B176/02 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) ist schuldig,
zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je € 1962,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die beschwerdeführenden Parteien haben je geringfügig beschäftigte Dienstnehmer angestellt.
2. Die örtlich zuständigen Gebietskrankenkassen hatten mit Bescheid zT ausgesprochen, daß die beschwerdeführenden Parteien für die bei ihnen in den Kalenderjahren 1998 bis 2001 geringfügig beschäftigten Dienstnehmer Dienstgeber-Pauschalbeiträge gem. §53a Abs1 Z2 ASVG (idF 55. Novelle, BGBl. I Nr. 138/1998) in näher bestimmter Höhe zu entrichten hätten, zT wurde den von den beschwerdeführenden Parteien gestellten Anträgen auf Rückerstattung (vgl. §69 ASVG) der im erwähnten Zeitraum entrichteten Dienstgeber-Pauschalbeiträge keine Folge gegeben.
Dagegen erhoben die beschwerdeführenden Parteien Einspruch an den örtlich zuständigen Landeshauptmann, der diese Rechtsmittel jedoch mit Bescheid je als unbegründet abwies und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigte.
3. Gegen diese - letztinstanzlichen - Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden gem. Art144 Abs1 B-VG, in denen die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird. Begründend wird dazu im wesentlichen ausgeführt, der den Bescheiden zugrunde gelegte §53a ASVG sei verfassungswidrig.
4. Mit Erkenntnis vom 7. März 2002, G219/01, hat der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des §53a ASVG (idF 55. Novelle) zum Teil als verfassungswidrig aufgehoben (s. die Kundmachung BGBl. I Nr. 74/2002).
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als oB die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, sind all jene Fälle gleichzuhalten, die zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986, 11.711/1988).
2. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G219/01 begann am 7. März 2002. Die vorliegenden Beschwerden sind bereits vor diesem Zeitpunkt beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, waren also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Nach dem soeben Ausgeführten stehen die Fälle daher einem Anlaßfall gleich.
3. Die belangten Behörden haben eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien nachteilig war.
Die beschwerdeführenden Parteien wurden also durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).
Die Bescheide waren daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Jeder beschwerdeführenden Partei war (bloß) der mit je € 1.962,-- (einschließlich Umsatzsteuer) pauschaliert bemessene (einfache) Beschwerdeaufwand zuzusprechen, uzw. auch dann, wenn sie zwei oder mehrere Bescheide bekämpft hat, weil es ihr insoweit sowohl in zeitlicher als auch in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht möglich gewesen wäre, eine gemeinsame Beschwerde gegen mehrere hinsichtlich des Sachverhalts und der rechtlichen Beurteilung gleichgelagerte Bescheide einzubringen (vgl. VfGH 1. Oktober 2001, B544/01 ua. Zlen.; 12. Dezember 2001, B346/01 ua. Zlen.).
Ein Ersatz der entrichteten Eingabengebühren war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zuzusprechen.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.