungswerbers alleine nicht geeignet, zu einer anderen Sachentscheidung zu führen.

Mangels der materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte mithin der unbegründeten Berufung der Erfolg versagt werden."

3. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs wird das durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen (Befreiungs )Bedingungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 11884/1988 mit zahlreichen Judikaturhinweisen). Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach, zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde in weitwendigen Ausführungen unter Bezugnahme auf §60 AVG (iVm §53 ZDG) vor, daß sie es unterlassen habe, Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, weshalb der angefochtene Bescheid "unüberprüfbar" sei.

Dieser Vorwurf ist verfehlt.

Die Zivildienstbehörde hatte in dem von ihr durchgeführten Verfahren Sachverhaltsfeststellungen nur insoweit zu treffen, als sie der Verfahrenslage nach oder gemäß dem Vorbringen in Betracht kamen. Hiezu zählen ausschließlich der vom Beschwerdeführer geltend gemacht Umstand, daß er Nachbarschaftshilfe geleistet habe, sowie die Angabe seiner Vertrauensperson bezüglich der Teilnahme an einer Mahnwache. Beide Behauptungen sah die ZDOK als erwiesen an und nahm darauf im Rahmen ihrer Entscheidung Bedacht.

Im übrigen hatte sich die belangte Behörde nur mit der Frage zu befassen, ob die vom Beschwerdeführer geltend gemachten, an sich tauglichen Gewissensgründe (- bezüglich deren richtiger Wiedergabe in zusammenfassender Weise auch in der Beschwerde keine Kritik geübt wird -) als bescheinigt anzusehen sind. Die Erwägungen, welche die Behörde hiebei anstellte und welche sie zu einem für den Beschwerdeführer negativen Ergebnis bewogen, verstoßen nun weder gegen die Lebenserfahrung noch gegen die Gesetze des logischen Denkens, sodaß jedenfalls kein im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs wahrzunehmender Fehler vorliegt (s. auch dazu VfSlg. 11884/1988).

3. Eine Verletzung des geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hat somit nicht stattgefunden. Da auch keine sonstige im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG wahrzunehmende Rechtsverletzung hervorkam, war die Beschwerde abzuweisen.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

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