Art13 Abs2 Landes-Verfassungsgesetz 1945 - L-VG, Sbg. LGBl. Nr. 1/1947 idF LGBl. Nr. 81/1978, sowie §1 Abs2, §10, die Worte "und gemäß §95 Abs1 nicht von der Zuweisung von Restmandaten ausgeschlossen sind" in §94 Abs1, §95 Abs1 und die Wendung "gemäß Abs1 in Betracht kommenden" in §95 Abs2 Salzburger Landtagswahlordnung 1978, LGBl. Nr. 82/1978, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 29. Februar 1996 in Kraft.
Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Salzburg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Verordnung der Salzburger Landesregierung vom 2. Dezember 1993, LGBl. 143/1993, wurde die Wahl des Salzburger Landtags für Sonntag, den 13. März 1994, ausgeschrieben und als Stichtag der 1. Jänner 1994 festgelegt.
Dieser Wahl lagen von der Landeswahlbehörde überprüfte, gemäß §46 der Salzburger Landtagswahlordnung 1978, LGBl. 82/1978 (LWO), idF LGBl. 39/1981, 51/1984, 93/1988 und 136/1993, abgeschlossene und veröffentlichte Wahlvorschläge folgender Wahlparteien zugrunde:
(SPÖ),
In dieser Reihenfolge wurden auch die einzelnen Listenplätze vergeben, wobei in den Wahlbezirken 1 (Hallein), 4 (St. Johann im Pongau), 5 (Tamsweg) und 6 (Zell am See) jeweils der Listenplatz 5 "leer" blieb.
Sämtliche (sechs) Wahlparteien brachten Landeswahlvorschläge ein, die von der Landeswahlbehörde überprüft und gemäß §94 Abs5 LWO abgeschlossen und verlautbart wurden.
Von den bei dieser Landtagswahl abgegebenen 255.638 gültigen Stimmen entfielen auf:
ÖVP 98.676 (14 Mandate)
SPÖ 69.146 (11 Mandate)
FPÖ 49.827 ( 8 Mandate)
Bürgerliste 18.590 ( 3 Mandate)
ÖABP 4.662 ( 0 Mandate)
Liberales Forum - Heide Schmidt 14.737 ( 0 Mandate)
(Verlautbarung des Ergebnisses des zweiten Ermittlungsverfahrens gemäß §96 Abs4 LWO vom 17. März 1994).
1.2.1. Die Wählergruppe Liberales Forum - Heide Schmidt focht am 11. April 1994 die Wahl zum Salzburger Landtag gemäß Art141 B-VG beim Verfassungsgerichtshof (zur Z WI-1/94) an und begehrte die Aufhebung dieser Wahl (nur) "vom ersten Ermittlungsverfahren an" als rechtswidrig.
1.2.2.1. Die Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens wurde ausschließlich darin erblickt, daß "die Salzburger Landtagswahl ... auf der Grundlage von verfassungswidrigen landesgesetzlichen Bestimmungen (der §§1 Abs1, 2 Abs1, 89 Abs3 und 4 und 95 Abs1 LWO) und auf der Grundlage einer im Widerspruch zur Bundesverfassung stehenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmung (des Art13 L-VG) durchgeführt" worden sei. Diese Vorschriften widersprächen "den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts, des gleichen Wahlrechts und Art95 Abs2
B-VG".
1.2.2.2. Begründend wird ua. ausgeführt, daß im Wahlbezirk Tamsweg "die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen zur Erzielung eines Grundmandats erforderlich (sei), wobei diese hohe Eintrittsschwelle (für die Teilnahme am zweiten Ermittlungsverfahren) nicht (wie zB in der NRWO 1992) durch eine alternative Prozentklausel abgeschwächt (werde)".
1.3.1. Die Landeswahlbehörde beim Amt der Salzburger Landesregierung erstattete unter Vorlage der Wahlakten eine Gegenschrift, in der sie - unter Verteidigung der Verfassungsmäßigkeit der von der anfechtenden Wählergruppe verfassungswidrig erachteten landesgesetzlichen Bestimmungen - für die Abweisung der Wahlanfechtung eintrat.
1.3.2. Sie brachte in ihrer Gegenschrift ua. vor:
"... Zusammengefaßt lassen sich die Bedenken der Antragstellerin so darstellen, daß aus dem Fehlen einer Prozentklausel im zweiten Ermittlungsverfahren ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Gebot des Verhältniswahlrechts abgeleitet wird. ...
Bei der Beantwortung der Frage, ob die von der LWO vorgenommene Gestaltung des Wahlrechts dem Grundsatz der Verhältniswahl entspricht, ist neben der Zuteilung der Mandate an die Parteien, insbesondere der Bindung der Teilnahme am zweiten Ermittlungsverfahren an die Erreichung eines Grundmandats im ersten Ermittlungsverfahren, auch die Wahlkreiseinteilung und die Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise zu prüfen. ...
Zur Wahlkreiseinteilung und Verteilung der Mandate auf diese:
An der Beurteilung des Salzburger Wahlrechts als verfassungskonform vermag auch die durch Art13 des L-VG vorgegebene und in der LWO übernommene Einteilung der Wahlkreise - ident mit den politischen Bezirken - nichts zu ändern. Die Einteilung in dieser Form ist erstmals im Jahr 1978 vorgenommen worden. Vorher (dh. in der jüngeren Vergangenheit seit der LWO LGBl. Nr. 28/1949) bildete das gesamte Landesgebiet einen Wahlkreis, der lediglich zum Zweck der Abwicklung der Wahl in Wahlbezirke eingeteilt war. Diesen Wahlbezirken kam bei der Mandatsverteilung keine Bedeutung mehr zu. Mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 23. Juni 1978, G11/78, wurde eine vergleichbare Regelung in der burgenländischen LWO mit der Begründung aufgehoben, daß für alle Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen in Österreich das Gebiet, für das der zu wählende Vertretungskörper bestimmt ist, räumlich zu gliedern sei. Aus diesem Grund sieht die im gleichen Jahr erlassene Salzburger LWO die Aufwertung der Wahlbezirke zu Wahlkreisen vor, wenn auch die Bezeichnung 'Wahlbezirk' gleich geblieben ist. Die aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene Aufteilung des Landesgebiets in Wahlkreise folgte der Einteilung des Landes in politische Bezirke und wurde keinesfalls willkürlich vorgenommen (VfGH Erk. vom 20.6.1980, WI-8/79; VfGH Erk. vom 8.12.1979, WI-1/79). Sie umfassen in sich geschlossene Gebiete, die seit altersher jeweils auch eine politische Einheit darstellen. (Die Bezirkshauptmannschaften Salzburg, Zell am See, St. Johann und Tamsweg wurden in den Jahren 1867, 1868, Hallein 1896 und die Stadt Salzburg 1896 eingerichtet.) Diese alte Gliederung führte zu einem Bezirksbewußtsein, das insbesondere auch durch die geographischen und regionalen Gegebenheiten mitbestimmt wurde (zB die besondere geographische Lage des Lungaus).
Die Zuteilung der Mandate an diese Wahlkreise erfolgt gemäß Art95 Abs3 B-VG entsprechend der Bürgerzahl (§2 Abs2 LWO). Da für die Aufteilung der Mandate daher eine weitgehende verfassungsrechtliche Vorgabe besteht, können auch gegen die entsprechend dieser Vorgabe erfolgte Zuteilung der Mandate gemäß der Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 24. Februar 1993, LGBl. Nr. 40/1993, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Aus dieser Zuteilung resultiert weiters, daß ein Mandat im ersten Ermittlungsverfahren in allen Wahlbezirken annähernd gleich viele Stimmen erfordert."
1.4.1. Die Bundesregierung wurde eingeladen, zu den in der Wahlanfechtungsschrift unter dem Aspekt des Verhältniswahlrechts aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einzelne landesrechtliche Bestimmungen Stellung zu nehmen.
1.4.2. Sie legte in ihrer Äußerung zusammenfassend dar:
"Eine Analyse der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs sowie insbesondere der vom historischen Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 vorgefundenen Wahlordnungen, die nach dem Grundsatz der Verhältniswahl geschaffen waren, legt die Annahme nahe, daß sich die LWO ungeachtet ihrer restriktiven Wirkungen für kleinere wahlwerbende Parteien noch innerhalb des bundesverfassungsgesetzlich vorgegebenen Rahmens des Art95 Abs1 B-VG bewegt. Die vom Landesgesetzgeber im Jahr 1978 unter Anknüpfung an Vorbilder des Jahres 1919 geschaffene Gliederung des Landesgebiets in Wahlkreise folgt im wesentlichen den traditionellen politischen Untergliederungen des Landesgebiets und dürfte daher vor dem Hintergrund der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs nicht als willkürlich (und damit dem Sachlichkeitsgebot widersprechend) einzustufen sein."
1.5. Dazu langte eine Replik der anfechtenden Wählergruppe ein.
1.6.1. Im Zug der verfassungsgerichtlichen Beratung über diese Wahlanfechtung entstanden Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Art13 Abs2 Landes-Verfassungsgesetz 1945 - L-VG, Sbg. LGBl. 1/1947 idF 81/1978, sowie des §1 Abs2, des §10, der Worte "und gemäß §95 Abs1 nicht von der Zuweisung von Restmandaten ausgeschlossen sind" in §94 Abs1, des §95 Abs1 und der Wendung "gemäß Abs1 in Betracht kommenden" in §95 Abs2 LWO.
1.6.2.1. Der Verfassungsgerichtshof leitete daraufhin mit Beschluß vom 11. Oktober 1994, GZ WI-1/94-18, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der zitierten landesgesetzlichen Vorschriften auf ihre Verfassungsmäßigkeit gemäß Art140 Abs1 B-VG ein (protokolliert zu G 266 und 267/94).
1.6.2.2. In den Gründen des Prüfungsbeschlusses heißt es ua. wörtlich:
"Nach Art13 Abs1 L-VG und §1 Abs1 LWO besteht der Salzburger Landtag aus 36 Mitgliedern. Nach §1 Abs2 leg.cit. iVm Art13 Abs2 L-VG wird das Land Salzburg 'für Zwecke der Landtagswahl in sechs Wahlbezirke eingeteilt; hiebei bildet jeder politische Bezirk einschließlich der Landeshauptstadt Salzburg einen Wahlbezirk', dh. einen 'Wahlkreis' iSd Art95 Abs3 B-VG.
Der mit 'Zahl der Mandate in den Wahlbezirken' überschriebene §2 LWO sieht eine Vergebung der (36) Mandate nach dem sogenannten Hare'schen Quotientensystem vor und hat folgenden Wortlaut:
'(1) In jedem Wahlbezirk gelangen soviele Mandate zur Vergebung, wie es die Berechnung nach Abs2 bis 4 ergibt.
(2) Die Zahl der Staatsbürger, die nach dem endgültigen Ergebnis der jeweils letzten ordentlichen oder außerordentlichen Volkszählung (Volkszählungsgesetz, BGBl. Nr. 159/1950, in der geltenden Fassung) im Lande Salzburg ihren ordentlichen Wohnsitz hatten, ist durch die Zahl 36 zu teilen. Dieser Quotient ist auf drei Dezimalstellen zu rechnen. Er bildet die Verhältniszahl.
(3) Jedem Wahlbezirk werden soviele Mandate zugewiesen, wie die Verhältniszahl in der Zahl der Staatsbürger, die im Wahlbezirk ihren ordentlichen Wohnsitz haben, enthalten ist.
(4) Können auf diese Weise nicht alle 36 Mandate aufgeteilt werden, so sind die gemäß Abs3 zu ermittelnden Quotienten auf drei Dezimalstellen zu berechnen. Die restlichen Mandate erhalten zusätzlich die Wahlbezirke, bei denen sich der Reihenfolge nach die größten Dezimalreste ergeben. Sind hiebei die Dezimalreste bei zwei oder mehreren Wahlbezirken gleich groß, so erhalten diese Wahlbezirke je ein restliches Mandat, es sei denn, daß es sich um die Zuweisung des letzten der 36 Mandate handelt. Hätten auf die Zuweisung dieses letzten Mandates infolge gleich hoher Dezimalreste zwei oder mehrere Wahlbezirke gleichen Anspruch, so entscheidet über die Frage, welchem Wahlbezirk dieses letzte restliche Mandat zufällt, das Los.'
Der mit 'Verlautbarung der Mandatszahlen' betitelte §3 LWO bestimmt:
'(1) Die Zahl der auf jeden Wahlbezirk gemäß §2 entfallenden Mandate ist von der Landesregierung unmittelbar nach endgültiger Feststellung des Ergebnisses der jeweils letzten ordentlichen oder außerordentlichen Volkszählung zu ermitteln und im Landesgesetzblatt kundzumachen.
(2) Die so kundgemachte Verteilung der Mandate ist allen Wahlen des Landtages zugrunde zu legen, die vom Wirksamkeitsbeginn der Kundmachung an bis zur Verlautbarung der Kundmachung der Mandatsverteilung auf Grund der jeweils nächsten ordentlichen oder außerordentlichen Volkszählung stattfinden.'
Die Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 24. Februar 1993 über die Zahl der auf jeden Wahlbezirk entfallenden Mandate für die Wahl des Salzburger Landtags, LGBl. 40/1993, lautet:
'Auf Grund des §3 Abs1 der Salzburger Landtagswahlordnung 1978, LGBl. Nr. 82, in der geltenden Fassung wird kundgemacht, daß auf die Wahlbezirke (§1 Abs2 und §35 Abs3 der Salzburger Landtagswahlordnung 1978) folgende Zahl von Mandaten für die Wahl des Salzburger Landtages entfällt:
Wahlbezirks- Wahlbezirk Zahl der Mandate
nummer
1 Hallein 4
2 Salzburg-Stadt 10
3 Salzburg-Umgebung 9
4 St. Johann im Pongau 5
5 Tamsweg 2
6 Zell am See 6'
Die Vorschriften über das erste Ermittlungsverfahren auf der Ebene der Wahlbezirke finden sich in den §§89 ff LWO. Kraft §89 Abs3 dieses Landesgesetzes ist die Wahlzahl nach dem Hare'schen System zu ermitteln.
Abs5 des §89 LWO legt fest, daß
'Mandate, die bei dieser Verteilung innerhalb des Wahlbezirkes nicht vergeben werden können (Restmandate), sowie Parteistimmen, deren Zahl für die Zuteilung eines oder eines weiteren Mandates an eine Partei nicht ausreicht (Reststimmen), ... der Landeswahlbehörde zu überweisen (sind).'
Die §§94 ff LWO regeln das zweite Ermittlungsverfahren auf der Ebene der Landeswahlbehörde.
Nach §95 Abs1 LWO haben Parteien, denen im ersten Ermittlungsverfahren im ganzen Landesgebiet kein Mandat zugefallen ist, auch im zweiten Ermittlungsverfahren keinen Anspruch auf Zuteilung von Restmandaten.
Die Bundesregierung legte die Auswirkungen dieser im Bundesland Salzburg gegebenen Rechtslage in ihrer dem Verfassungsgerichtshof zugeleiteten Stellungnahme folgendermaßen dar:
'Das ... Wahlsystem hat auf Grund des Umstandes, daß der Salzburger Landtag aus nur 36 Mitgliedern besteht, für kleinere Wahlparteien einschneidende Auswirkungen. Die relativ kleine Zahl der den einzelnen Wahlbezirken (Wahlkreisen) zugewiesenen Mandate bewirkt bei Anwendung des Hare'schen Verfahrens relativ hohe Wahlzahlen im ersten Ermittlungsverfahren und damit im Ergebnis eine relativ hohe 'Grundmandathürde'. Diese Hürde ist allerdings auf Grund der beträchtlichen Unterschiede in der Zahl der den einzelnen Wahlbezirken zugewiesenen Mandate unterschiedlich hoch. Sie reicht von einem Zehntel der abgegebenen Stimmen im Wahlbezirk Salzburg-Stadt bis zu mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen im Wahlbezirk Tamsweg. Im arithmetischen Mittel ergeben sich bei 36 Mandaten und 6 Wahlbezirken 6 Mandate pro Wahlbezirk, somit eine Wahlzahl von ungefähr einem Sechstel der abgegebenen Stimmen. Da zur Teilnahme am zweiten Ermittlungsverfahren das Erreichen eines sog. 'Grundmandats' erforderlich ist, bewirkt das geschilderte Wahlsystem, daß auch wahlwerbende Parteien, die landesweit nennenswerte Anteile an den abgegebenen Stimmen erzielen, von einer Vertretung im Landtag ausgeschlossen bleiben.'
Oberndorfer (in: Oberndorfer/Pernthaler/Winkler, Verhältniswahlrecht als Verfassungsgrundsatz, 1976, S 32) führt zum verfassungsrechtlichen Begriff des Verhältniswahlrechts ua. aus:
'Das Verhältniswahlrecht bildet den Gegensatz zum Mehrheits- oder Minderheitswahlrecht. Beim Mehrheitswahlrecht entscheidet die Stimmenmehrheit in den einzelnen Wahlkreisen, beim Minderheitswahlrecht wird neben der Majorität nur eine, die relativ stärkste Minderheit zur Vertretung zugelassen. Demgegenüber ist beim Verhältniswahlrecht im Prinzip allen politischen Parteien eine Vertretung im Parlament nach Maßgabe ihrer Stärke gesichert (VfSlg. 1381/1931, 1382/1931). Die Zuordnung eines oder mehrerer Mandate innerhalb eines Wahlkreises auf Grund der Mehrheit der Stimmen widerspricht sohin dem Grundsatz des Verhältniswahlrechtes. Eine Landtagswahlordnung, die für die Zuteilung eines oder mehrerer Mandate auf die Stimmenmehrheit, also auf die absolute Stimmenzahl, und nicht auf eine wie auch immer berechnete Proportion zwischen den für die einzelnen wahlwerbenden Parteien abgegebenen Stimmen abstellt, ist verfassungswidrig...
Jedes Verhältniswahlsystem ist zwangsläufig und 'wesensnotwendig' (VfSlg. 1381/1931, 1382/1931, 3653/1959 und 6087/1969) mit der Berechnung einer Wahlzahl verbunden. Eine Verhältniswahl ohne Wahlzahl gibt es nicht. Denn die Aufteilung der Mandate auf die wahlwerbenden Parteien nach Maßgabe ihrer jeweiligen Stimmenzahl setzt die Ermittlung eines Quotienten voraus. Dieser Quotient, die Wahlzahl, bewirkt, daß nur jene wahlwerbenden Parteien, deren Stimmenzahl im Wahlkreis mindestens so groß wie die Wahlzahl ist, ein Mandat erlangen, während wahlwerbende Parteien, die die Wahlzahl nicht erreichen, keinen Anspruch auf Vertretung im parlamentarischen Vertretungskörper besitzen.
In der Art der Ermittlung der Wahlzahl liegt das 'Eigentümliche der Proportional(wahl)technik' (VfSlg. 1381/1931). Das Verfahren zur Ermittlung der Wahlzahl ist zwar dem einfachen Gesetzgeber zur Regelung überlassen (VfSlg. 6563/1971), der dabei jedoch die Grundsätze des Verhältniswahlrechtes sowie die sonstigen Prinzipien eines demokratischen Wahlrechtes im allgemeinen (vgl. VfSlg. 3969/1961) und die besonderen verfassungsrechtlichen Vorkehrungen des Art95 B-VG ... nicht verletzen darf.
Für die Errechnung der Wahlzahl gilt insbesondere, daß sie vom Bemühen um eine objektive Gestaltung der Wahlordnung getragen sein muß. Umgekehrt verbietet sich daher eine Manipulation des Wahlverfahrens durch den einfachen Gesetzgeber in eine bestimmte Richtung. (So schon das auf Ersuchen des Nationalrates von der Innsbrucker Rechtsfakultät ausgearbeitete Rechtsgutachten zur NRWO, auszugsweise abgedruckt bei Klecatsky, Das österreichische Bundesverfassungsrecht2, 226 ff). Eine manipulative und daher verfassungswidrige Gestaltung des Verfahrens zur Ermittlung der Wahlzahl ist insbesondere dann anzunehmen, wenn wahlwerbende Parteien, denen auf Grund der Wahlzahl ein Anspruch auf eines oder mehrere Mandate zukommt, bei Verteilung der Mandate nicht 'nach Maßgabe ihrer Stärke' (VfSlg. 1381/1931, 3653/1959) berücksichtigt werden.'
Nach Walter/Mayer (Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7, 1992, Rz 312) besteht das Verhältniswahlrecht (vgl. Art26 Abs1 B-VG)
' - im Gegensatz zum einfacheren (übersichtlicheren) Mehrheitswahlrecht (bei dem die Mehrheit in den einzelnen Wahlkreisen entscheidet) und im Gegensatz zum Minderheitswahlrecht (das neben der Majorität nur eine einzige Minderheit - die relativ stärkste - zur Vertretung zuläßt) - darin, daß allen politischen Kräften von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament nach Maßgabe ihrer Stärke gesichert wird...'
Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs VfSlg. 8700/1979 (s. auch VfSlg. 8852/1980) heißt es ua. wörtlich:
'Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 8321/1978, S. 371, ausgeführt ..., das B-VG ordne in Art95 für die Wahlen zu den Landtagen die Teilung des Landesgebietes in Wahlkreise an. Das Verhältniswahlrecht für die Wahlen zu den Landtagen ist also (ebenso wie für die Wahlen zum Nationalrat) vom Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation geprägt (vgl. VfSlg. 3653/1959, S. 473).
Dieses verfassungsgesetzliche Gebot ist bei jeder Gestaltung des Verhältniswahlrechtes, bei der der Gesetzgeber im übrigen an kein bestimmtes System gebunden ist (VfSlg. 1381/1931, 1382/1931, 1932/1950, 6563/1971), zu beachten.
Grundgedanke des Verhältniswahlrechtes ist nach Kelsen (Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich, II. Teil, 1919, S. 48), allen politischen Gruppen des Staates eine verhältnismäßige, dh. ihrer ziffernmäßigen Stärke entsprechende Vertretung zu sichern.
Wie der Verfassungsgerichtshof in den grundlegenden Erkenntnissen VfSlg. 1381/1931, S. 222 f., und 1382/1931, S. 231 f., ausgeführt hat, besteht zwar das Verhältniswahlrecht darin, daß allen politischen Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament nach Maßgabe ihrer Stärke gesichert sei, daß aber die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Bedeutung nach den Bestimmungen der Wahlordnung, insbesondere nach den Bestimmungen über die Wahlzahl (für die es wieder von Bedeutung ist, ob die verhältnismäßige Aufteilung der Mandate nach der Verfassung und der Wahlordnung im ganzen Staatsgebiet oder aber in einzelnen Wahlkreisen stattfindet), zu beurteilen sei. Für das Wesen des Verhältniswahlsystems sei somit auch charakteristisch, daß jene kleinen Gruppen, welche die Mindestzahl von Stimmen, die Wahlzahl, nicht erreichen, von der verhältnismäßigen Vertretung ausgeschlossen seien. Diese Mindestzahl, die Wahlzahl, sei mit dem Verhältniswahlsystem wesensnotwendig verknüpft. Nur jene Parteien, die die Wahlzahl erreichen, seien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung. Welche Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung seien, habe der Gesetzgeber zu entscheiden; der Verfassungsgerichtshof habe nur zu prüfen, ob das vom Gesetzgeber aufgestellte Merkmal der zahlenmäßig erheblichen Bedeutung einer Partei mit den Grundsätzen der Verhältniswahl vereinbar sei (S. 226, S. 234).'
Der Verfassungsgerichtshof geht in der vorliegenden Wahlanfechtungssache mit Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung davon aus, daß das Verhältniswahlrecht für die Wahlen zu den Landtagen vom (Verfassungs )Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation beherrscht ist (s. Art95 Abs3 Satz 1 B-VG idF der BVG BGBl. 470/1992 und 504/1994: 'Die Wähler üben ihr Wahlrecht in Wahlkreisen aus, ...').
So gesehen, scheint es, daß jedenfalls im Wahlkreis Tamsweg für die Erlangung eines Grundmandats im ersten Ermittlungsverfahren im Regelfall mehr als 50 % der abgegebenen Stimmen notwendig sind (vgl. §89 Abs3 LWO zur Berechnung der Wahlzahl), ohne daß dieses Erfordernis in einem späteren Ermittlungsverfahren - auf welche Weise immer - aufgefangen und ausgeglichen werden könnte.
Damit dürfte dort aber die gesetzliche Grundmandatshürde weitestgehend jenen Anforderungen entsprechen, die ein Mehrheitswahlsystem kennzeichnen, wie es für Landtagswahlen verfassungsgesetzlich nicht zulässig ist, und zwar in Verbindung damit, daß alle nicht die Mehrheit bildenden Stimmen (auch) im zweiten Ermittlungsverfahren vollkommen unberücksichtigt bleiben und endgültig verloren gehen, sofern der entsprechenden Partei im ganzen Landesgebiet kein (Grund )Mandat zufiel.
Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, daß Wählergruppen, die im ersten Ermittlungsverfahren kein Mandat erreichten, auch im zweiten Ermittlungsverfahren keinen Anspruch auf Mandatszuweisung haben, dürften nämlich nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 8700/1979, S 378 f) nur dann nicht bestehen, wenn das erste Ermittlungsverfahren in seinen einzelnen Komponenten (Wahlkreiseinteilung, Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise, Zuteilung der Mandate an die Wahlparteien) und im Zusammenspiel dieser Komponenten unter dem Gesichtspunkt des Verhältniswahlrechts unbedenklich gestaltet ist.
Gerade dies aber scheint nach dem eingangs Gesagten - angesichts des Umstands, daß dem Wahlkreis Tamsweg nur zwei Mandate zugewiesen sind und Parteien, denen im ersten Ermittlungsverfahren im ganzen Landesgebiet kein Mandat zufiel, auch im zweiten Ermittlungsverfahren keinen Anspruch auf Restmandate haben (§95 Abs1 LWO) - hier nicht der Fall zu sein.
Dabei ist zu beachten, daß es der Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation anscheinend ausschließt, die Ausstattung des Wahlbezirks Tamsweg (mit bloß zwei Mandaten) deswegen zu vernachlässigen, weil es im Bundesland Salzburg auch größere Wahlkreise gibt.
Im übrigen führte die Bundesregierung in ihrer Übersicht der vor dem Inkrafttreten des B-VG 1920 erlassenen republikanischen Wahlordnungen keinen Kleinwahlkreis an, der mit dem Wahlkreis Tamsweg in den hier ausschlaggebenden Punkten vergleichbar wäre.
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang schließlich auch auf den 3. Satz des Art95 Abs3 B-VG idF des BVG BGBl. 470/1992, der dem Grundsatz des Verhältniswahlrechts - nach den Gesetzesmaterialien - in gesteigertem Maße Rechnung tragen sollte.
Des weiteren ist festzuhalten, daß der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 8852/1980 (S 519) unter Bezugnahme auf Fachliteratur aussprach, es könne die fortlaufende Reduzierung der Zahl der in einem Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten eine Grenze erreichen, von der ab die Disproportion zwischen Stimmen und Mandaten so groß sei, daß aufgrund dieser veränderten Auswirkung einer anderen als der verfassungsgesetzlichen Repräsentationsvorstellung entsprochen werde, somit eine (extreme) Verkleinerung der Wahlkreise auf einen Wahlsystemwechsel zur Mehrheitswahl hinauslaufe."
1.6.3.1. Die Salzburger Landesregierung gab eine schriftliche Stellungnahme ab, in der sie abschließend und zusammenfassend wörtlich ausführte:
"Die Salzburger Landesregierung vertritt ... für den Fall, daß der Antrag als zulässig beurteilt werden sollte, die Ansicht, daß das Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich des Art13 Abs2 L-VG sowie der §§1 Abs2 und 10 LWO mangels Präjudizialität und hinsichtlich der in Prüfung gezogenen Wortfolgen in den §§94 Abs1 und 95 Abs2 LWO sowie des §95 Abs1 LWO als unbegründet einzustellen wäre. Sollte die Präjudizialität der (eingangs) genannten Bestimmungen als gegeben beurteilt werden, wird eventualiter auch hinsichtlich dieser Bestimmungen die mangelnde Begründetheit der Bedenken geltend gemacht."
1.6.3.2. Dazu langte eine Replik der anfechtenden Wählergruppe des Anlaßverfahrens mit dem "Antrag" ein, "der Verfassungsgerichtshof wolle die in Prüfung gezogenen Verfassungs- und Gesetzesstellen als verfassungswidrig aufheben."
2. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen
2.1.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch zu den Landtagen. Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens - und zwar auch auf die Verfassungswidrigkeit der zugrundegelegten Wahlvorschriften (VfSlg. 10178/1984) - gestützt werden.
Nach §67 Abs2 VerfGG 1953 sind zur Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern Wählergruppen (Parteien) berechtigt, die bei einer durch die Wahlordnung vorgeschriebenen Wahlbehörde Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl rechtzeitig vorlegten, und zwar durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung "binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens ... eingebracht" werden.
2.1.1.2. Die Wahlanfechtung der Wählergruppe Liberales Forum - Heide Schmidt erfüllt diese Voraussetzungen, sie ist zulässig.
2.1.2.1.1. Zur Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Vorschriften brachte die Salzburger Landesregierung vor:
"Die anfechtende Wählergruppe beantragt, die am 13. März 1994 durchgeführte Wahl zum Salzburger Landtag 'vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an' aufzuheben. Dies hat für das von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zur Folge, daß der Prüfungsumfang auf die dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegenden Bestimmungen eingeschränkt ist. Diese Einschränkung entspricht der einhelligen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes; für ein Abgehen - wie dies im Prüfungsbeschluß angedeutet worden ist - wird keine Begründung und auch keine Grundlage im Art140 Abs1 B-VG gesehen. Die für den Verfassungsgerichtshof bestehende Beschränkung des Überprüfungsthemas auf die behauptete Rechtswidrigkeit schließt nach der Judikatur des Höchstgerichtes (VfSlg. 8321/1978) nicht aus, daß auch alle jene weiteren Gesetzesstellen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen sind, die bei der Entscheidung über die Wahlanfechtung anzuwenden sind. Auf Grund des Antrages der anfechtenden Wählergruppe ist diese Prüfungsbefugnis jedoch eingeschränkt auf das Ermittlungsverfahren und die bei der Prüfung des Ermittlungsverfahrens anzuwendenden Bestimmungen. In diesem Zusammenhang wird zur Unterstützung dieser Ansicht aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 8321/1978 folgender Abschnitt wörtlich zitiert:
'Die im Prüfungsbeschluß dargelegte vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes trifft zu, daß die Beschränkung seiner Überprüfunsbefugnis im Wahlanfechtungsverfahren auf die behauptete Rechtswidrigkeit (also hier ab Beginn des Mandatsverteilungsverfahrens) es nicht nur ausschließt, die Gesetzmäßigkeit anderer Abschnitte des Wahlverfahrens einer Überprüfung zu unterziehen, sondern es auch nicht erlaubt, die Gesetzesbestimmungen, die nur diesen anderen Verfahrensabschnitten und nicht auch dem Mandatsverteilungsverfahren zugrunde liegen, auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.'
Nicht präjudiziell sind im Hinblick auf das zu prüfende Ermittlungsverfahren Art13 Abs2 L-VG sowie §1 Abs2 und §10 LWO. Hinsichtlich dieser Bestimmungen wäre das Gesetzesprüfungsverfahren wegen fehlender Präjudizialität daher wieder einzustellen. Jede andere Beurteilung der Präjudizialität würde zu dem unvertretbaren Ergebnis führen, daß immer der gleiche Prüfungsumfang besteht, gleichgültig, ob die Rechtmäßigkeit des gesamten Wahlverfahrens hinsichtlich der gesetzlichen Grundlagen in Zweifel gezogen wird oder die Prüfung der Rechtmäßigkeit ausdrücklich auf das Ermittlungsverfahren eingeschränkt wird. Der Anfechtungsantrag ist ja überhaupt die Voraussetzung dafür, daß der Verfassungsgerichtshof in die Lage kommt, eine Gesetzesprüfung durchzuführen. Auch von einem möglichen Ergebnis des Gesetzesprüfungsverfahrens - Feststellung von Mängeln in den das erste Ermittlungsverfahren betreffenden Bestimmungen - her gesehen, zwingt nicht(s) zur Annahme einer über die §§94 Abs1 und 95 Abs1 und 2 hinausgehenden Präjudizialität. Durch eine allfällige (teilweise) Aufhebung dieser Bestimmungen allein könnte die vorläufig angenommene Verfassungswidrigkeit behoben werden."
2.1.2.1.2. Die Wählergruppe Liberales Forum - Heide Schmidt äußerte sich zu dieser Rechtsansicht der Salzburger Landesregierung wie folgt:
"Art95 B-VG normiert in seinem Abs3 für die Landtagswahlordnungen dieselben Prinzipien wie jene, die Art26 B-VG für die NRWO aufstellt. Insbesondere der dritte Satz des Art95 Abs3 weist darauf hin, daß die in der NRWO 1992 gefundene Lösung des dargestellten Gleichheitsproblems auch von den Landesverfassungen angewendet werden soll. Art13 Abs2 L-VG entspricht diesem Erfordernis nicht, sodaß die Bedenken, die der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß vom 11. Oktober 1994 geäußert hat, durchaus berechtigt sind. Es kann daher den Ausführungen in der Äußerung der Salzburger Landesregierung vom 21. Dezember 1994, daß nämlich kein Grund zur Überprüfung der Übereinstimmung dieser Verfassungsgesetzesstelle mit der Bundesverfassung vorliege, nicht gefolgt werden. Ebensowenig kann der genannten Äußerung dahingehend gefolgt werden, daß die §§1 Abs2 und 10 LWO nicht präjudiziell für das gegenständliche Verfahren seien. Aufgrund des §1 Abs2 LWO kam doch der Wahlkreis Tamsweg zustande, der eindeutige Charakteristika des Mehrheitswahlrechtes zeigt und schon aus diesem Grund als verfassungsrechtlich äußerst bedenklich angesehen werden muß. Das Argument, daß es im Lungau ein ausgeprägtes Bezirksbewußtsein gebe, kann ein verfassungswidriges Wahlrecht nicht rechtfertigen. Es ist den Wählern im Bezirk Lungau wohl kaum zu unterstellen, daß sie damit einverstanden sind, daß ihre Stimme weniger zählt als die Stimme eines Wählers eines anderen Bezirkes in Salzburg. Derart ausgeprägt dürfte das Bezirksbewußtsein wohl kaum sein."
2.1.2.2.1. Entgegen der Rechtsmeinung der Salzburger Landesregierung sind für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht nur (ein Teil des) §94 Abs1, ferner §95 Abs1 und (ein Teil dessen) Abs2 LWO, sondern alle in Prüfung gezogenen landesgesetzlichen Vorschriften im Wahlanfechtungsverfahren präjudiziell.
Nach dem drittletzten Satz des Art141 Abs1 B-VG kann eine Wahlanfechtung auf die "behauptete" Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden. Dazu bestimmt §67 Abs1 Satz 1 VerfGG 1953, daß "Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern ... wegen jeder behaupteten Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erhoben werden (können)". Demgemäß hat der Verfassungsgerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung ein Wahlverfahren nur innerhalb der durch die Anfechtungserklärung (in der Anfechtungsschrift) gezogenen Grenzen zu überprüfen (zB VfSlg. 8852/1980, 12289/1990; vgl. auch VfSlg. 9093/1981), darüber hinaus aber keiner weiteren Überprüfung zu unterziehen (zB VfSlg. 8700/1979, 8852/1980).
In der Wahlanfechtungsschrift wird als einziger Anfechtungsgrund geltend gemacht, daß die Landtagswahl in Handhabung verfassungswidriger, vor allem dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widersprechender landesgesetzlicher Vorschriften vor sich gegangen sei. Anders als in dem der Entscheidung VfSlg. 8321/1978 (s. S 365, 367) zugrundeliegenden Rechtsfall hat die Anfechtungswerberin daher im Anlaßverfahren nicht nur den (Wahl )Verfahrensabschnitt ab dem Beginn des Ermittlungsverfahrens als rechtswidrig bezeichnet, sondern die gesamte Landtagswahl, soweit sie nach Vorschriften abgehalten worden sei, die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widersprochen hätten, als rechtswidrig gerügt. Das ergibt sich deutlich aus dem Wortlaut der Anfechtungsschrift (S 5). Darin heißt es nämlich ua.:
"Die Salzburger Landtagswahl wurde auf der Grundlage von verfassungswidrigen landesgesetzlichen Bestimmungen (der §§1 Abs1, 2 Abs1, 89 Abs3 und 4 und 95 Abs1 LWO) und auf der Grundlage einer im Widerspruch zur Bundesverfassung stehenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmung (des Art13 L-VG) durchgeführt."
Der Verfassungsgerichtshof hatte zu berücksichtigen, daß bei Zutreffen der im Prüfungsbeschluß geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zur Erzielung einer verfassungsgemäßen Rechtslage mehrere, nach wahlrechtspolitischen Vorgaben zu bejahende oder zu verneinende unterschiedliche Wege mit unterschiedlichen Ergebnissen offen stünden. Die damit notwendig verbundene politische Entscheidung, auf welche Weise das Wahlrecht zum Landtag in Entsprechung der Vorschriften des B-VG zu gestalten sei (etwa Änderung der Wahlbezirke, Einführung einer Ausgleichsregelung), kommt dem Landesgesetzgeber zu: Der Verfassungsgerichtshof muß infolgedessen - will er nicht selbst einen dieser Wege einschlagen und so dem Landtag vorgreifen - den Umfang der auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu untersuchenden präjudiziellen landesgesetzlichen Bestimmungen so weit ziehen, daß - gegebenenfalls - die gesetzgebende Körperschaft ihre rechtspolitischen Vorstellungen grundsätzlich auch mit Wirkung für jenes Wahlanfechtungsverfahren zur Geltung bringen könnte, das Anlaß zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hatte. Daraus leitet sich aber ein Umfang der zu prüfenden Vorschriften ab, wie ihn der Beschluß vom 11. Oktober 1994 festlegt.
Demgemäß erstreckt sich das Prüfungsthema entgegen der Auffassung der Salzburger Landesregierung nicht nur auf die Bestimmungen der LWO über die Mandatsverteilung, es erfaßt vielmehr (auch) jene weiteren in Prüfung genommenen landesgesetzlichen Vorschriften, aus denen sich die - strittige - Beschaffenheit des Salzburger Wahlsystems mit ergibt.
Der aus Art140 Abs1 Satz 1 B-VG erfließenden Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofs zur (amtswegigen) Überprüfung aller bei der Entscheidung über die Wahlanfechtung anzuwendenden Vorschriften steht auch nicht entgegen, daß die anfechtende Partei nur einen Teil davon in ihrer Anfechtungsschrift ausdrücklich als verfassungsrechtlich bedenklich nannte (VfSlg. 8321/1978).
Für den vorliegenden Fall folgt aus all dem, daß der Verfassungsgerichtshof sämtliche in seinem Beschluß vom 11. Oktober 1994, GZ WI-1/94-18, bezeichneten, ihm verfassungsrechtlich bedenklich erscheinenden Gesetzesstellen, weil er sie bei der Entscheidung über die Wahlanfechtung in den Grenzen der behaupteten Rechtswidrigkeit, di. hier die Wahldurchführung aufgrund mehrerer dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zuwiderlaufender und damit verfassungswidriger Vorschriften, anwenden muß, jedenfalls und ausnahmslos von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen hat.
Für das Normenkontrollverfahren, insbesondere für die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Landesvorschriften bedeutungslos ist damit auch die vom Verfassungsgerichtshof im Beschluß vom 11. Oktober 1994, GZ WI-1/94-18, aufgeworfene Frage nach den Auswirkungen des eingeschränkten, keine Wiederholungswahl anstrebenden Antrags in der Wahlanfechtungsschrift gemäß §67 Abs1 Satz 2 VerfGG 1953 auf das Wahlanfechtungsverfahren.
Ebensowenig wie die Nennung bedenklich erachteter Gesetzesstellen in der Anfechtungsschrift kann schließlich ein etwa zu eng gehaltener Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens iSd §67 Abs1 Satz 2 VerfGG 1953 den Verfassungsgerichtshof an der (amtswegigen) Prüfung aller jener Normen hindern, die er bei seiner Entscheidung über die Wahlanfechtung in den Grenzen der behaupteten Rechtswidrigkeit (des Wahlverfahrens) anzuwenden hat.
Die Auffassung der Salzburger Landesregierung, daß der Prüfungsumfang angesichts des eingeschränkten Aufhebungsantrags der Anfechtungswerberin auf die das Ermittlungsverfahren regelnden landesgesetzlichen Wahlbestimmungen beschränkt sei, trifft daher nicht zu. Die Regierung beruft sich in dieser Beziehung zu Unrecht auf eine "einhellige Rechtsprechung" des Verfassungsgerichtshofs und läßt außer acht, daß der Prüfungsumfang, wie schon dargetan, durch die geltend gemachte Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens, nicht aber durch den in die Anfechtungsschrift aufzunehmenden Aufhebungs(=Nichtigerklärungs )Antrag umrissen wird. Auf das von ihr bezogene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs VfSlg. 8321/1978 kann sich die Landesregierung schon deshalb nicht berufen, weil darin die Frage, ob und wie sich der Umfang des in der Anfechtungsschrift enthaltenen Aufhebungsantrags auf das Gesetzesprüfungsverfahren auswirkt, keine Rolle spielte.
2.1.2.2.2. Aus diesen Erwägungen ist (auch) das Gesetzesprüfungsverfahren in seinem gesamten, mit dem Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 11. Oktober 1994, GZ WI-1/94-18, bestimmten Umfang zulässig.
2.2. Zur Sache
2.2.1.1. Zu den "inhaltlichen Bedenken" des Verfassungsgerichtshofs legt die Salzburger Landesregierung ua. dar:
"Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes obliegt es dem Höchstgericht, die vom einfachen Gesetzgeber vorgenommene Gestaltung des Wahlrechtes - unter Bedachtnahme auf den Prüfungsgegenstand - dahin zu prüfen, ob es in seiner Gesamtheit in einer Weise geregelt ist, daß dem Grundsatz der Verhältniswahl entsprochen ist, Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament zu sichern. Die konkret gegen Bestimmungen des L-VG und der LWO erhobenen Bedenken gehen dabei in die Richtung, daß eine unter dem Gesichtspunkt der Verhältniswahl sehr restriktive Ausgestaltung des ersten Ermittlungsverfahrens (Wahlkreiseinteilung, Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise, Zuteilung der Mandate an die Wahlparteien) nicht im zweiten Ermittlungsverfahren ausgeglichen ist.
Dazu ist einleitend auf das wesentliche Merkmal des Verhältniswahlrechtes einzugehen, allen politischen Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament nach Maßgabe ihrer Stärke zu sichern. In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang entschieden, daß die entscheidende Frage, ab welcher Größe eine solche zahlenmäßige Bedeutung anzunehmen sei, vom Gesetzgeber in der jeweiligen Wahlordnung zu beantworten ist (z.B. VfSlg. 8852/1980, 9224/1981). Ein Anhaltspunkt für die Abschätzung, welcher Partei jedenfalls zahlenmäßige Bedeutung zukommen wird, könnte in der Umlegung der Zahl der zu vergebenden Mandate auf das gesamte Wahlgebiet erblickt werden. Für eine Nationalratswahl bedeutet dies, daß bei 183 zu vergebenden Mandaten eine Partei zumindest bei 0,546 Prozent an österreichweit erreichten Stimmen als zahlenmäßig bedeutend angesehen werden könnte. Dieses Ergebnis entspricht jedoch nicht dem Erfordernis, eine starke Zersplitterung der Stimmen zu vermeiden, um die Regierbarkeit eines Gemeinwesens sicherzustellen (vgl. dazu Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, FN 31 auf S. 238). Vom Gesetzgeber ist daher in der NRWO 1992 im §100 Abs1 die Einschränkung vorgesehen, daß nur Parteien, die österreichweit mindestens 4 % der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben, am zweiten Ermittlungsverfahren teilnehmen. Die Untergrenze, ab der eine Partei beginnt, als zahlenmäßig erheblich zu gelten, ist also mit dem Siebenfachen (genau: 7,32) dessen festgelegt worden, was dem eigentlichen rechnerischen Gewicht eines Mandates entspricht. Ausgehend von den in der LWO vorgegebenen sonstigen Voraussetzungen (36 Mandate) käme eine gleich gewichtete Wertung für das zweite Ermittlungsverfahren bei der Landtagswahl einer Prozenthürde von 20,3 % gleich (7,32 x 2,778 %). Dieser gewiß oberflächliche Vergleich zeigt bereits, daß dem Gesetzgeber auch im Rahmen des Verhältniswahlrechtes ein großer Spielraum bei der Abwägung verbleibt, welcher Partei zahlenmäßig erhebliche Bedeutung beigemessen wird. Die 4 % Schranke der NRWO ist daher mit einer 4, 5 oder 6 % Schranke in der LWO nicht vergleichbar. Der LWO liegt ohne Zweifel die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, nur Parteien mit einem vergleichsweise hohen Stimmenanteil eine Vertretung im Landtag zu sichern. Die entsprechenden Festlegungen (z.B. Vergabe von 36 Mandaten, Einteilung in sechs Wahlkreise, Vergabe der Mandate im ersten Ermittlungsverfahren nach Hare anstatt z.B. nach Hagenbach-Bischoff, Grundmandatshürde) bewirken, daß auch Parteien mit einem landesweiten Prozentanteil von fünf oder sechs Prozent von der Vertretung im Landtag ausgeschlossen sein können.
Diese unbestrittene Wirkung der einzelnen Bestimmungen der LWO liegt jedoch noch innerhalb des von der Verfassung dem Gesetzgeber eingeräumten Spielraumes bei der Festlegung dessen, ab welcher Grenze von einer zahlenmäßig erheblichen Bedeutung einer wahlwerbenden Gruppe auszugehen ist. Insbesondere kann in dieser Auswirkung noch keine Annäherung an ein Mehrheitswahlsystem gesehen werden, da für ein solches die Vergabe aller in einem Wahlkreis zu vergebenden Mandate an die dort stärkste Partei typisch ist (Majoritätswahlsystem). Dieses Wahlsystem begünstigt und bewirkt wesensgemäß die Bildung starker Mehrheiten. Eine solche, mit dem bundesverfassungsrechtlichen Grundsatz des Verhältniswahlrechtes in Widerspruch stehende Wirkung kann der LWO bei gesamthafter Betrachtung unter Miteinbeziehung des Wahlergebnisses der letzten Landtagswahl nicht unterstellt werden, da im Salzburger Landtag vier Parteien vertreten sind, von denen keine über eine absolute Mandatsmehrheit verfügt. Vom Ergebnis her betrachtet ist es daher ausgeschlossen, der LWO eine dem Mehrheitswahlrecht ähnliche Wirkung beizumessen, da das Zusammenwirken aller Bestimmungen offenkundig nicht zur Bildung starker Mehrheiten führt. Ein derartiges Ergebnis müßte jedoch typischerweise vorliegen, wenn das vom Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 11. Oktober 1994 befürchtete 'Kippen' von der Verhältniswahl zur Mehrheitswahl bereits eingetreten wäre...
Die durch Art13 L-VG vorgegebene und in der LWO übernommene Einteilung der Wahlkreise - ident mit den politischen Bezirken - ist in dieser Form erstmals im Jahr 1978 vorgenommen worden. Vorher (d.h. in der jüngeren Vergangenheit seit der LWO LGBl. 28/1949) bildete das gesamte Landesgebiet einen Wahlkreis, der lediglich zum Zweck der Abwicklung der Wahl in Wahlbezirke eingeteilt war. Diesen Wahlbezirken kam bei der Mandatsverteilung keine Bedeutung mehr zu. Mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Juni 1978, G11/78, wurde eine vergleichbare Regelung in der burgenländischen LWO mit der Begründung aufgehoben, daß für alle Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen in Österreich das Gebiet, für das der zu wählende Vertretungskörper bestimmt ist, räumlich zu gliedern sei. Aus diesem Grund sieht die im gleichen Jahr erlassene Salzburger LWO die Aufwertung der Wahlbezirke zu Wahlkreisen vor, wenn auch die Bezeichnung 'Wahlbezirk' gleichgeblieben ist. Die aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene Aufteilung des Landesgebietes in Wahlkreise folgte der Einteilung des Landes in politische Bezirke und wurde keinesfalls willkürlich vorgenommen (VfGH 20.6.1980 WI-8/79, 8.12.1979 WI-1/79). Sie umfassen in sich geschlossene Gebiete, die seit altersher jeweils auch eine politische Einheit darstellen... Diese alte Gliederung führte zu einem Bezirksbewußtsein, das insbesondere auch durch die geografischen und regionalen Gegebenheiten mitbestimmt wurde (z.B. die besondere geografische Lage des Lungaues). Eine Eingliederung des Wahlbezirkes Lungau in einen Wahlbezirk Pongau-Lungau ist aus landespolitischen Gründen im Hinblick auf die gewünschte Eigenständigkeit und Identität der politischen Bezirke undenkbar.
Die Zuteilung der Mandate an diese Wahlkreise erfolgt gemäß Art95 Abs3 B-VG entsprechend der Bürgerzahl (§2 Abs2 LWO). Da für die Aufteilung der Mandate daher eine weitgehende bundesverfassungsrechtliche Vorgabe besteht, können auch gegen die entsprechend dieser Vorgabe erfolgte Zuteilung der Mandate gemäß der Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 24. Februar 1993, LGBl. 40, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Aus dieser Zuteilung resultiert weiters, daß ein Mandat im ersten Ermittlungsverfahren in allen Wahlbezirken annähernd gleich viele Stimmen erfordert.
Dem Verfassungsgerichtshof ist darin beizupflichten, daß bei einer fortlaufenden Reduktion der Zahl der in einem Wahlkreis zu vergebenden Mandate eine bestimmte Grenze erreicht wird, bei deren Überschreiten ein Wahlsystem nicht mehr für sich in Anspruch nehmen kann, den Grundsätzen der Verhältniswahl zu genügen. An dieser Stelle darf aber angemerkt werden, daß auf den Wahlbezirk Tamsweg seit der LWO aus 1978 unverändert und unangefochten zwei Mandate entfallen (siehe die Kundmachungen über die Zahl der auf jeden Wahlbezirk entfallenden Mandate für die Wahl des Salzburger Landtages LGBl. 3/1979, 37/1982 und 40/1993). Demgegenüber wird in reinen Mehrheitswahlsystemen in der Regel nur ein Mandat je Wahlkreis vergeben, und zwar an die dort absolut oder relativ stimmenstärkste Partei (Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 169). Für einen Systemwandel wäre daher erforderlich, daß in doch der überwiegenden Zahl der Wahlkreise nur mehr ein Mandat oder auch mehrere Mandate nur an die stimmenstärkste Partei vergeben werden. Die Grenze zwischen Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht wird jedoch noch nicht dadurch überschritten, daß in einem von sechs Wahlkreisen die Wahlzahl (nach Hare) mehr als 50 % der abgegebenen gültigen Stimmen beträgt. Eine solche Auswirkung kann in einwohnerschwachen Wahlkreisen entstehen. Auf diesem Weg wird jedoch keines der wesentlichen Kriterien des Mehrheitswahlsystems erfüllt. Gerade in der Frage eines grundsätzlichen Wahlsystemwechsels kann keinesfalls auf die isolierte Betrachtung nur eines Wahlkreises abgestellt werden, da hier doch die Auswirkung auf das gesamte Wahlergebnis mit in Betracht zu ziehen ist. Dem kleinsten Wahlkreis (Tamsweg) stehen in Salzburg auch bevölkerungsstarke große Wahlkreise gegenüber (Salzburg-Stadt oder Salzburg-Umgebung), denen verhältnismäßig viele Mandate zugewiesen sind (10 bzw. 9), sodaß dort das Erreichen der Wahlzahl relativ erleichtert ist. Die Wahlzahlen im ersten Ermittlungsverfahren liegen zwischen 5.987 und 8.053 und sind damit relativ nieder. Insgesamt ist damit sichergestellt, daß eine Partei von (nach der Beurteilung des Gesetzgebers) zahlenmäßig erheblicher Bedeutung im Landtag vertreten ist. Dies wird auch durch das Wahlergebnis der letzten Landtagswahl bestätigt. Die Ausstattung des Wahlbezirkes Tamsweg mit bloß zwei Mandaten kann daher für sich keine Verfassungswidrigkeit bedeuten.
Die Zahl der den einzelnen Wahlbezirken zugewiesenen Mandate hängt auch von der Gesamtzahl der Abgeordneten des Salzburger Landtages ab. Die Landesverfassung legt sie mit 36 fest. Dies entsprach auch der für Länder mit einer Bürgerzahl bis 500.000 bis zur B-VG-Novelle BGBl. 539/1977 noch geltenden Höchstzahl des Art95 Abs4 B-VG. Noch unter der Geltung dieser Höchstgrenze war die Mandatszahl 1972 von 32 auf 36 erhöht worden (LGBl. 98/1973). Diese Zahl war und ist im österreichischen Vergleich der Bürgerzahlen in den Bundesländern verhältnismäßig hoch. Unter dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe in Verbindung mit den ebensolchen Vorgaben der Gliederung des Landesgebietes in Wahlkreise und der Aufteilung der Mandate auf die Wahlkreise nach der Bürgerzahl sind Wahlkreise mit nur geringer Bürgerzahl und daher auch nur wenigen zugewiesenen Mandaten eine geradezu unvermeidliche Konsequenz, besonders wenn die historisch gewachsenen Bezirke bedacht werden. Dazu ist zu erwähnen, daß der Lungau (politischer Bezirk Tamsweg) nach der Landtagswahlordnung LGBl. 30/1922 bei insgesamt vier Wahlkreisen neben dem Flachgau, Tennengau und Stadt Salzburg sowie Pongau-Pinzgau einen eigenen Wahlbezirk bildete mit nur einem zugewiesenen Mandat. Schließlich ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß durch die relativ hohe Anzahl an Abgeordneten zum Salzburger Landtag die Zahl der für ein Grundmandat im Landtag erforderlichen Stimmen, an absoluten Zahlen gemessen, weit unter den für ein Mandat zum Nationalrat erforderlichen Stimmen liegt...
Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgeführt, daß es für das Wesen des Verhältniswahlsystemes charakteristisch ist, daß von der verhältnismäßigen Vertretung jene Gruppierungen ausgenommen werden sollen, die nicht einmal eine Mindestanzahl an Stimmen, die sogenannte Wahlzahl, erreichen. Das Erfordernis, ein solches Grundmandat zu erreichen, wird geradezu als eine der Verfassungsrechtslage gemäße notwendige Einschränkung des Verhältniswahlprinzipes bezeichnet (VfGH 28.2.1991 WI-12/90). Die Beurteilung der Frage, welche Partei von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung ist, wird von der Verfassung dem einfachen Wahlgesetz überlassen.
Seit VfSlg. 1381/1931 wird eine Grundmandatsregelung vom Verfassungsgerichtshof nicht als im Widerspruch zum Verhältniswahlrecht stehend angesehen. Dies gilt auch dann, wenn die durch die geringe Größe der Wahlkreise bewirkte 'Grundmandatshürde' wie nach der NRWO 1923 - diese lag dem Erkenntnis VfSlg. 1381 zugrunde - relativ hoch ist.
Eine dem gegenständlichen Verfahren ähnliche Rechtsfrage liegt dem Erkenntnis VfSlg. 3653 zugrunde. In diesem Erkenntnis ist die Bestimmung des §97 Abs1 NRWO 1959 vom Verfassungsgerichtshof geprüft worden, die ebenfalls zum Inhalt hatte, daß nur jene Parteien am zweiten Ermittlungsverfahren teilnehmen dürfen, denen im ersten Ermittlungsverfahren ein Mandat zugefallen ist. Ein Widerspruch zu den Erfordernissen der Verhältniswahl ist in diesem Erkenntnis vom Verfassungsgerichtshof geprüft und nicht gesehen worden. Im Gegenteil wird ausdrücklich hervorgehoben, daß eine Bestimmung mit diesem Inhalt dem wesentlichen Zweck jeder Wahl entspricht, nämlich ein arbeitsfähiges Parlament zu schaffen.
Diese ganz übereinstimmende und ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (z.B. VfSlg. 6087, 8852, 12647) findet auch in den durch die Novelle zum Bundes-Verfassungsgesetz BGBl. 470/1992 geänderten verfassungsrechtlichen Grundlagen des Nationalrats- und Landtagswahlrechtes ihre weitere Grundlage. Eine Verpflichtung des Landesgesetzgebers, zwingend eine Prozentklausel für das zweite Ermittlungsverfahren vorzusehen, kann insbesondere nicht aus der Einfügung im Art95 Abs3 B-VG abgeleitet werden, wonach die Landtagswahlordnung ein abschließendes Ermittlungsverfahren im gesamten Landesgebiet vorsehen kann, durch das sowohl ein Ausgleich der den wahlwerbenden Parteien in den Wahlkreisen zugeteilten als auch eine Aufteilung der noch nicht zugeteilten Mandate nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erfolgt. Das bedeutet zunächst, daß ein derartiges abschließendes Ermittlungsverfahren zur landesweiten Vergabe der noch nicht verteilten Mandate sowie zum Ausgleich der in den Wahlkreisen bereits zugeteilten Mandate in den Landtagswahlordnungen nur vorgesehen werden kann, nicht aber muß. (Es ist erstaunlich, ja erschreckend, wie die Ausführungen im Bericht des Verfassungsausschusses des Nationalrates, 602 BlgStProtNR, XVIII. GP, aus dem klaren gesetzlichen Wortlaut eine Verpflichtung des Landesgesetzgebers zur Einrichtung eines landesweiten Ermittlungsverfahrens machen.) Von der Bundesverfassung her kann daher auch nur mit einem einzigen Ermittlungsverfahren das Auslangen gefunden werden. Dabei ist eine Regelung, etwa die Verteilung nach dem d'Hondtschen Verhältniswahlsystem, zu treffen, die zur Zuteilung aller Mandate in den einzelnen Wahlkreisen führt. Es liegt auf der Hand, daß in einem solchen Verfahren die in den einzelnen Wahlkreisen stimmenschwächeren wahlwerbenden Parteien relativ schwerer zu einem Mandat kommen. So gesehen hat das Verhältniswahlprinzip für die Landtagswahlordnungen durch die zitierte B-VG-Novelle eine erhebliche Modifikation erfahren. Die Zulässigkeit eines solchen Wahlsystems mit nur einem Ermittlungsverfahren in den Wahlkreisen ist jedenfalls klargestellt.
Wird ein abschließendes Ermittlungsverfahren im gesamten Landesgebiet vorgesehen, hat dieses den Vorgaben des Art95 Abs3 dritter Satz B-VG zu entsprechen, also auch zu einer Aufteilung der noch nicht zugeteilten Mandate nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu führen. Aus dieser Bestimmung ist aber ebensowenig wie aus der ähnlich lautenden (hier jedoch für den einfachen Gesetzgeber verpflichtenden) Bestimmung des Art26 Abs2 vorletzter Satz B-VG abzuleiten, daß aus verfassungsrechtlichen Gründen für die Teilnahme an diesem landes- bzw. bundesweiten Ermittlungsverfahren das Überschreiten einer bestimmten Prozentschranke ausschlaggebend sein müßte. Eine Regelung des Inhaltes, daß die Teilnahme am zweiten Ermittlungsverfahren die Zuteilung eines Mandates im ersten Ermittlungsverfahren zur Voraussetzung hat, entspricht daher weiterhin dem in der Verfassung zugrundegelegten Verhältniswahlrecht. Dazu trägt auch bei, daß, wie bereits ausgeführt, auch nur ein einziges Ermittlungsverfahren verfassungsmäßig wäre und die Erreichung eines Mandates dabei für stimmenschwächere Wahlparteien voraussetzt, daß die Abstände zu den stimmenstärkeren nicht zu groß sind.
Der vom Verfassungsgerichtshof im Beschluß vom 11. Oktober 1994 dargelegten Auffassung wird zugestimmt, daß eine Grundmandatshürde im zweiten Ermittlungsverfahren voraussetzt, daß das erste Ermittlungsverfahren bereits den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes Rechnung trägt. Insbesondere muß das erste Ermittlungsverfahren sicherstellen, daß zahlenmäßig erhebliche Stimmenanteile nicht unberücksichtigt bleiben. Andererseits ist aber gerade dem Verhältniswahlrecht in der Ausprägung, die das österreichische Verfassungsrecht in seiner langen Geschichte erfahren hat (vgl. z.B. Liehr, Die Gestaltung des Verhältniswahlrechtes für die Wahl des Nationalrates, ÖJZ 1971, S. 85 ff), der Gesichtspunkt immanent, daß die Vertretung von Klein- und Kleinstparteien im Parlament möglichst restriktiv gehandhabt werden soll. Die erste in diese Richtung gehende Einschränkung wird bereits durch die - von der Verfassung vorgegebene - Einteilung des Wahlgebietes in Wahlkreise bewirkt. Weitere, in den Wahlgesetzen enthaltene Einschränkungen sind vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur bestätigt worden (z.B. Grundmandat - VfSlg. 1381/1931, 8852/1980). Diese Judikatur ist vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund zu sehen, daß die grundlegende Entscheidung, ab welcher Größe Parteien als zahlenmäßig bedeutend anzusehen sind, dem Gesetzgeber obliegt. Diese Freiheit muß dem Gesetzgeber auch die Möglichkeit einräumen, restriktive Regelungen zu treffen und auch bis an die Grenze dessen zu gehen, was noch als mit dem Verhältniswahlrecht vereinbar angesehen werden kann. Das vom historischen Verfassungsgesetzgeber vorgefundene Modell der Wahlordnung für die Nationalversammlung, StGBl. 316/1920, aber auch die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 1381/1931 für verfassungskonform erachtete NRWO 1923 haben ein durchaus vergleichbar restriktives Verhältniswahlsystem in vergleichbar kleinen Wahlkreisen, verbunden mit dem Erfordernis eines Grundmandats für die Teilnahme an einem zweiten Ermittlungsverfahren, enthalten. Die LWO enthält ohne Zweifel Bestimmungen, die es kleinen Parteien erschweren, im Landtag vertreten zu sein. Diese Ausgestaltung des Wahlrechtes entspricht aber voll und ganz dem im B-VG zugrundegelegten System des eingeschränkten Verhältniswahlrechtes, wie auch das Wahlergebnis der letzten Landtagswahl zeigt."
2.2.1.2. Die Anfechtungswerberin des Anlaßverfahrens führt dazu in ihrer Replik aus:
"Art26 Abs1 B-VG sieht - unverändert seit der Erstfassung des B-VG im Jahre 1920 - vor, daß der Nationalrat aufgrund des 'gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechtes' und nach 'den Grundsätzen der Verhältniswahl' gewählt wird. Art95 Abs1 B-VG bestimmt - fast mit demselben Wortlaut -, daß die Mitglieder des Landtages 'aufgrund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes' gewählt werden.
Im gegenständlichen Fall steht zur Diskussion, was unter 'gleichem' Wahlrecht und unter 'Verhältniswahlrecht" zu verstehen ist.
Gleiches Wahlrecht bedeutet, daß das Gewicht der Stimme jedes Wählers gleich sein muß, daß also jede Stimme potentiell den gleichen Einfluß auf das Wahlresultat hat (H. Mayer B-VG I.3. zu Art26 B-VG). Ein Wahlrecht, nach dem einzelne Stimmen mehr und einzelne Stimmen weniger Einfluß auf das Wahlergebnis haben, ist demnach kein 'gleiches' Wahlrecht.
Der Grundsatz des Verhältniswahlrechtes besagt im wesentlichen, daß die Repräsentation im allgemeinen Vertretungskörper möglichst genau der Stärke der in der Wahlbevölkerung existierenden politischen Gruppen zu entsprechen hat. Dieser Grundsatz erfährt eine einzige Einschränkung dadurch, daß die Regierbarkeit des Staates gewährleistet zu sein hat, weshalb die Vermeidung einer zu ausgeprägten Parteienzersplitterung in den allgemeinen Vertretungskörpern legitim ist. Sind viele Splitterparteien vorhanden, die im jeweiligen Parlament zur Mehrheitsbildung und Entscheidungsfindung gebraucht werden, eröffnet dies den Splitterparteien die Möglichkeit, für die Mehrheitsbeschaffung oder Mitwirkung an der Regierung Forderungen zu stellen, die ihnen eine Bedeutung verschaffen, die weit über ihre Leistungen hinausgeht und dadurch die Willensbildung im Parlament pervertiert.
Diese Gefahr war den Verfassungsgesetzgebern des Jahres 1920 offenbar schon bewußt und sollte durch die im Art26 Abs2 B-VG normierte Wahlkreiseinteilung und die Aufteilung der Mandate auf die Wahlkreise hintangehalten werden. Dadurch wiederum wurde den Wahlkreisen eine überproportionale Bedeutung verschafft; es wird ja nicht der allgemeine Vertretungskörper des einzelnen Wahlkreises gewählt, sondern der Vertretungskörper des Bundes oder eines Landes. Die Bedeutung der Wahlkreise kann jedoch dahingestellt bleiben, bedenklich an diesem System ist vielmehr, daß durch die Aufteilung des Wahlgebietes in Wahlkreise und die Aufteilung der Mandate auf die Wahlkreise eine verschiedene Gewichtung der Stimmen entstehen kann, was zu dem in Art26 Abs1 und 95 Abs1 B-VG normierten Grundsatz des gleichen Wahlrechtes in unlösbarem Widerspruch steht. Die Aufteilung des Wahlgebietes in Wahlkreise wird außerdem offenbar von dem Bemühen getragen, eine Bindung zwischen dem einzelnen Abgeordneten und seinem Wahlkreis zu ermöglichen. Dieser Gedanke ist typisch für das Mehrheitswahlrecht, wo jeweils ein Abgeordneter einen Wahlkreis repräsentiert, somit nicht Mandatar des Ganzen, sondern eines Teiles ist.
Als Folge der Regelung, derzufolge Wahlkreise zu bilden sind, kam das Grundmandat ins Spiel, welches sich aus historischer Sicht aus dem Mehrheitswahlrecht der Monarchie erklären läßt.
Der Gesetzgeber der Republik fand ein Mehrheitswahlrecht mit Elementen des Minderheitswahlrechtes vor, wie es sich in der Reichsratswahlordnung vom 26. Jänner 1907, RGBl. 17/1907, darstellte. Nach dieser Wahlordnung war für die meisten Wahlkreise der Monarchie ein einfaches Mehrheitswahlrecht vorgesehen, lediglich in einzelnen Wahlkreisen Galliziens konnten zwei Abgeordnete pro Wahlkreis gewählt werden, sodaß ein Element des Minderheitswahlrechtes enthalten war (Bernatzik: Die Österreichischen Verfassungsgesetze, 1911, S 761 ff).
Das erste Wahlgesetz der Republik, das Gesetz vom 18. Dezember 1918, StGBl. 115/1918, modifizierte die Reichtstagswahlordnung dahingehend, daß es Mindesterfordernisse von Stimmen für den Einzug in die konstituierende Nationalversammlung vorsah, die für die einzelnen Parteien abgestuft festgesetzt wurden. Diese Vorläufer der in der NRWO vom 11. Juli 1923, BGBl. 367/1923, endgültig fixierten Grundmandate waren die einzigen Kriterien für den Einzug in das Parlament. Ein Reststimmenverfahren gab es nicht. Dieses System konnte das Prinzip der angemessenen Vertretung der einzelnen politischen Gruppen nicht befriedigen, da hiebei zwar nicht so viele Stimmen verloren gingen, wie im echten Mehrheitswahlsystem, dennoch von einer echten Repräsentation nicht die Rede sein konnte, sodaß (...) durch das Gesetz vom 20. Juli 1920, StGBl. 316/1920, ein zweites Ermittlungsverfahren zwecks Verteilung der Reststimmen eingeführt wurde. Auch dieses System, welches für die Nationalratswahl bis zur NRWO 1992, BGBl. 471/1992, aufrecht blieb, ist im Hinblick auf die Grundsätze der Verhältniswahl und der Gleichheit der Wahl nicht unbedenklich gewesen.
Wie bereits ausgeführt, soll das 'gleiche Wahlrecht' so wie das Verhältniswahlsystem eine möglichst weitgehende Repräsentation der politischen Bevölkerungsgruppen im Vertretungskörper gewährleisten, wobei nach übereinstimmender Meinung Einschränkungen nur insoweit zulässig sind, als sie eine Zersplitterung des Parlamentes verhindern sollen.
Die Auffassung, daß das Grund- und Restmandatsystem, wie es bis zum Jahr 1992 in der NRWO und auch jetzt noch in der Sbg. LWO normiert ist, die Zersplitterung verhindert, ist nicht unbedingt richtig. Im theoretischen Fall, daß sich in jedem Wahlkreis eine lokal starke Gruppe findet, die aber mit keiner lokalen Gruppe in einem anderen Wahlkreis verbunden ist, erreichen diese einzelnen Gruppen jeweils ein Grundmandat, dennoch ist die Zersplitterung des Vertretungskörpers perfekt und die angeblich zersplitterungsfeindliche Wirkung des Grundmandats ad absurdum geführt.
Das System des Grundmandats - ohne die ausgleichende Wirkung eines zweiten und vor allem dritten Ermittlungsverfahrens - beeinträchtigt in wesentlichen Punkten die richtige Repräsentation der Bevölkerung, indem es die Realisierung einer 'gleichen' Wahl verhindert. Die Grundmandatshürde in den einzelnen Wahlkreisen ist notwendigerweise verschieden hoch, da Wahlkreise mit ähnlich hohen Bevölkerungszahlen kaum zu finden sein werden. Das Resultat daraus ist, daß die einzelnen Stimmen in den Wahlkreisen nicht das gleiche Gewicht haben und somit ein Widerspruch zu dem in der Bundesverfassung festgelegten Grundsatz des gleichen Wahlrechtes vorliegt.
Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma liegt in der Einführung einer allgemeinen Prozenthürde, geltend für das gesamte Wahlgebiet, die in einem dritten Ermittlungsverfahren relevant wird, wie dies in der NRWO 1992 und in einigen Landtagswahlordnungen geschehen ist. Eine derartige Prozentklausel müßte in alle Landesverfassungen und Landtagswahlordnungen Eingang finden, um dem Prinzip des gleichen Verhältniswahlrechtes Rechnung zu tragen und damit das Verfassungsgebot zu erfüllen.
Zur Abrundung ist noch darauf einzugehen, wann eine Zersplitterung des allgemeinen Vertretungskörpers vorliegt, wann also eine politische Gruppierung als so klein anzusehen ist, daß sie als Splittergruppe zu bezeichnen und daher zu vernachlässigen ist. Als Kriterien hiefür können sowohl in- als auch ausländische Regelungen herangezogen werden. Die Bundesverfassung bzw. die NRWO 1992 geht davon aus, daß eine politische Partei, die im gesamten Bundesgebiet 4 % an Stimmen erreicht, den Status der Splitterpartei überschritten hat. Die NÖ LWO und die Tir. LWO sehen einen Prozentsatz von 5 vor, desgleichen die Verfassung und die Wahlordnungen der Bundesrepublik Deutschland. Weshalb diese Prozentgrenzen nicht auch für das Land Salzburg gültig sein sollen, ist nicht ersichtlich."
2.2.2.1. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs gegen alle zu prüfenden landesgesetzlichen Normen sind begründet.
2.2.2.2. Im Gesetzesprüfungsverfahren kam nichts hervor, was die im Prüfungsbeschluß ausgebreiteten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden gesetzlichen Bestimmungen hätte entkräften können. Die im Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 11. Oktober 1994, GZ WI-1/94-18, aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken erwiesen sich vielmehr aus den dort dargelegten Erwägungen - entgegen der Auffassung der Salzburger Landesregierung - als voll zutreffend.
Die Salzburger Landesregierung meint, daß der LWO keine dem Mehrheitswahlrecht ähnliche Auswirkung beizumessen sei, weil das Zusammenwirken aller (landes-)gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Bildung starker Mehrheiten führe. Ein Wahlrecht, das nicht notwendig solche Mehrheiten entstehen läßt, muß jedoch deswegen allein noch nicht den Voraussetzungen eines Verhältniswahlrechts entsprechen, wie es das B-VG im Grundsatz vorschreibt. Denn der Boden des Verhältniswahlrechts wird nicht erst dann verlassen, wenn ein Wahlrecht das Mehrheitswahlsystem im ganzen Landesgebiet und in voller Reinheit (etwa mit nur einem einzigen zu vergebenden Mandat in jedem Wahlkreis) verwirklicht, wie die Salzburger Landesregierung offenbar dafürhält. Vielmehr widerspricht eine Landtagswahlordnung dem B-VG schon dann, wenn sie ein Wahlrecht schafft, das auf einen Systemwechsel zur Mehrheitswahl "hinausläuft" (s. dazu Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 11.10.1994 WI-1/94-18, S 15), dh. das sich einem Mehrheitswahlrecht in reiner Ausprägung sehr annähert. Auch die in der Stellungnahme der Landesregierung - nicht vollständig - zitierten Autoren Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3 (1985) S 196, sehen ein Charakteristikum des Mehrheitswahlrechts darin, daß in einem Wahlkreis sämtliche zu vergebenden Mandate an jene Kandidaten fallen, die eine (absolute) Stimmenmehrheit bekommen haben - sie verlangen nicht zwingend nur ein einziges Mandat je Wahlkreis -, und Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 (1992) Rz 312, lassen es in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofs im Erkenntnis VfSlg. 1382/1931 (S 231) damit bewenden, daß beim Mehrheitswahlrecht die Mehrheit in den einzelnen Wahlkreisen entscheidet.
Im Gegensatz zur Auffassung der Salzburger Landesregierung ist hier verfassungsrechtlich ausschlaggebend, daß zum einen nach der LWO für ein Mandat in einem bestimmten Wahlkreis, nämlich dem Wahlkreis Tamsweg, im Regelfall mehr als 50 % der abgegebenen Stimmen notwendig sind und diese hohe Eintrittsschwelle nicht durch eine alternative Prozentklausel abgeschwächt wird, und daß zum anderen das B-VG in seinem Art95 Abs3 idF vor dem BVG BGBl. 504/1994, aber auch idF dieses BVG den Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation vorsieht. Eben dieser Grundsatz läßt es nicht zu, sich über das gesetzliche Stimmenerfordernis im Wahlkreis Tamsweg (mehr als 50 %) mit Berufung auf eine Durchschnittsbetrachtung für das gesamte Gebiet des Bundeslandes Salzburg hinwegzusetzen, und zwar mit dem Ergebnis, daß (wenngleich nur) im Wahlkreis Tamsweg alle für einen Kandidaten abgegebenen Stimmen, die keine Mehrheit ergeben, jedenfalls und endgültig verloren gehen müssen. Der Hinweis der Salzburger Landesregierung auf das Erkenntnis VfSlg. 1381/1931 (über die Vereinbarkeit der Voraussetzungen des sog. "Grundmandates" mit den Grundsätzen der Verhältniswahl und der Gleichheit des Wahlrechtes) ist schon deshalb nicht zielführend, weil der damalige Rechtsfall keinen Wahlkreis mit einem Stimmenerfordernis von mehr als 50 % zum Gegenstand hatte. Da das B-VG (s. Art95) sich darauf beschränkt, den Grundsatz der Verhältniswahl aufzustellen, also sich nicht auf eine besondere Art des Verhältniswahlverfahrens festlegt, vielmehr die nähere Bestimmung des besonderen Verhältniswahlsystems und seiner Anwendung der einfachen Gesetzgebung überläßt (vgl. Oberndorfer/Pernthaler/Winkler, Verhältniswahlrecht als Verfassungsgrundsatz (1976) S 30), wies die Salzburger Landesregierung in breiten Ausführungen zwar vollkommen zu Recht auf den weiten Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers in einzelnen dieser Fragen hin; sie übersieht jedoch, daß diese Gestaltungsfreiheit die ihr in der Beschränkung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im maßgebenden Sinn verfassungsgesetzlich gezogenen Grenzen dort überschreitet, wo, wie hier, in einem bestimmten Wahlkreis regelmäßig mehr als 50 % der Stimmen notwendig sind, um gewählt zu werden. Nowak (Rechtsfragen zur Salzburger Landtagswahl vom 13. März 1994, JAP 94/95 H 1 S 15 (19)) hält zutreffend fest, daß im Wahlbezirk Tamsweg eine Partei selbst dann, wenn sie alle gültigen Stimmen auf sich vereinigt, nur ein Mandat (nicht zwei Mandate) erzielen könnte und daß bei der Wahl vom 13. März 1994 sogar eine Partei, die dort 46,6 % der Stimmen erreichte, das Grundmandat verfehlte.
2.2.2.3. Die in Prüfung gezogenen landesgesetzlichen Vorschriften verstoßen somit gegen Art95 B-VG und waren daher als verfassungswidrig aufzuheben.
2.3. Die Aussprüche über das Inkrafttreten der Aufhebung und die Kundmachungspflicht stützen sich auf Art140 Abs5 B-VG, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende fußt auf Art140 Abs6 B-VG.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
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