JudikaturVfGH

B1210/94 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Oktober 1994

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seiner Rechtsvertreter, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer wurde am 20. Jänner 1994 als tauglich zum Wehrdienst befunden.

Am 16. Februar 1994 richtete er folgendes Schreiben an das Militärkommando Oberösterreich:

"Betreff: Antrag auf Zivildienst

Sehr geehrter Herr Amtsrat K!

Da ich vom 20. bis 21. Jänner 1994 meiner Pflicht nachgekommen bin und mich der Stellung in Linz unterzogen habe, wo ich für tauglich erklärt wurde, und da es mir aus Gewissensgründen nicht möglich ist, den Dienst mit der Waffe zu verrichten, schreibe ich Sie hiermit an, um einen Antrag auf Zivildienst einzubringen.

Im folgenden werde ich die Gewissensgründe, die mich daran hindern, den Grundwehrdienst abzuleisten, näher erörtern: Erstens bin ich absoluter Pazifist und verabscheue jede Lösung eines Konfliktes mit Waffengewalt, zweitens verabscheue ich wegen meiner pazifistischen Einstellung auch die Selbstverteidigung eines Staates durch Waffengewalt und drittens wäre es mir im Fall des Falles aufgrund meiner Einstellung unmöglich, einen Menschen zu erschießen, und sei es in Notwehr. Eher würde ich mich selbst erschießen lassen. All diese Punkte, die zusammen meine Haltung bestimmen, machen mir eine Ableistung des Grundwehrdienstes unmöglich, und es ist sowohl für das österreichische Bundesheer, dem ich ja durch die vorher erwähnten Gewissensgründe wenig dienlich bin, als auch für mich besser, mich den Zivildienst, eine schöne und sinnvolle Arbeit im Sinne der Allgemeinheit, ausüben zu lassen.

Auf eine baldige Erledigung der Angelegenheiten hoffend, verbleibt

mit freundlichen Grüßen

..."

2. Mit Bescheid vom 15. April 1994 wies der Bundesminister für Inneres (BMI) gemäß §76a Abs1 des Zivildienstgesetzes 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, den eben zitierten Antrag als unzulässig zurück.

Er begründete das wie folgt:

"Gem. §76a Abs1 ZDG gelten zulässige Anträge auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen, die zwischen 01. Jänner 1994 und 10. März 1994 (Tag der Kundmachung des ZDG idF BGBl. Nr. 187/94) eingebracht wurden, als fristgerechte Zivildiensterklärung gem. §2 Abs1 ZDG. Die Zulässigkeit des Antrages ist nach dem im oa. Zeitraum geltenden ZDG idF BGBl. Nr. 679/86 zu beurteilen.

Gem. §5 Abs3 ZDG idF BGBl. Nr. 679/86 hatte der Wehrpflichtige in seinem Antrag nicht nur die nach §2 Abs1 ZDG maßgebenden Gründe darzulegen, sondern auch sich ausdrücklich bereit zu erklären, Zivildienst zu leisten und die Zivildienstpflichten gewissenhaft zu erfüllen. Ihr Antrag enthält keine Erklärung, Zivildienst leisten zu wollen; es fehlt sohin eine vom Gesetz geforderte Angabe. Der Antrag war daher unzulässig und zurückzuweisen."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Der BMI als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das durch §2 Abs1 iVm Abs2 ZDG idF der Novelle 1994 (wie schon zuvor durch §2 Abs1 idF der Novelle BGBl. 675/1991) verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung hat zunächst zum Inhalt, daß die in dieser Norm umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Zivildienstpflicht und die damit verbundene Ausnahme von der Wehrpflicht von der Behörde richtig beurteilt werden; das genannte Recht wird aber auch dann verletzt, wenn grobe Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Erklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird (vgl. VfGH 1.7.1993 B2069/92,

S 7 f.; 4.3.1994 B1115/93, S 8).

2.a)aa) Das ZDG idF vor der Novelle BGBl. 675/1991 sah im Kern vor, daß Personen, die glaubhaft machen konnten, die Anwendung von Waffengewalt gegen andere Menschen aus schwerwiegenden Gewissensgründen abzulehnen, über ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien waren; sie wurden statt dessen zivildienstpflichtig. Zur Entscheidung über derartige Anträge waren eigene Behörden (nämlich in erster Instanz die Zivildienstkommission, in zweiter Instanz die Zivildienstoberkommission) berufen (s. dazu im einzelnen insbesondere §2 Abs1, §§5 und 6 ZDG idF vor der Novelle 1991).

bb) Mit der ZDG-Novelle 1991 wurde ab 1. Jänner 1992 diese "behördliche Gewissensprüfung" abgeschafft; es genügte seither die Abgabe einer (den gesetzlich näher umschriebenen Anforderungen entsprechenden) Erklärung durch den Wehrpflichtigen (s. dazu insbesondere §2 Abs1, §§5 und 5a ZDG idF der Novelle 1991).

Diese Neuregelung wurde aber nur befristet getroffen. Gemäß §76 Abs3 Z3 (iVm Abs1) ZDG idF der Novelle 1991 traten nämlich die einschlägigen Bestimmungen mit Ablauf des 31. Dezember 1993 wieder außer Kraft. Hinsichtlich der Rechtslage danach bestimmte §76a ZDG idF der Novelle 1991 folgendes:

"§76a.(1) Mit 1. Jänner 1994 tritt das ZDG 1986, BGBl. Nr. 679/1986, in der vor dem 1. Jänner 1992 geltenden Fassung der Bundesgesetze BGBl. Nr. 336/1987 und BGBl. Nr. 589/1988* wieder in Kraft. Ausgenommen davon sind ...(es folgt die Aufzählung einzelner, hier nicht weiter interessierender Paragraphen).

(2) (Verfassungsbestimmung) Mit 1. Jänner 1994 treten §2 Abs1, §5 Abs6 und §43 Abs4 in der vor dem 1. Jänner 1992 geltenden Fassung der Bundesgesetze BGBl. Nr. 336/1987 und BGBl. Nr. 589/1988* wieder in Kraft."

*(Anm.: Bei der Zitierung "BGBl. Nr. 589/1988" handelt es sich offenkundig um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Es müßte wohl richtig heißen: "BGBl. Nr. 598/1988".)

cc) Da vor dem 1. Jänner 1994 eine politische Einigung über die Frage der künftigen Regelung des Zugangs zum Zivildienst nicht erreicht wurde und deshalb bis dahin keine diesbezügliche Novellierung des ZDG erfolgte, trat in diesem Zeitpunkt die in der soeben zitierten Übergangsnorm vorgesehene Rückkehr zur früheren Rechtslage ein; sie wurde allerdings schon deshalb nicht effektiv wirksam, weil die Zivildienstkommission und die Zivildienstoberkommission nicht (mehr) eingerichtet waren.

dd) Schließlich wurde am 10. März 1994 das BGBl. Nr. 187 ausgegeben, mit dem die ZDG-Novelle 1994 kundgemacht wurde.

Gemäß Artikel I dieser Novelle tritt das ZDG "in der seit 1. Jänner 1994 geltenden Fassung" (das ist jene, die sich aus dem oben (litbb) wiedergegebenen §76a ZDG idF der Novelle 1991 ergibt) außer Kraft. Gleichzeitig tritt das ZDG (abgesehen von einigen hier nicht näher interessierenden Bestimmungen) "in der bis 31. Dezember 1993 in Kraft stehenden Fassung ... wieder in Kraft".

Im Kern wurde damit (neuerlich) jene Rechtslage hergestellt, die schon einmal durch die ZDG-Novelle 1991 (s. oben litbb) - befristet - geschaffen worden war (d.h. insbesondere: Abschaffung der "behördlichen Gewissensprüfung" und statt dessen Erfordernis der Abgabe einer den Formvorschriften entsprechenden Erklärung, Zivildienst leisten zu wollen).

Artikel II der ZDG-Novelle 1994 normiert in der Folge umfangreiche Änderungen betreffend das "Zivildienstgesetz 1986, BGBl. Nr. 679, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 424/1992" (das ist die "bis 31. Dezember 1993 in Kraft stehende Fassung" iS des ArtI).

So wurde der (in Verfassungsrang stehende) §2 Abs1 ZDG unter anderem dahingehend abgeändert, daß das Recht zur Abgabe der Zivildiensterklärung zeitlich eingeschränkt wurde. Die Bestimmung lautet nunmehr auszugsweise (ArtII Z2 der ZDG-Novelle 1994):

"§2. (Verfassungsbestimmung) (1) Der Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1990 - WG, BGBl. Nr. 305, der erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, kann innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens erklären (Zivildiensterklärung),

1. die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können, weil er es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder

Nothilfe abgesehen - aus Gewissensgründen ablehnt, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten

würde,

Damit wird das Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung befristet, weil die Zivildiensterklärung innerhalb eines Monats nach Abschluß des Verfahrens erfolgen muß, mit dem (erstmals) die Wehrdiensttauglichkeit des Einschreiters festgestellt wurde (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der ZDG-Novelle 1994, 1467 BlgNR 18.GP, S 15).

§2 Abs2 ZDG idF der Novelle 1994 normiert (gleichfalls als Verfassungsbestimmung):

"(2) Mit Einbringung einer Zivildiensterklärung gemäß Abs1 wird der Wehrpflichtige von der Wehrpflicht befreit und zivildienstpflichtig. Er hat nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes Zivildienst zu leisten."

Das Schicksal der zwischen 1. Jänner und 10. März 1994 (also während der Geltung des ZDG in der vor dem 1. Jänner 1992 geltenden Fassung (s. oben litbb)) eingebrachten Zivildienstanträge regelt (gleichfalls auf Verfassungsstufe) §76a Abs1 ZDG idF der Novelle 1994:

"§76 a. (Verfassungsbestimmung) (1) Zulässige Anträge auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen, die zwischen 1. Jänner 1994 und dem Tag der Kundmachung dieses Bundesgesetzes (Anm.: das ist der 10. März 1994) bei der Stellungskommission oder dem Militärkommando eingebracht wurden, gelten als fristgerecht eingebrachte Zivildiensterklärungen (§2)."

Die zuvor erwähnten Gesetzesmaterialien (1467 BlgNR 18.GP) erläutern diese Regelung wie folgt (S 20):

"Durch diese Bestimmung soll zweifelsfrei klargestellt werden, wie in dem genannten Zeitraum eingebrachte Zivildienstanträge rechtlich zu qualifizieren sind. Insbesondere war sicherzustellen, daß solche Anträge als fristgerecht eingebracht anzusehen sind. ..."

b) Der den Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildende Bescheid gründet sich auf diese Übergangsvorschrift des §76a ZDG idF der Novelle 1994. Die Eingabe des Beschwerdeführers an das Militärkommando Oberösterreich stammt nämlich vom 16. Februar 1994 (s. oben Pkt. I.1.).

Der BMI leitet aus der zuletzt genannten Verfassungsbestimmung ab, nur solche Anträge seien als gültige Zivildiensterklärungen iSd neuen Rechtes anzusehen, die nach dem ZDG idF BGBl. 679/1986 (somit in der Fassung vor der Novelle 1991) zulässig waren, also dem §5 Abs3 ZDG aF entsprachen (die Novellen BGBl. 336/1987 und BGBl. 598/1988 waren ohne Auswirkung auf §5 Abs3 ZDG).

§5 Abs3 ZDG (alt) lautete:

"Der Wehrpflichtige hat in seinem Antrag die nach §2 Abs1 maßgebenden Gründe (Anm.: nämlich die dort näher umschriebenen Gewissensgründe) darzulegen und sich ausdrücklich bereit zu erklären, für den Fall, daß seinem Antrag stattgegeben wird, Zivildienst zu leisten und die Zivildienstpflichten gewissenhaft zu erfüllen."

Der BMI vertritt die Auffassung, die vom Beschwerdeführer eingebrachte Eingabe enthielte keine Erklärung, Zivildienst leisten zu wollen.

Diese Meinung ist bei einer am Sinn des Gesetzes orientierten Auslegung unrichtig:

§76a Abs1 ZDG (idF der Novelle 1994) iVm §5 Abs3 ZDG (idF BGBl. 679/1986) stellt an einen zwischen 1. Jänner und 10. März 1994 eingebrachten Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung einerseits nur solche Erfordernisse, die schon nach der alten Fassung des ZDG (BGBl. 679/1986 (BGBl. 336/1987 und BGBl. 598/1988 sind - wie bereits erwähnt - hier ohne Belang)) vorgesehen waren. Es wäre nämlich undenkbar, von einem Einschreiter etwas zu verlangen, was in einer erst nach seiner Antragstellung erlassenen Rechtsvorschrift normiert wird. Andererseits können an eine im zuvor genannten (Übergangs )Zeitraum eingebrachte Eingabe nur solche Anforderungen gestellt werden, deren Erfüllung vor dem Hintergrund auch der neuen (durch die ZDG-Novelle BGBl. 187/1994 geschaffenen) Rechtslage mit gutem Grund verlangt werden kann.

Dazu kommt, daß die (vom Gesetzgeber durch sein zögerndes Vorgehen herbeigeführte) nur schwierig zu durchblickende Rechtslage im Zweifel zugunsten des Antragstellers ausgelegt werden muß.

Ein - als Zivildiensterklärung zu wertender - "zulässiger Antrag" iSd §76a Abs1 ZDG idF der Novelle 1994 liegt sohin jedenfalls dann vor, wenn ihm mit hinlänglicher Deutlichkeit zu entnehmen ist, der Einschreiter strebe die Ausnahme ("Befreiung") von der Wehrpflicht an und sei bereit, Zivildienst zu leisten; dabei genügt es, wenn die Bereitschaft den Antragsausführungen implizit entnehmbar ist (vgl. dazu auch schon VfSlg. 9946/1984, S 142).

Diese Anforderungen werden von der Eingabe des Einschreiters (s.o. I.1.) zweifelsfrei erfüllt.

Der BMI gelangte also - ausgehend von einer verfehlten Interpretation des Gesetzes - zum unrichtigen Ergebnis, die vom Beschwerdeführer abgegebene Zivildiensterklärung habe nicht dessen Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung bewirkt. Damit hat er den Beschwerdeführer in dem durch §2 Abs1 iVm Abs2 ZDG idF der Novelle 1994 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt.

Der Bescheid war deshalb aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis war nicht darauf einzugehen, ob die Behörde ihre Manuduktionspflicht verletzt hat und welchen Einfluß ein solcher Fehler auf die Grundrechtssphäre haben könnte. Weiters kann unerörtert bleiben, ob das Fehlen der ausdrücklichen Zusicherung, zur Leistung des Zivildienstes bereit zu sein, ein behebbares Formgebrechen iS des §5 Abs4 ZDG idF der Novelle 1994 iVm §13 Abs3 AVG darstellt.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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